Alexander Dix

Kategorie: Digital Security

Der promovierte Jurist und ehemalige Datenschutzbeauftragte für das Land Brandenburg trat 2005 in Berlin die Nachfolge von Prof. Dr. Hansjürgen Garstka an. Als Berliner Datenschutzbeauftragter kontrolliert Dr. Alexander Dix die Einhaltung des Berliner Datenschutzgesetzes und aller anderen Vorschriften über den Datenschutz bei den Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen wie auch bei den in Berlin ansässigen Unternehmen. Darüber hinaus gibt die Behörde Empfehlungen zur Verbesserung des Datenschutzes und berät in Fragen des Datenschutzes und des Zugangs zu Informationen. Sie geht auch Beschwerden von Privatpersonen nach, die der Ansicht sind, dass bei der Verarbeitung personenbezogener Daten gegen Datenschutzvorschriften verstoßen, oder das Recht auf freien Zugang zu Informationen verletzt wurde . Projekt Zukunft sprach mit Dr. Alexander Dix u. a. über den Einsatz und die Bedeutung von Sicherheitstechnologien nach den Terroranschlägen in London.

 

Die Terroranschläge in London haben in Deutschland eine Debatte über die Ausweitung der Videoüberwachung ausgelöst. Für Berlin wird die flächendeckende Überwachung von Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen gefordert. Ein probates Mittel im Kampf gegen den Terrorismus?

Gerade das Beispiel London hat gezeigt, dass selbst eine hohe Dichte an Überwachungskameras terroristische Anschläge nicht verhindern kann. Gegenwärtig ist noch nicht einmal ausgemacht, ob die Videoaufnahmen zur Ergreifung der Täter führen. Menschen, die entschlossen sind, sich bei ihren perfiden Anschlägen selbst zu töten, lassen sich durch solche Technik nicht von ihrem Vorhaben abbringen, weil sie auch keine Strafverfolgung fürchten. Der Einsatz von Videoüberwachung mit permanenter Aufzeichnung im öffentlichen Nahverkehr muss die Ausnahme bleiben und sollte auf Orte und Situationen beschränkt bleiben, in denen herkömmliche Kriminalität (Sachbeschädigung, Diebstahl) nicht anders eingedämmt werden kann. Die Installation von Videokameras auf öffentlichen Straßen und Plätzen hat sich dort, wo sie bisher praktiziert wurde, nach meinem Eindruck nicht bewährt. Kriminalität ist allenfalls verdrängt worden. Untersuchungen in Großbritannien haben außerdem gezeigt, dass die Menschen videoüberwachte Innenstadtbereiche (z. B. Shopping Malls) abends gerade nicht zum Bummeln aufgesucht, sondern eher gemieden haben, weil sie eben nicht auf Schritt und Tritt beobachtet werden wollen.

 

Zur Fußball-Weltmeisterschaft im nächsten Jahr liegt für Berlin ein Sicherheitskonzept vor. Auch hier wird u. a. auf Videoüberwachung und Biometrie gesetzt. Spezialkameras erfassen biometrische Gesichtsmerkmale der Besucher, um mögliche Straftäter zu identifizieren. Ist der Technikeinsatz zur Gefahrenabwehr gerechtfertigt?

Ich kenne bisher nur Ankündigungen für ein solches Konzept. Selbstverständlich ist der Einsatz von Technik bei einem Großereignis wie der Fußball-Weltmeisterschaft grundsätzlich zulässig, wenn er zur Gefahrenabwehr erforderlich ist. Allerdings muss klar sein, wer diese Technik zu welchen Zwecken einsetzt: Der Hausherr des Olympiastadions kann sie zur Durchsetzung des eigenen Hausrechts einsetzen, um z. B. Stadionverbote gegen Hooligans durchzusetzen. Gefahrenabwehr ist dagegen Sache der Polizei, die nach dem geltenden Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdete Gebäude unter bestimmten Umständen offen mit Videotechnik überwachen darf. Der verdeckte Einsatz von Videoüberwachung ist dagegen nur unter engen Voraussetzungen zur Strafverfolgung zulässig, wenn nach bestimmten Personen gefahndet wird. Der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware, die den just-in-time-Abgleich mit Fahndungsdatenbanken erlauben würde, ist dagegen vom geltenden Recht nicht gedeckt.

 

In der Initiative „Sicherheit mit IT" von Projekt Zukunft arbeiten Berliner Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen an der Entwicklung IT-gestützter Sicherheitslösungen zum Schutz von Personen, Gebäuden, Großveranstaltungen und Dokumenten. Welche Bedeutung haben technische Lösungen neben den zu erwartenden wirtschaftlichen Effekten, jetzt und in der Zukunft?

Derartige technische Lösungen werden immer bedeutsamer, übrigens auch für den Datenschutz, der ja nicht die Daten um ihrer selbst willen schützt, sondern die dahinter stehenden Menschen. Es wird entscheidend darauf ankommen, dass solche technischen Lösungen von vornherein auf ihre Datenschutzverträglichkeit überprüft und zertifiziert werden. „Privacy-enhancing technologies" können sich auch wirtschaftlich in dem Maße „rechnen", wie die Menschen auf eine vertrauenswürdige Technik setzen. Deshalb ist es wichtig, dass der Bundesgesetzgeber endlich ein Datenschutz-Audit-Gesetz – entsprechend dem Umwelt-Audit – verabschiedet.

 

Die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) verpflichtet Telekommunikationsanbieter und Internetprovider, Kundendaten über einen langen Zeitraum auf Vorrat zu speichern, damit Sicherheitsdienste und Strafverfolgungsbehörden bei Bedarf darauf Zugriff haben. Geregelt ist derzeit das Gegenteil: Grundsätzlich sind alle Daten, die nicht zur Abrechnung gebraucht werden, zu löschen. Bei einer Speicherpflicht entstünde ein komplettes Verzeichnis darüber, wofür sich die Bürger im Netz interessieren, was sie online einkaufen, mit wem sie chatten oder welche Informationsmedien sie bevorzugen. Steht das Datensammeln „auf Verdacht" im angemessenen Verhältnis zu den erhofften Ermittlungsergebnissen und den Bürgerrechten?

Weder die Telekommunikations-Überwachungsverordnung noch eine andere Rechtsvorschrift in Deutschland verpflichtet die Anbieter und Provider bisher, Kundendaten auf Vorrat zu speichern. Die TKÜV enthält lediglich die Verpflichtung der Telekommunikationsanbieter, die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Kommunikation mit bestimmten Personen im Rahmen eines konkreten Strafverfahrens auf richterliche Anordnung hin inhaltlich überwacht (abgehört) werden kann. Entsprechende Vorschriften gelten für die Verkehrsdaten, also die Informationen über die näheren Umstände der Kommunikation: „Wer hat mit wem wie lange von wo aus kommuniziert?". Liegen die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht vor, so dürfen Verkehrsdaten nur für Abrechnungszwecke maximal ein halbes Jahr lang gespeichert werden und müssen anschließend, oder im Fall von Pauschaltarifen, Flatrates etc. sofort nach dem Ende der Verbindung gelöscht werden. Solange diese Daten bei den Anbietern vorhanden sind, können die Strafverfolgungsbehörden auf sie bereits jetzt zugreifen. Die gegenwärtig auf europäischer Ebene diskutierte Pflicht zur pauschalen Speicherung von Verkehrsdaten auf Vorrat würde dagegen zu einer beispiellosen Überwachung sämtlicher Aktivitäten in den Kommunikationsnetzen führen. Die Telefonnetze und insbesondere das Internet würden zu Verdachtsgewinnungsnetzen. Die Behauptung mancher Befürworter, eine Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung beträfe nicht den Inhalt der Kommunikation, ist unzutreffend. SMS-Nachrichten und URLs sollen mittelfristig in die Speicherpflicht einbezogen werden. Jede Google-Suchanfrage kann ein hochsensibles Profil über den einzelnen Nutzer erzeugen, das langfristig gespeichert werden müsste. Damit wären das Telekommunikationsgeheimnis wie auch die Meinungsfreiheit in ihren Kernbereichen verletzt. Während Kriminelle und Terroristen technische Möglichkeiten zur Verschleierung ihrer Kommunikation nutzen und sich damit der Überwachung entziehen könnten, wären rechtstreue Kunden einem Generalverdacht ausgesetzt. Die Vertrauenswürdigkeit der Kommunikationsnetze würde nachhaltig beeinträchtigt, was auch negative wirtschaftliche Folgen haben dürfte. Statt mehr Sicherheit würde eine solche Maßnahme größere Unsicherheit produzieren.

 

Die Reaktion von Politik und Gesetzgebung auf die Verwendung vernetzter technischer Infrastrukturen zur Begehung von Straftaten, gleicht immer mehr einem Wettlauf zwischen Hase und Igel. Bleibt die Aufrechterhaltung grundgesetzlich garantierter Freiheitsrechte bei gleichzeitigem Schutz der Bürger vor terroristischen Anschlägen ein unauflösbares Dilemma?

Man muss sich immer wieder vergegenwärtigen, dass absolute Sicherheit nicht herstellbar ist, von niemandem. Freiheitsrechte des Einzelnen bilden die Grundlage unserer offenen Gesellschaft, sie schützen nicht nur das Individuum, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Der britische Innenminister hat dem Vernehmen nach auf die Anschläge am 7. Juli in London mit der Bemerkung reagiert, der Schutz der Grundrechte müsse "verhältnismäßig" sein. Damit wird ein Grundelement aller europäischen Rechtsstaaten in Frage gestellt, das gerade umgekehrt den Schutz der Grundrechte als Regel ansieht und Einschränkungen nur akzeptiert, wenn sie verhältnismäßig und geeignet sind, um einen erkennbaren Sicherheitsgewinn zu erzielen. Ich halte es mit einem der Väter der amerikanischen Verfassung, Benjamin Franklin, der gesagt hat: „Wer bereit ist, wesentliche Freiheiten für ein wenig vorübergehende Sicherheit zu opfern, verdient weder Freiheit noch Sicherheit."

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