Mittlerweile ist Gretchen ein international erfolgreiches Modelabel. Mit welchen Herausforderungen waren Sie zu Beginn konfrontiert? Was hat Sie dennoch veranlasst, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?
Die Schwierigkeit zu Beginn eines Labels ist die abwartende Haltung der Einkäufer. Man bekommt zwar oft begeistertes Feedback, aber von Lob alleine kann ein Label weder überleben noch wachsen. Einkäufer wollen zunächst sehen, ob der Newcomer sich am Markt hält. Es ist überlebenswichtig sich zu fragen: Warum hat dieser Einkäufer nicht gekauft? Was kann ich besser machen an meiner Kollektion, meiner Preisgestaltung? Wo kann ich Kosten sparen? Zudem ist die Gewinnung von Neukunden schwieriger geworden. Es gibt kaum noch individuelle Einzelhändler und nicht den einen Weg, damit umzugehen. Jedoch bieten sich online tolle Chancen, direkt an den Endkunden heranzutreten.
Mein Mann und ich sind in Familienunternehmen groß geworden; vermutlich wurde uns der unternehmerische Geist schon in die Wiege gelegt. Es bringt vieles an Verantwortlichkeiten und Bürden mit sich, aber es gibt einem auch Freiheiten – schließlich gestaltet man nicht „nur“ seine Mode, sondern ein ganzes Unternehmen. Gerade am Anfang, wenn Strukturen und Mitarbeiter fehlen, muss man vieles selber machen. Da gehört es dazu, den Tag über im Büro zu arbeiten, abends für die Messe zu packen und die Nacht durchzufahren nach Mailand, um dann dort seinen Stand aufzubauen. Nach vier Tagen Stress geht es dann die 1000 Kilometer zurück und am nächsten Tag direkt weiter.
Berlin hat die dichteste Modelandschaft Deutschlands. Was unterscheidet Gretchen von den vielen anderen Berliner Labels?
Wir machen Taschen, nicht Mode. Ich denke das ist der größte Unterschied. Ich war auf keiner Modeschule, sondern bin in einer Lederwarenmanufaktur groß geworden. So begeistert und inspiriert mich immer wieder das Naturmaterial und seine handwerkliche Verarbeitung – nicht etwa der letzte Modeschrei. Schon zu Schulzeiten durfte ich erste eigene Entwürfe in der Fertigung mit dem Musterteam umsetzen und während des Studiums eigenverantwortlich Modelle entwerfen und mitentwickeln. Ich habe mich bewusst entschieden BWL zu studieren und mir damit ein solides Basiswissen für die unternehmerischen Aspekte meiner Zukunft erarbeitet.
Mit Trends ist es wie in der Geschichte vom Hasen und Igel: Man will doch nicht immer nur hinterherhecheln, weder als Designer, noch als Endverbraucher. Zum Glück findet ein Umdenken statt in Bezug auf Nachhaltigkeit und Konsum. Der Anspruch zeitloser Ästhetik bei meinen Taschen ist ein Bekenntnis zu Individualität und Langlebigkeit. Unsere Kundin sucht nicht die neueste It-Bag. Sie liebt Mode, sucht aber etwas Wertiges, woran sie viele Jahre Freude haben kann und wird.
Zahlreiche Designer zieht es nach Berlin. Welchen Einfluss hat die Stadt auf Ihre Arbeit? Welche Entwicklungen und Trends sehen Sie für die Modemetropole?
Das Lebensgefühl ist unschlagbar kreativ – hier ist noch viel Raum in den Köpfen der Leute. Berlin ist jung, kosmopolitisch, weltoffen: Das inspiriert jeden Kreativen auf seine Art. Nach Jahren im Ausland war es die einzige Stadt in Deutschland mit genügend Internationalität, die für meinen Mann und mich ernsthaft in Frage kam. Hinzu kommen die günstigen Lebenshaltungskosten, sowohl im nationalen wie internationalen Vergleich.
Die Magnetwirkung Berlins auf junge Kreative wird auch in Zukunft weitergehen. Sicherlich werden wir noch vieles an spannenden, neuen Modelabels, Stores, Galerien und Installationen sehen. Es wird noch mehr Plattformen geben, wie zum Beispiel die Pop-Up-Boxen im Bikini. Konzepte, die die Einzigartigkeit der Stadt hervorheben, braucht es weiterhin.
Ihr Label ist in kürzester Zeit sehr erfolgreich geworden und wurde unter anderem mit dem Red Dot Design Award ausgezeichnet. Was raten Sie gründungswilligen Personen und Startups im Bereich Mode?
Man darf nie vergessen für wen man seine Mode macht, nämlich den Kunden. Viele wollen sich selbst künstlerisch verwirklichen. Doch wer ein professionelles Unternehmen aufbaut, sollte zu einem gewissen Grad kommerziell handeln und denken. Das Wort „kommerziell“ gilt in hippen Modekreisen als Schimpfwort. Man muss aber nur schauen, wer in den letzten Monaten und Jahren stark am Markt gewachsen ist: Michael Kors, Liebeskind & Co.
Für Gretchen lege ich Wert auf eine klare, wiedererkennbare Design-Handschrift. Ich liebe formbetonte, fast schon skulpturale, ausgefallene Modelle, insbesondere Abendformate. Dennoch verstehe ich jede Kundin, die einen unkomplizierten Beutel für den Alltag sucht. Ich muss mich also fragen, wie ich Gretchens Formensprache auch auf eine weiche, beutelige Tasche übertrage. Natürlich gibt es auch verrückte Kunden, aber die sind ja nun mal eher die Ausnahme und genügen nicht, um davon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Berlin ist…
…Currywurst und Kaviar: eine atemberaubende Stadt voller Kontraste!
Anne-Christin Schmitt wuchs im elterlichen Lederwarenbetrieb Otto Kessler auf und designte mit 16 bereits ihren ersten Handschuh. Kurz darauf entwarf sie bereits ganze Kollektionen mit gut 100 Modellen pro Jahr. Nach Ihrem Studium gründete sie 2006 das Label Gretchen und launchte drei Jahre später den eigenen Webshop. 2012 folgten der Flagship Store in den Berliner Hackeschen Höfen sowie zahlreiche Designpreise. Dieses Jahr eröffnete der erste Gretchen Store außerhalb Deutschlands im chinesischen Chengdu.
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