Zukunftskopf: Co-Gründerin und CEO Aimie-Sarah Carstensen von ArtNight
Die Mission der Gründerin Aimie-Sarah Carstensen ist Kreativität zu einer Routine zu machen, die alle lieben. Wie sie das mit ArtNight schafft, erzählt sie uns im Interview. Mehr
Anika Wiest
E-mail: anika.wiest@senweb.berlin.de
Telefon: (030) 90138423
69,3 Millionen Dollar (also etwa 65,8 Millionen Euro) war die digitale Bildcollage des Digitalkünstlers Mike Winkelmann alias Beeple einem Käufer bei einer Christie’s-Auktion im März 2021 wert. Auch wenn davon andere Künstler:innen nur träumen können, zeigt es deutlich: NFTs liegen im Trend. Vor allem die Kreativbranche freut sich. Endlich können Künstler:innen und Kreative ihre Werke schützen. Im Gegensatz zu fungible Tokens sind NFTs nämlich nicht austauschbar und somit vor Kopien und Zerstörung sicher. Außerdem erzielen Kreative eine höhere und damit fairere Gewinnbeteiligung am Verkauf ihrer Werke. Denn bei jedem Verkauf wird die Vermögensübertragung auch in der Blockchain aufgezeichnet. Das ermöglicht der/dem Kreativen, einen Prozentsatz des Verkaufspreises bei jedem weiteren Verkauf des NFT zu erhalten.
Die Sache hat allerdings einen Haken: Wer ein NFT kauft, benötigt eine Kryptowährung und die wiederum basiert auf einer Blockchain, der eine massive CO2-Bilanz nachgesagt wird. Digiconomist hat bereits 2018 berechnet, dass der jährliche Stromverbrauch von Bitcoin gleichwertig mit dem jährlichen Gesamtverbrauch Irlands sei. Eine andere Studie soll ergeben haben, dass der Energieverbrauch der Bitcoin-Blockchain von China die jährlichen Treibhausgasemissionen der Tschechischen Republik und Katars zusammengenommen übersteigt. Auch für NFTs gibt es Berechnungen, die für die Umwelt nichts Gutes vermuten lassen. Am Bekanntesten ist wohl die Untersuchung des digitalen Künstlers Memo Akten. Anhand von 18.000 NFTs hat er herausgefunden, dass der CO2-Fußabdruck eines typischen NFT dem monatlichen Stromverbrauch einer durchschnittlichen EU-Bürgerin oder eines EU-Bürgers entspricht.
Der enorme Fußabdruck liegt nicht nur an einem, sondern an vielen Gründen – oder besser gesagt an vielen Transaktionen. Von der Erstellung über das Anbieten bis hin zum Verkauf und der Eigentumsübertragung sind mit einem NFT zahlreiche Transaktionen verbunden. Diese sind auf Strom angewiesen. Je mehr Transaktionen stattfinden, desto höher ist der Stromverbrauch. Stammen diese nicht aus erneuerbaren Energiequellen, dringt jede Menge schädliches CO2 in die Luft:
CO2-Verbrauch und Transaktion | entspricht |
100 Kg CO2, um ein digitales Kunstwerk zu erstellen | 1-2-Stunden-Flug, z. B. von London nach Frankfurt |
200+ Kg CO2 für den Verkauf mit ein paar Geboten | 3-Stunden-Flug, z. B. von London nach Rom |
500+ Kg CO2 für mehrere Gebote und mehrere Verkäufe | Flug von mehr als fünf Stunden, z. B. von New York nach Los Angeles* |
(https://memoakten.medium.com/the-unreasonable-ecological-cost-of-cryptoart-2221d3eb2053)
Berechnungen wie diese beruhen größtenteils auf NFTs, die auf dem Ethereum Blockchain gespeichert sind. Dieses hat sich zum Standard-Marktplatz für Non-Fungible Tokens herauskristallisiert. Um die Legitimation von Transaktionen zu überprüfen und Daten zu speichern, verwendet Ethereum einen Mechanismus namens „Proof of Work” (PoW). Bei diesem Mechanismus müssen die Teilnehmer des Netzwerks, die Miner, eine bestimmte Aufgabe erfüllen. Der Schnellste darf den entsprechenden Block an die Blockchain anhängen und wird mit der entsprechenden Krypto-Währung, der Coin entlohnt. Dieser PoW Mechanismus ist aufwendig und führt zum unglaublich hohen Energieverbrauch des Netzwerks und damit auch der NFTs führt. Da zwar die meisten, aber nicht alle NFTs auf Ethereum basieren, sind nicht alle gleichermaßen gefährlich für die Umwelt. „Es hängt von der Blockchain ab, die sie verwenden, und davon, wie viele Transaktionen auf ihr abgewickelt werden. Das Problem ist komplizierter, als die Behauptung, dass alles schrecklich ist”, erklärt Susanne Köhler, eine Blockchain-Nachhaltigkeitsforscherin an der Universität Aalborg in Dänemark gegenüber energiewirtschaft.io. So werden die PoW Blockchains zunehmend mit erneuerbaren Energiequellen betrieben. Schon heute stammen 39 Prozent aus grünen Quellen wie Wind oder Sonne, wie 2020 eine Studie der Cambridge University ergeben hat. Dennoch steht fest: „Die Umweltauswirkungen von Proof-of-Work-Blockchains sind enorm“, sagt Köhler. „Es wird angenommen, dass allein das Bitcoin-Mining fast so viel Strom verbraucht, wie alle Rechenzentren der Welt im Moment.”
Lösungen hat die Branche längst erarbeitet: Der Proof-of-Stake-Mechanismus (PoS), der von Blockchains wie Tezos, Solana, Avalanche und Cardano genutzt wird, hat beispielsweise einen weitaus geringeren Energieverbrauch. So hat Tezos etwa einen geschätzten jährlichen Energieverbrauch von 0.00006 TWh, verglichen mit 33.57 TWh für Ethereum. Anders als beim PoW erfolgt die Validierung der Transaktionen nicht durch die Miner, sondern durch sogenannte Validatoren. Je mehr Kapital sie hinterlegt haben (Stake), desto wahrscheinlicher können sie einen Block anhängen. Das Konzept stellt geringere Anforderungen an die Hardware und braucht entsprechend weniger Energie. Eine andere Möglichkeit ist der ebenfalls auf Konsens basierende Delegated-Proof-of-Stake (DPoS). Dabei stimmen Benutzer:innen für Delegierte ab, um den nächsten Block in einer Blockchain zu validieren. Dafür bündeln sie alle Gelder in einem Staking-Pool, die dann mit demjenigen verknüpft werden, für den sie als Delegierter stimmen. Die Block.One Ingenieure schwören mit ihrem Open-Source-Protokoll EOS IO auf diesen Mechanismus. Dieser sei eine effiziente und gleichzeitig energiearme Möglichkeit, eine Blockchain zu betreiben: So können nicht nur 3.996 Transaktionen pro Sekunde durchgeführt werden – im Vergleich zu 15 pro Sekunde auf Bitcoin und Ethereum –, das ist laut Berechnungen von Genereos und Digiconomist 66.454 mal energieeffizienter als Bitcoin und um 17.236 mal mehr als Ethereum. Zusätzlich werden gemeinsam mit ClimateCare sämtliche Emissionen im Offset-Verfahren ausgeglichen. Somit kann sich EOS mit Fug und Recht als „weltweit erste Blockchain mit CO2-neutralen Servern“ bezeichnen. Soweit ist NFT-Marktführer Ethereum zwar noch nicht, aber im Juni 2022 soll eine Umstellung auf den PoS-Mechanismus stattfinden. Dieser Wechsel zu „Ethereum 2.0.“ könnte den Energieverbrauch von NFTs um 99 Prozent senken, meinen Expert:innen.
Wer bis dahin nicht warten möchte, kann auf dem NFT-Marktplatz und Produktionsstudio snark.art schon seit 2018 digitale Werke auf der umweltfreundlicheren Tezos-Blockchain erstellen. Diese Option nutzte etwa der Berliner Künstler 3Dfraction vor Kurzem, um in „Stop the War“ das Drama von Kriegen wie der Russland-Invasion in die Ukraine aufzuzeigen. Er ist nicht der Einzige, der mittels NFTs auf soziale Missstände aufmerksam macht oder nachhaltige Projekte fördert. Auch der World Wildlife Fund for Nature (WWF) machte im November 2021 Schlagzeilen, als er eine eigene Krypto-Kunst in Form von „Non-Fungible Animals (NFA)“ zugunsten des Schutzes von zehn akut bedrohten Tierarten herausgab. Allerdings war die Kampagne nur von kurzer Lebensdauer: Zu groß war der Unmut derer, die NFTs als umweltschädlich betrachten. Zu Unrecht. Denn die WWF-CryptoArt beruht auf der Lösung Polygon, die parallel zu Ethereum laufende „Sidechains“ (Layer 2) nutzt und nur 1 Prozent der CO2 Emissionen einer Ethereum-Transaktion verbraucht. Außerdem läuft Polygon von Anfang an auf PoS.
Auch die NFT-Lösung des Berliner Startups license.rocks setzt auf Polygon – aus mehreren Gründen: „Ich habe von Künstler:innen gehört, dass sie eine ökologisch-nachhaltige Lösung wollen“, erklärt Daud Zulfacar, Managing Director und für Product & Vision zuständig. „Bei einem Hackathon haben wir uns außerdem 2019 mit dem ökologischen und Social Impact sowie den SDG Goals beschäftigt und geguckt, welche der umweltschädlichen Aspekte aus dem Konstrukt rausgenommen werden können. Da sind wir schnell auf Polygon gekommen, weil es damals nicht so viele Angebote gab.“ Die Umweltverträglichkeit sei nur einer der Faktoren für die Entscheidung, die anderen seien Preis und Geschwindigkeit. Denn das Erstellen von NFTs auf Ethereum sei in vielen Fällen zu teuer: „In Deutschland sind wir aber nicht bereit, mehrere hundert Euros für NFTs auszugeben“, weiß Zulfacar, der gemeinsam mit seinen license.rocks-Kollegen im „Collective Berlin“ Musiker:innen und Künstler:innen ermöglicht hat, gemeinsam NFT Tokens zu erstellen und zu veräußern. „Polygon ist ein Hilfsmittel, um kostengünstige und umweltverträgliche NFTs zu erzeugen.“ Diese könnten bald noch klimafreundlicher sein. Vor Kurzem hat das Polygon-Netzwerk nämlich eine Investition von 20 Millionen Dollar getätigt, um noch 2022 mittels Offset CO2-neutral zu werden. Die umweltbewussten Künstler:innen, die license.rocks mit Workshops zu NFTs unterstützt, wird das freuen. Genauso wie andere Pläne des Startups: Gemeinsam mit Picanova, dem Weltmarktführer im Bereich individualisierter Wanddekorations- und Innenausstattungsprodukte, der sich kürzlich an license.rocks beteiligt hat, plant es eine Plattform, die es Künstler:innen und Designer:innen ermöglicht, individualisierte, mit einzigartigen NFT-Kollektionen verbundene Print-Produkte wie Wanddekorationen, Kleidung und Accessoires anzubieten. Diese Plattform soll die On-Chain- und die Off-Chain-Welt miteinander verbinden.
Spannend sind auch andere NFT-Projekte in Berlin. Ein Beispiel dafür öffnete Ende 2021 mit der temporären Urban Art & Culture-Ausstellung GO! NFT seine Türen: Mehr als 80 Künstler:innen aus den Bereichen Graffiti, Tape Art, Installation, Mapping und Augmented Reality haben sich daran beteiligt. Mit dabei war auch eine auf Blockchain basierte Krypto-Kunst, die als NFT (Non-Fungible Token) verfügbar war. Gekommen, um zu bleiben hingegen lautet die Devise des weltweit ersten dezentralisierten NFT-Museums Musee Dezentral im Metaverse (Anm. Link zu DD dazu). „Unsere Vision ist die Darstellungsweise von Kunst auf der Blockchain, die den Austausch zwischen Kunstschaffenden und Kunstsammler:innen revolutioniert – grenzenlos und völlig frei von den Einschränkungen des physischen Raums zu ermöglichen“, beschreibt es Frank Hahn, CEO des Berliner Startups RAVE.SPACE, die diese „Herzensangelegenheit“ ins Leben gerufen haben. „Zu diesem Zweck haben wir eine maßgeschneiderte Grafik-Engine, welche den Zugang von jedem Endgerät ermöglicht – egal, ob konventionelles Smartphone oder neueste VR-Technologie, entwickelt. Wir bieten insgesamt 222 einzigartige Rahmen in verschiedenen Ausstellungsräumen und auf unterschiedlichen Ebenen als NFT an. Jeder Rahmen gibt dem/der NFT-Besitzer/in Zugang zu einem Platz an der Wand des Museums und die Möglichkeit, darin die eigenen sich im Besitz befindlichen NFTs auszustellen. Das bedeutet: Das Musee Dezentral wird nicht von einer zentralen Institution kuratiert, sondern von den 222 (wechselnden) Teilhaber:innen.“ Die NFTs stellt zwar jeder selbst aus, die Rahmen-NFTs sind jedoch als ERC-721-Standard auf der Ethereum Blockchain geminted. Hahn hofft dabei auf den anstehenden Umstieg auf PoS, um dem „gewaltigen Energie-Hunger entgegenzuwirken.“ Schließlich haben RAVE.SPACE noch viel vor: Noch in diesem Jahr sollen weitere Museen in dem Kosmos gelauncht werden.
„Generell ist der Usecase von NFTs gerade mal angeritzt“, ist Hahn überzeugt davon, dass die Technologie Prozesse beispielsweise in den Bereichen wie Immobilien oder Gesundheitswesen deutlich vereinfachen wird. Das biete auch Chancen für die Vielzahl von Berliner Unternehmen, die die Blockchain-Technologie verwenden. „Allerdings müssen wir aufpassen, dass wir nicht nur den US Hypes hinterherlaufen, sondern wirklich nachhaltige Lösungen entwickeln“, ergänzt Daud Zulfacar von license.rocks. Was über dem großen Teich erfolgreich ist, muss noch lange nicht hierzulande funktionieren. Ein Beispiel wäre das Sammeln von Baseball Cards, die ganz einfach auf digitale Units wie NFT zu transferieren sind, „in den USA ist das ein riesiger Markt, immerhin betrifft es ein Fünftel der männlichen Bevölkerung“, sagt Zulfacar, „aber wir haben diese Sammlerkultur gar nicht.“ Für ihn ist NFT weit mehr als eine rein wertsteigendernde JPG. Es sei ein Container für alle möglichen kreativen Ideen, die je nach Usercase entstehen. „Zusätzlich habe ich über die Blockchain einen Vertrauensanker“, meint er.
Vertrauen, Dezentralität, Sicherheit und Transparenz – auch hinsichtlich der eigenen CO2-Emissionen – diese Eigenschaften von Blockchain können in Sachen Nachhaltigkeit von Vorteil sein. Vermutlich wird die Szene schneller als viele andere das Ziel erreichen, von dem die Welt träumt: Net Zero zu sein.
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