Zukunftskopf: Co-Gründerin und CEO Aimie-Sarah Carstensen von ArtNight
Die Mission der Gründerin Aimie-Sarah Carstensen ist Kreativität zu einer Routine zu machen, die alle lieben. Wie sie das mit ArtNight schafft, erzählt sie uns im Interview. Mehr
Anika Wiest
E-mail: anika.wiest@senweb.berlin.de
Telefon: (030) 90138423
Für sein Debüt-Spiel beim renommierten Deutschen Computerspielpreis (DCP) in drei Kategorien nominiert zu sein, das ist schon eine große Leistung. Aus allen drei Kategorien als Gewinner hervorzugehen, gelingt erst recht nicht alle Tage. Eine solche Ausnahmeerscheinung ist das junge Berliner Studio Hekate, das 2019 von Lukas Deutschel, Thomas Lenz und Felix Dreyfus gegründet wurde. Ihr psychologisches Horrorspiel „Ad Infinitum“ wurde für die beste Story und das beste Audiodesign ausgezeichnet und erhielt zudem den Nachwuchspreis für das beste Debüt.
Doch die Geschichte von Ad Infinitum war nicht von Anfang an mit Erfolg gesegnet. Im Gegenteil. „Straucheln, stolpern, neu anfangen“ – so fasst Lukas Deutschl die Entstehung zusammen. Das erste Konzept für das Spiel entstand bereits 2014 im Rahmen eines Studienprojekts an der HAW. Ein Jahr später entstand ein Proof-of-Concept-Prototyp, an dem auch Mitgründer Thomas Lenz mitarbeitete. Obwohl das Projekt am Leben erhalten wurde, blieben die Fortschritte, laut Deutschel, aus. Erst im Jahr 2017 entdeckte ein kanadischer YouTuber den Proof-of-Concept-Trailer und erreichte innerhalb weniger Tage über 17 Millionen Views und mehr als 300.000 Shares. „Das markierte einen Wendepunkt“, erzählt Deutschel. Er gab seinen damaligen Job als Audio Director & Lead Sound Designer bei Daedalic Entertainment auf und gründete mit Lenz und seinem ehemaligen Chef Felix Dreyfus das Studio Hekate.
Namensgeberin ist die griechische Göttin der Magie, Totenbeschwörung, der Wegkreuzungen und Übergänge und die Wächterin der Tore zwischen den Welten. Sie verkörpert genau das, was die Entwickler mit ihren Spielen bieten wollen – nämlich „Albträume, die zum Nachdenken anregen“. Mit ihrem Debüt-Spiel Ad Infinitum, das für PlayStation 5, Xbox Series X|S und PC erhältlich ist, schaffen sie genau das. Es erzählt die Geschichte eines jungen Berliners, der in den Ersten Weltkrieg zieht und in den Schützengräben nicht nur mit dem Feind, sondern vor allem mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert wird.
Herr Deutschel, Ad Infinitum ist alles andere als leichte Kost. Was fasziniert Sie am Düsteren? Die Faszination für Horrorspiele und düstere Themen wurde bereits in meiner Kindheit geweckt. Inspiriert hat mich hier immer die tragische Dimension und Handlung dieses Genres, das ein enormes Potential zur Auflösung hatte. Allerdings haben mich Splatterfilme oder drastische Gewaltdarstellungen immer eher abgeschreckt. Obwohl es heute viele Fans von Horrorfilmen und -spielen gibt, kann ein Großteil der Bevölkerung, auch innerhalb meines Bekanntenkreises, wenig damit anfangen.
Für mich liegt der Reiz des Horrors jedoch nicht nur im bloßen Adrenalinrausch, ähnlich wie bei einer Achterbahnfahrt, sondern eher in einer tieferen Auseinandersetzung mit der eigenen Angst – etwas, was unser Leben ja leider immer wieder bestimmt und uns treibt. Ich glaube, dass es ein grundlegendes menschliches Bedürfnis ist, sich seinen Ängsten zu stellen und daran zu wachsen, aus Verzweiflung Mut und Hoffnung zu schöpfen. Erst wenn wir uns mit unseren eigenen Abgründen und Schatten konfrontieren, können wir uns wirklich dem Licht zuwenden.
Was macht ein gutes Horrorspiel aus? Ein gutes Horrorspiel zeichnet sich für mich nicht nur durch den Kontrollverlust aus, sondern im Gegenteil, durch die Möglichkeit, Kontrolle zurückzugewinnen. Es bietet dem Spieler die Möglichkeit, sich den eigenen Ängsten zu stellen und sie zu überwinden. Letztendlich sehe ich Horrorspiele also als ein sehr menschliches Bedürfnis zur persönlichen Weiterentwicklung und Reflexion über die eigene Natur.
Ad Infinitum spielt im 1. Weltkrieg: Warum haben Sie diese Zeit und diesen Schauplatz gewählt? Als wir 2014 mit dem Studentenprojekt begannen, war das Thema des Ersten Weltkrieges aufgrund des 100-jährigen Jubiläums in den Medien allgegenwärtig. Besonders inspiriert hat mich zu dieser Zeit eine Ausstellung von Otto Dix und seine eindringlichen Darstellungen der Schlachtfelder. Der Erste Weltkrieg schien sich geradezu als Schauplatz für einen neuen und unverbrauchten Horror-Titel anzubieten, worin auch meine Teamkollegen des Studienprojektes übereinstimmen. Die düstere und beklemmende Atmosphäre dieses Konflikts sowie die damit verbundenen menschlichen Tragödien und Grausamkeiten der neuen industriellen Kriegsführung boten eine starke Inspirationsquelle für die Gestaltung unserer Spielwelt.
Mit NACON haben Sie einen internationalen Publisher für die Zusammenarbeit gewinnen können. Wie gelang das? Die Zusammenarbeit mit NACON kam zustande, nachdem wir unsere eigenen Mittel in die Firma gesteckt hatten und als eines der ersten Projekte in Deutschland eine Prototypenförderung der Computerspieleförderung des Bundes erhielten. Mit dieser Unterstützung konnten wir in sehr kleiner Besetzung etwa ein Jahr lang an einem sogenannten Vertical Slice arbeiten, der ca. eine Stunde Spielzeit im dritten Kapitel des Spiels bietet. Dieser Vertical Slice wurde dann über einen Kontakt an verschiedene Publisher gesendet, und NACON zeigte sich besonders interessiert an unserem Projekt. Nach einigen Verhandlungen und unerwarteten Hürden begannen wir Anfang 2021 mit der Produktion des Spiels.
Mit Erfolg, wie der dreifache Sieg beim Deutschen Computerspielpreis zeigt. Haben Sie damit gerechnet, in allen drei Kategorien ausgezeichnet zu werden? Nein, wir haben mit einem solchen Erfolg überhaupt nicht gerechnet, insbesondere, weil neben unserem Titel auch andere hervorragende Spiele nominiert waren, die ebenso würdig gewesen wären, diese Auszeichnungen zu erhalten. Diese angenehme Überraschung ist eine große Ehre und zeigt uns, dass unsere Arbeit und unser Engagement von der Jury anerkannt und geschätzt wurden, was uns natürlich sehr freut und motiviert.
In welcher Kategorie freuen Sie sich besonders über den Preis? Die Auszeichnung „Bestes Debüt" bedeutet uns besonders viel. Wie ich bereits in meiner Dankesrede beim DCP betonte, ist es für uns von zentraler Bedeutung, dass unser Spiel das grundlegende Thema Krieg und seine Konsequenzen für das Individuum, die Familie und die Gesellschaft in den Fokus rückt. Eine persönliche und emotionale Reflexion mit diesem Thema, insbesondere mit der Traumatisierung der Seele junger Heranwachsender, aber auch die Zerstörung der Familie ist für uns von großer Bedeutung. Wir hoffen, dass diese Auszeichnung dazu beitragen kann, dass auch andere Entwickler den Mut finden, das Setting des Krieges in Videospielen zukünftig nicht mehr nur zu glorifizieren, sondern bewusst als Mittel nutzen, das eher abschreckend wirkt. Etwas, was eigentlich naheliegend sein sollte, wenn man sich der realen Konsequenzen des „Kriegwerks" und „Tötens” wirklich bewusst wird.
Eine Botschaft, die angesichts des Kriegs in der Ukraine und im Nahen Osten besonders wichtig ist…Die Destabilisierung der weltpolitischen Lage konnten wir zu Beginn des Projekts sicherlich nicht vorhersehen, aber sie verlief schrittweise. Man könnte also sagen, es war ein „trauriger" Zufall, dass unser Spiel zu einem Zeitpunkt erscheint, an dem die Thematik aktueller ist denn je.
Welche Bedeutung hat die Auszeichnung für ein junges Unternehmen wie Hekate im Allgemeinen, aber auch das Spiel Ad Infinitum im Besonderen?
Die Auszeichnungen bedeuten für ein junges Studio wie Hekate und insbesondere für das Spiel Ad Infinitum eine unglaubliche Wertschätzung unserer Arbeit und Bemühungen der letzten fünf Jahre. Sie sind ein Beweis dafür, dass unsere Vision und unser Engagement letztendlich Früchte tragen und dass unser Erstlingswerk, trotz der hervorragenden anderen nominierten Projekte, die Jury überzeugen konnte. Wir sind besonders stolz darauf, dass Ad Infinitum durch diese Preise nicht nur als ein reines Unterhaltungs-Produkt, sondern auch als ein anspruchsvolles Werk anerkannt wird, das einen reflektierten Umgang mit einem leider immer noch sehr relevanten Thema, nämlich Krieg und seine furchtbaren Konsequenzen, zulässt. Diese Auszeichnungen bestätigen uns in unserer Vision, nicht nur innovative und hochqualitative Spiele zu entwickeln, sondern auch zu einer Auseinandersetzung mit für die Menschheit wichtigen Themen anzuregen und diese einem breiten Publikum näherzubringen.
Fünf der 15 Auszeichnungen gingen nach Berlin: Warum ist die Bundeshauptstadt offenbar so ein fruchtbarer Boden für Computerspiele-Designer?
Berlin ist ein toller Hotspot für Games-Entwickler und Kreative, die dieses Medium vorantreiben wollen. Es beheimatet nicht nur interessante Games-Festivals wie A MAZE und Gameground, die super Austausch- und Inspirations-Möglichkeiten bieten. Weiterhin gibt es viele spannende Games-Hangouts, wie den Game Audio Hangout, die Entwickler zusammenbringen und damit kreative Synergien fördern.
Außerdem gibt es sowohl private als auch öffentliche Hochschulen, darunter die HTW Berlin, S4G (School 4 Games) und mdh (Mediadesign Hochschule), die Einsteigern nicht nur eine spannende Ausbildung, sondern auch eine direkte Verbindung zur Industrie bieten. Während der Entwicklung unseres Projekts haben wir häufiger mit diesen Hochschulen zusammengearbeitet, wodurch viele junge Talente ihren Weg zu uns gefunden haben – sei es im Rahmen eines Pflichtpraktikums oder als Junior-Entwickler.
Weiterhin steht Berlin nicht nur für Innovation, sondern auch für einen sehr geschichtsträchtigen Ort, eine Stadt voller Widersprüche und Gemeinsamkeiten, die schon immer interessante Persönlichkeiten angezogen hat. Figuren wie der Chemiker Fritz Haber und seine Frau Clara Immerwahr haben unsere Handlung beeinflusst, Schicksale, auf die wir mehr oder weniger zufällig gestoßen sind.
Zu guter Letzt bietet Berlin Startups großartige lokale Fördermöglichkeiten und Veranstaltungen, z. B. organisiert durch medianet berlin brandenburg e.V. oder das Medienboard Berlin Brandenburg.
Wie geht es mit Hekate weiter? Für uns ist der dreifache Sieg beim DCP eine tolle Anerkennung unserer Arbeit, die uns allerdings auch überrascht hat. Nun stehen wir erstmal vor der Aufgabe, intern zu beraten und verschiedene Szenarien für die Zukunft von Hekate zu durchdenken. Trotz aktuell vieler offener Fragen ist uns aber eines klar: Wir alle möchten weiterhin aktiv Teil dieser spannenden und kreativen Gamesbranche bleiben.
Ich persönlich stelle mich nun seit April auch neuen spannenden Herausforderungen – als Senior Sound Designer beim Hamburger Games Studio Rockfish.
Medienwirtschaft, Medientechnologie, Games, Film- und Fernsehwirtschaft
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