Gesche Joost ist eine vielfältig engagierte Designforscherin. So leitet sie seit 2005 das <link http://www.design-research-lab.org/ - external-link-new-window>Design Research Lab</link> an den Deutschen Telekom Laboratories in Berlin. Die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ zeichnete sie 2005 als einen der „100 Köpfe von morgen“ aus. Seit 2008 ist sie Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung e. V.
Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Gender- und Diversity-Aspekte in der Designforschung, Interface- und Interactiondesign sowie audio-visuelle Rhetorik. Zum experimentellen Umgang mit interaktiven Medien hat sie bereits mehrere Forschungsprojekte durchgeführt, unter anderem zur taktilen Human-Computer-Interaction.
Sie sind umfassend im Bereich Designforschung und Designtheorie tätig. Wie ist die Situation in Deutschland? Welche Perspektiven bietet dieses Forschungsgebiet?
Frau Joost: Designforschung hinkt in Deutschland im internationalen Vergleich noch hinterher und kommt erst jetzt so langsam in Schwung. In Skandinavien, der Schweiz oder den USA ist dieser Forschungsbereich viel stärker verankert. Es gab früher große und gute Traditionen wie beispielsweise das Bauhaus, aber das hat sich immer mehr verloren.
Jetzt aber herrscht auch bei uns Aufbruchsstimmung – wesentlich mitbestimmt durch die wachsende Bedeutung der Creative Industries. Das Potenzial von Design wird heute vor allem im Bereich der interdisziplinären Forschung erkannt und genutzt. Design ist das Bindeglied zwischen so unterschiedlichen Disziplinen wie Technologieforschung und Soziologie. Design schafft die Verbindung von High-Tech zum Alltag. Das Ziel ist hier, wieder einen besseren und direkten Link zur Gesellschaft und zu unserem Lebensalltag zu schaffen.
Umso wichtiger ist es, die Möglichkeiten von Netzwerken wie der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung zu nutzen. Es gilt, Lobbyarbeit für Design und Designforschung zu betreiben und deren Möglichkeiten als Übersetzer und Mediator aufzuzeigen. Ein klarer Vorteil ist dabei, dass Design schnell Ergebnisse liefert und so einen klar fassbaren praktischen Anteil zur theoretischen Diskussion beisteuert.
„Design” durchdringt nahezu alle Lebensbereiche. Welche Inhalte und Aspekte sind für Sie als Designforscherin besonders interessant? Wie gehen Sie vor?
Frau Joost: Ich möchte erkennen, wie die Nutzer im Alltag leben und welche Aufgaben sich in Bezug auf Kommunikationstechnologie daraus ergeben. Wie leben heute z. B. Teenager, Senioren, Frauen in ihren unterschiedlichen sozialen Rollen? Wie verändern sich ihre Anforderungen an die Technologie in unterschiedlichen Stadien ihres Lebens?
Wir gehen bei unseren Forschungen daher immer vom Menschen und seiner Lebenswelt aus. So veranstalten wir beispielsweise Workshops, in denen dann Teenie-Mädchen Prototypen ihres idealen Handys entwickeln, und das mit ganz vielfältigen, überraschenden Ergebnissen. Sie werden zu Co-Designerinnen ihrer eigenen Produkte.
Ein anderes Beispiel ist die Beobachtung der Kommunikation von Taubstummen. Dabei zählt nicht die Frage, was ihr Leben eventuell einschränkt, sondern was wir von ihnen lernen können. Aus ihrer vielfältigen und ausdrucksstarken Gebärdensprache können wir Erkenntnisse für den Einsatz von Gesten für die Steuerung von Geräten gewinnen und die Mensch-Maschine-Kommunikation weiter verbessern.
Was waren Ihre Eindrücke der Konferenz Innovation @ Creative Industries in Berlin? Ist Kreativität ein Motor für Innovation? Wie sehen Sie die Chancen der Stadt als Design-Standort?
Frau Joost: Die Konferenz hatte mit dem Radialsystem einen tollen, inspirierenden Rahmen. Hier traf sich ein internationales, junges Publikum mit einem erfreulich hohen Frauenanteil. Es gab viele angeregte Diskussionen mit interessanten Fallbeispielen, die die ganze Palette der Creative Industries aufgezeigt haben. Vor allem wurde deutlich, wie wichtig die europäische Zusammenarbeit ist und wie Programme und Initiativen dazu beitragen, die oft noch verborgenen Potenziale freizulegen.
Design sehe ich ganz klar als Innovationstreiber. Vor allem stehen die Creative Industries und damit auch Design jetzt im Augenmerk der Politik. Anders als noch vor ein paar Jahren erfahren wir jetzt viel Unterstützung und konkrete Förderung, da Creative Industries mehr und mehr als Wirtschaftsfaktor und Industriemodell der Zukunft anerkannt werden.
Für Berlin bietet diese Entwicklung eine ganz wichtige, vielleicht sogar die Chance. Hier leben und arbeiten Künstler, Designer, Musiker aus aller Herren Länder. Daneben haben wir die wissenschaftliche Unterstützung an den großen Universitäten und Forschungseinrichtungen der Industrie vor Ort, die die Kreativität unterstützen. Das ist eine wilde, richtig gute Mischung. Wenn man das zusammen bringt, da steckt ein ungeheures Potenzial darin.