Çiğdem Uzunoğlu, Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Spielekultur

Kategorie: Zukunftsköpfe

Frau vor grauem Hintergrund

Çiğdem Uzunoğlu

© Die Hoffotografen

Am 13. April 2021 fand der "Deutsche Computerspielpreis (DCP)" bereits zum zweiten Mal rein virtuell im Livestream statt – diesmal im Rahmen einer großen Online-Show mit Pre-Show und interaktiven Zuschaltungen. Unterstützt wird der Preis für die besten "Games – made in Germany" von der Stiftung Digitale Spielekultur in Berlin. Seit ihrer Gründung im Jahr 2012 ist sie mit der Mission unterwegs, Brücken zu bauen zwischen der Welt der digitalen Spiele und den zivilgesellschaftlichen und politischen Institutionen in Deutschland.

Die Geschäftsführerin der Stiftung Çiğdem Uzunoğlu hat uns in einem Gespräch Einblicke in das Selbstverständnis der Stiftung und in die Möglichkeiten gegeben, wie Games sich auch gezielt in Bildung, Forschung und Kultur einsetzen lassen.

Allein elf der Nominierungen für den "Deutschen Computerspielpreis" waren Games – made in Berlin-Brandenburg. Welche Rolle spielt der Preis speziell für die digitale Spielekultur in Berlin und für Projekte aus der Region?

Die Spannbreite der Titel, die dieses Jahr beim "Deutschen Computerspielpreis" nominiert wurden, ist sehr groß. Es gab insgesamt über 350 Einreichungen. Unter den daraus hervorgegangenen 31 deutschen Spiele-Nominierungen sind sowohl Produktionen von kleinen als auch von größeren Teams vertreten aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Berlin hat sich inzwischen durchaus zu einem Hotspot für innovative Indie-Games entwickelt. Also Spiele, die von unabhängigen kleinen Teams produziert werden. Ich denke, das spiegelt sich in diesem Jahr auch ein Stückweit bei den Nominierungen wider. Der DCP ist natürlich ein Preis für ganz Deutschland, wovon auch der jährliche Wechsel des Ausrichtungsortes zwischen Berlin und München zeugt.

In welchen Bereichen der Computerspiele hat der DCP in diesem Jahr besonders viel Innovationskraft gezeigt?

Die Spiele zeigen, dass sich die Computer- und Videospiele "made in Germany" nicht vor der internationalen Konkurrenz zu verstecken brauchen. Die digitale Distribution über das Internet ermöglicht es heute auch kleinen Teams und Newcomer*innen, potenziell große Hits am internationalen Markt zu landen. Das beweist aktuell auch die eine oder andere Produktion aus Berlin. Der Überraschungshit "Dorfromantik" beispielsweise kombiniert strategisches Denken mit einer entspannenden Atmosphäre.

Darüber hinaus zeigen Kategorien wie "Beste Innovation und Technologie" und "Bestes Serious Game" das große Potenzial von Games abseits der reinen Unterhaltung. Unter den Nominierungen letzterer Kategorie befindet sich unter anderem ein Einsatzsimulator für Feuerwehrfachkräfte und ein Aufklärungsspiel der Bildungsstätte Anne Frank über Radikalisierung im Netz. Gewonnen hat "Welten der Werkstoffe", ein Point-and-Click-Adventure für Studierende verschiedener Ingenieurstudiengänge.

Ihre Stiftung Digitale Spielekultur möchte ja Chancen dafür eröffnen, was sich mit Denkansätzen, Mechaniken und Technologien hinter Games alles machen lässt. Welche von Ihrer Stiftung initiierten Projekte aus Berlin gehören Ihrer Meinung nach aktuell zu den Highlights?

Wir haben Anfang dieses Jahres mit den Vorbereitungen eines zweijährigen Modellprojekts zum systematischen Einsatz von Games im Unterricht an Berliner Schulen begonnen. Es ist ein wegweisendes zweijähriges Pilotvorhaben im Rahmen unserer Initiative "Games machen Schule", das von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in Berlin gefördert wird. Gemeinsam mit Expert*innen, Wissenschaftler*innen und Lehrkräften werden wir in den nächsten Monaten Unterrichtseinheiten entwickeln, die bestimmte digitale Spiele einbeziehen – das Ganze entlang des Curriculums für die Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik und Geschichte der Jahrgangsstufe 8.

Neben dem grundsätzlichen Einsatz im Unterricht soll geprüft werden, welche digitalen Lernprozesse und Medienkompetenzen sich durch digitale Spiele unterstützen lassen und welche Voraussetzungen dafür in den Schulen und beim Lehrpersonal geschaffen werden müssen.

Können Sie etwas zum generellen Selbstverständnis Ihrer Stiftung sagen? Wie finanzieren Sie sich, wie arbeiten Sie?

Unsere Stiftung versteht sich als Chancenbotschafterin für Games. Wir bauen Brücken zwischen der Welt der digitalen Spiele und den zivilgesellschaftlichen und politischen Institutionen in Deutschland, um mit Hilfe von Games die Digitalisierung zu gestalten. Abgesehen von einer Grundfinanzierung durch unseren Gesellschafter, den game – Verband der deutschen Games-Branche, finanzieren wir unsere Projekte, Studien, Fachtagungen etc. über Drittmittel.

Das Kapital, das wir selbst in die Projekte einbringen, sind unser Know-how, unsere Vision und unser Netzwerk; darauf basiert der Erfolg der Stiftung. Die Projekte selbst entwickeln wir in der Regel in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Partnern und Förderern oder gezielt im Hinblick auf öffentliche Ausschreibungen.

Die Stiftung Digitale Spielekultur realisiert Projekte in den Bereichen Kultur, Bildung und Forschung. Unterscheidet sich das Engagement in den unterschiedlichen Themenschwerpunkten nur inhaltlich oder auch methodisch?

Insgesamt ist die Spannweite unserer Projekte so groß, dass kein Vorhaben dem anderen gleicht. Nicht einmal innerhalb des gleichen Themenschwerpunkts. Denn wir entwickeln die Projekte sehr passgenau anhand der jeweiligen Herausforderungen und Themenstellungen. Natürlich profitieren neue Projekte von den vorhandenen Erfahrungen in unserem Team.

Ein Vorhaben wie das "Games machen Schule"-Modellprojekt in Berlin profitiert zum Beispiel indirekt von unseren Erfahrungen mit den vom Medienboard Berlin-Brandenburg geförderten "Projekttagen Games", die wir seit mehreren Jahren punktuell in Schulen in Berlin und Brandenburg durchführen. Ebenso fließt in das Modellprojekt Know-how von unserer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Initiative "Stärker mit Games" ein, in der wir bildungsbenachteiligten Kindern und Jugendlichen kulturelle Bildung mit Hilfe von digitalen Spielen vermitteln.

Neben der Durchführung von Studien und Modellprojekten, veranstalten wir zum Beispiel auch Fachtagungen oder ganze Event-Reihen wie das "Quartett der Spielekultur". Die Arbeit der bei uns angesiedelten Awardbüros des "Deutschen Computerspielpreises" und des "gamescom awards" sind nochmal ein spezielles Feld für sich.

In einer Initiative widmen Sie sich der Frage, wie digitale Spiele zur Erinnerungskultur beitragen können. Sind daraus bereits Ideen für neue Digitalformate entstanden?

Unsere Initiative "Erinnern mit Games" ist letztes Jahr aus unserem "Pitch Jam" hervorgegangen, einem Ideenwettbewerb und -workshop, in dem Vertreter*innen der Erinnerungskultur zusammen mit Spieleentwickler*innen innovative Konzepte für interaktive Formate und Anwendungen des digitalen Erinnerns entwickelt haben. Ausgezeichnet wurde ein Spielkonzept namens "Peloton", in dem die Spielenden zwischen den Jahren 1930 und 1944 in einer fiktiven deutschen Kleinstadt in einem jährlichen Fahrradrennen gegeneinander antreten. Für Fahrradteile müssen sie mit den Bürger*innen zusammenarbeiten und auf den zunehmenden Einfluss des nationalsozialistischen Regimes reagieren.

Das Team hinter dieser Idee arbeitet aktuell weiterhin an dem Projekt. In unserem Handbuch zum Thema geben wir interessierten Entwickler*innen zudem eine Art Leitfaden für solche Produktionen an die Hand. Den Dialog zwischen Games-Branche und Erinnerungskultur werden wir außerdem am 24. Juni 2021 auf unserer hybriden Fachkonferenz "Erinnern mit Games" weiter vertiefen. Generell lässt sich aber schon jetzt sagen, dass es ein wachsendes Interesse am Potenzial digitaler Spiele bei entsprechenden Akteur*innen der Gedenkarbeit gibt.

Und zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Welche Entwicklungen sind bzw. wären Ihrer Stiftung in diesem Jahr besonders wichtig?

Die Corona-Pandemie hat das Bewusstsein für die schleppende Digitalisierung in Deutschland geschärft. Die Bildung ist sicherlich einer der größten Brennpunkte, aber letztendlich zieht sich die Problematik durch sämtliche gesellschaftlichen Bereiche. Wir möchten mit unserer Arbeit zeigen, dass digitale Spiele für viele Probleme und Fragenstellungen interessante Lösungsansätze bieten, wenn man über den Tellerrand des reinen Unterhaltungsbereichs hinausschaut.

In diesem Zusammenhang liegt uns dieses Jahr vor allem das Thema Demokratie am Herzen. Wie kann und sollte Demokratie im digitalen Zeitalter funktionieren und welche Rolle können Games dabei spielen? Das ist ein Thema, das wir nach der sehr erfolgreichen Online-Fachtagung "Demokratie durchgespielt?" im Oktober 2020 in naher Zukunft in den Fokus rücken wollen.

Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Kontakt

Christopher Hohage

Medienwirtschaft, Medientechnologie, Games, Film- und Fernsehwirtschaft

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