Jan Bölsche und Patrick Rau

Kategorie: Games

Der diesjährig erstmalig vergebene hamburg@work Games-Award der Freien und Hansestadt Hamburg geht an die Berliner Spieleentwickler Jan Bölsche (32) und Patrick Rau (29). Damit unterstützt der Hamburger Senat die Realisierung eines neuartigen Lernspielkonzeptes mit 10.000 Euro. Außerdem erhalten die Entwickler Dienstleistungen im Wert von 30.000 Euro. Ausgezeichnet wurde das Konzept für ein Computerspiel: „Bahn frei!" bringt Kindern Verkehrsregeln bei und simuliert dabei eine mittelgroße Stadt.

Patrick Rau (Design, Konzeption) und Jan Bölsche (Softwareentwicklung, Konzeption) entwickeln gemeinsam das Spielkonzept. Beide leben in Berlin und bearbeiten regelmäßig verschiedene Medienprojekte auf freiberuflicher Basis. Der Kommunikations-Designer (FH), Patrick Rau arbeitet unter dem Label „KUNST-STOFF" an Medienprojekten im kommerziellen und künstlerischen Bereich.
Unter dem Label „Muskelfisch Entertainment"entwickelt Jan Bölsche Multimedia-Software für Agenturen und Unternehmen. Die Software aus der Kreuzberger Remise „Haus der Frohen Zukunft" läuft u. a. im Besucherzentrum der „Gläsernen Manufaktur" des VW-Konzerns in Dresden. Projekt Zukunft sprach mit den beiden Preisträgern über Stand und Perspektiven der Games-Branche.

 

Zunächst herzlichen Glückwunsch zum Games-Award! Wie aufwändig
gestaltet sich der Entwicklungsprozess des Lernspiels von der Konzeption bis zur Realisierung?

Rau: Vielen Dank! Nach unserer derzeitigen Abschätzung werden je nach
Produktionsphase vier bis acht Personen ca. 12-18 Monate mit der Produktion von „Bahn Frei!" beschäftigt sein. Momentan liegen das Grobkonzept und der vom Hamburger Senat preisgekrönte Businessplan vor. Außerdem haben wir mit dem Design der beiden Hauptcharaktere Pisa und Kinsey begonnen.

Bölsche: Verglichen mit anderen Lernspielen für die Altersgruppe von
Sieben bis elf Jahre ist der Produktionsaufwand für unser Spiel relativ hoch. In diesem Marktsegment bilden noch immer Produkte mit eher niedriger Qualität die Mehrheit. Verkauft werden diese Titel mit Hilfe bekannter Figuren. Spielspaß und pädagogischer Ansatz bleiben oft hinter den Erwartungen der Käufer zurück. Ein stetig wachsendes Qualitätsbewusstsein zeichnet sich jedoch gerade bei Eltern ab, die Lernsoftware für ihre Kinder kaufen. In diesen wachsenden Markt der hochwertigen Lernspiele für Grundschüler platzieren wir „Bahn Frei!".

Rau: „Bahn Frei!" ist ein echtes Computerspiel, dass auch den Eltern Spaß machen wird. Denn auch wenn die Lerninhalte vermittelt sind, geht der Spielspaß weiter. Damit unterscheiden wir uns von vielen Mitbewerbern.

 

Wie geht es weiter? Gibt es ein Vertriebskonzept für „Bahn frei!" ?

Bölsche: Verschiedene Verlage interessieren sich für die Vermarktung unseres Spiels. Gemeinsam mit dem renommierten Schulbuchverlag Cornelsen wollen wir eine Version für den Schulunterricht entwickeln. Für den außerschulischen Bereich wird es eine klassische Retail-Version geben, und eine weitere Variante könnte von einem Partner aus der Industrie als Marketinginstrument verwendet werden.

Rau: Denkbar ist auch ein Kombiprodukt aus Buch und CD-ROM, das – über den Buchhandel vertrieben – eine qualitätsbewusste Käuferschicht besser erreicht. Auch über eine Brettspielvariante sprechen wir bereits mit einem der führenden Anbieter in diesem Bereich.

Bölsche: Die Produktzyklen auf dem Markt der interaktiven Unterhaltung
sind sehr kurz. Um dem entegegenzuwirken, verfolgen wir eine langfristige Strategie auf der Basis unserer Titelhelden Pisa und Kinsey. Die beiden sollen über Jahre die Zielgruppe begleiten und immer anspruchsvollere Themen behandeln.

Rau: Auch das Brettspiel sorgt für eine nachhaltige Präsenz der Figuren, denn Brettspiele bleiben über Jahrzehnte am Markt. Ich kann mir die beiden auch gut im Fernsehen vorstellen. Eine Art „Der siebte Sinn" für Kinder als kurze Zeichentrickepisoden.

 

Berlin-Brandenburg gilt als Hochburg der unabhängigen deutschen Spieleentwickler. Ist es Zufall, dass der Games-Award an Berliner Unternehmen ging?

Rau: Berlin ist attraktiv für Menschen, denen ein kreatives Arbeitsumfeld besonders wichtig ist. Der Boom am Neuen Markt hat viele motivierte und ideenreiche Gestalter und Softwareentwickler in die Stadt gespült. Inzwischen wächst eine zweite Generation heran, die das Game-Level-Design im Studium gelernt hat. Damit bietet Berlin ein gutes personelles Umfeld für die Spieleentwicklung. Dass der hamburg@work Games Award nach Berlin ging, spricht natürlich für die Unabhängigkeit der Jury.

Bölsche: Und ihre Geschmackssicherheit!

 

Computerspiele haben sich in den letzten zehn Jahren einen festen
Platz unter den deutschen Unterhaltungsmedien erkämpft. Doch von der riesigen Zahl an Neuerscheinungen kommen nur wenige aus heimischen Entwicklerstudios. Was sind dafür die Gründe?

Bölsche: In der Branche hat in den letzten zehn Jahren eine starke
Konsolidierung eingesetzt. Ähnlich wie in der Filmbranche bedienen hauptsächlich amerikanische Studios den Massenmarkt. Die Produktionen der großen Studios haben bereits wesentlich größere Budgets als übliche Kinofilme. Der deutsche Geschmack unterscheidet sich aber signifikant vom amerikanischen. Deutsche Produktionen wie die Siedler-Serie oder die Anno-Spiele werden von Amerikanern abfällig als „German Games" bezeichnet, führen hierzulande jedoch über Monate hinweg die Verkaufscharts an. Dafür liegt hier das 75. Baseball-Spiel oder der Sushimaster-Simulator, in Japan ein Schlager, gar nicht erst in den Verkaufsregalen. Dass in Deutschland aber auch internationale Hits produziert werden, beweist unter anderem „Far Cry".

Rau: Hauptstandortvorteil der USA stellt die dortige höhere Risikobereitschaft der geldgebenden Banken dar. Ein Umstand, der – ähnlich wie bei der Filmindustrie – hierzulande meiner Meinung nach nur durch staatliche Förderprogramme ausgeglichen werden kann. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, dass das Medienboard Berlin-Brandenburg (ehemals Filmboard) trotz Umbenennung keine Gelder für interaktive Produktionen zur Verfügung stellt.

 

Noch immer muss sich die Branche gegen ein negatives Image behaupten, Stichwort „Gewalt". Dabei hat die Branche große Zuwachsraten zu verzeichnen. Auf etwa 1,1 Milliarden Euro belief sich nach Angaben des Verbandes der Unterhaltungssoftware Deutschland (Der Verband hat 2004 seine inhaltliche Arbeit eingestellt)) das Marktvolumen in 2003. Welche Tendenzen und Perspektiven zeichnen sich in der Branche ab. Spielt Berlin als Impulsgeber hier eine Rolle?

Bölsche: Im Gegensatz zu vielen Kollegen kann ich den Vorwurf der Gewaltverherrlichung teilweise nachvollziehen. Wir glauben, dass Computerspiele ein ideales Lehrmittel sind. Jedes Spiel, ob beabsichtigt oder nicht, vermittelt dem Spieler Fähigkeiten und Wissen. Die Palette des Wissens reicht von der Kenntnis des genauen Straßennetzes von San Francisco und Miami Beach („Driver") bis hin zu der Erkenntnis, wie es sich anfühlt, wenn der Gegner trotz anderslautender Vereinbarungen mit der Forschung an Nuklearwaffen beginnt und dies mit der schalen Ausrede „Was soll ich machen? Alles andere ist halt schon erforscht" begründet
(„Rise of Nations").
Die wenig für ihre sozialpädagogische Medienkritik bekannte US-Army jedenfalls ist überzeugt davon, dass in Ego-Shootern trainierte Fähigkeiten in realen Konfliktsituationen Verwendung finden. Sonst würde für die Ausbildung der Marines nicht unter anderem eine modifizierte Version von „Doom II" eingesetzt.

Rau: Was wir brauchen, sind mehr Innovationen, mehr revolutionär andere Spielinhalte jenseits von Trollen, Rennwagen und Maschinengewehren. Von den marktforschungsgesteuerten Großstudios ist in dieser Richtung nichts zu erwarten. Hier liegen die Chancen der kleinen unabhängigen Studios. Gerade auch in Deutschland. Und hier natürlich speziell in Berlin.

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