Im Portrait: avant-verlag

Kategorie: Zukunftsköpfe

Johann Ulrich, Gewinner des Großen Berliner Verlagspreis 2022

© avant-verlag

„Eine Explosion von Kreativität, um die uns andere Länder beneiden“ 

Am 13. November 2022 wurde zum fünften Mal, gemeinsam von den Berliner Senatsverwaltungen für Kultur und Europa sowie Wirtschaft, Energie und Betriebe, der Berliner Verlagspreis im Deutschen Theater verliehen. Zusätzlich wird der Preis vom „Operationellen Programm des EFRE Berlin 2014-2020, einer Initiative der Europäischen Union, gefördert. 

Der mit 35.000 Euro dotierte Große Verlagspreis ging an den avant-verlag, der seit seiner Gründung 2001 für ein vielfältiges, anspruchsvolles und sozialkritisches Programm im deutschen Comic steht. Im Statement der sechsköpfigen Jury hieß es: „Wie kaum einem anderen Verlag ist es dem avant verlag in den letzten zwanzig Jahren gelungen, das lange als abseitig und nicht dem Literaturbetrieb zugehörig geltende Genre der Comics und der Graphic Novels auf ein Niveau zu bringen, das nicht erst seit heute ohne weiteres verschiedenste Literatur- und Verlagspreise zugesprochen bekommt.“ 

Von der One-Man-Show zur Erfolgsgeschichte

Von Anfang an verfolgte der avant-verlag das Ziel, eine neue Generation von Comic-Autor:innen und Zeichner:innen zu fördern, denen es gelingt politische und persönliche Geschichten zu erzählen. Ausnahmeautor:innen wie Birgit Weyhe, Manuele Fior, Simon Schwartz, Gipi, Liv Strömquist, David B., Zerocalcare und Joann Sfar prägen den Verlag seit über 20 Jahren und geben ihm sein unverwechselbares Profil. 

Der Startschuss für die Gründung des Verlages erfolgte auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2000, erzählt Gründer Johann Ulrich. Denn bei der Gelegenheit musste der begeisterte Comicleser feststellen, dass die hiesige Verlagsszene den europäischen Autorencomic weitestgehend ignorierte. Wichtige Autoren seien damals nicht auf Deutsch erhältlich gewesen, so Ulrich: „Zu jener Zeit konzentrierte man sich überwiegend auf erfolgreiche Serien und wagte keine Experimente. Aus meiner persönlichen Enttäuschung heraus fasste ich den Entschluss selbst die Bücher zu machen, die ich lesen wollte. Das war anfangs eine One-Man-Show und wurde neben meinem Brot-Job vor und nach der Arbeit gestemmt.“ 

Die allererste Veröffentlichung war der Comic „Berlin 1931“, des spanischen Duos Felipe H. Cava und Raúl Fernández Calleja, die das Berlin der ausklingenden Weimarer Republik in drei Comicgeschichten beschreiben: „Das Buch haben wir vor kurzem übrigens noch einmal aufgelegt, denn dabei handelt es sich um ein Stück moderner Comic-Geschichte“, erzählt Johann Ulrich, der seinen Sprung als Quereinsteiger in die Verlagsszene gewagt hatte: „Das geht durchaus, nur Mut! Wichtig sind der Wille zu Überstunden, Selbstausbeutung und (s)einer Vision zu folgen.   


Comics – aus einem kritischen Geist entsprungen

Bei der Auswahl der Titel geht Johann Ulrich mit seinem vierköpfigen Team und einem großen Stamm an freien Mitarbeiter*innen nach wie vor sehr sorgsam um – sein Verlagsprogramm war und ist mutig, innovativ, kritisch – und vor allen Dingen kreativ: „Nach über 250 Publikationen bestimmt natürlich zunehmend auch die Autor*innenpflege einen gewissen Teil der Programmplanung. Autor:innen, die wir schätzen und mit denen wir erfolgreich zusammenarbeiten, wollen wir auch künftig verlegen“, sagt Johann Ulrich. 

Für neue Titel seien dabei ein gutes Thema und die grafische Unverwechselbarkeit wichtige Kriterien: „Wenn sich beides optimal ergänzt, dann fängt es an interessant zu werden. Es gibt aber nicht das eine Rezept für die Auswahl eines guten Werkes. Vielmehr stellt sich bei jedem Titel die Frage immer wieder erneut: Ist das ein avant-verlag Buch?“ Denn seine Comics sollen zum Verständnis komplexer Zusammenhänge einen wachsenden Beitrag leisten, so Ulrich. Und genau aus diesem Geist würden dann die avant-verlag Bücher entspringen: „Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die wachsende Anzahl junger deutscher Autor*innen, die im avant-verlag in den letzten Jahren debütierten. Hier gibt es geradezu eine Explosion an Kreativität um die uns viele Länder beneiden. Und es gelingt uns zunehmend deutsche Titel auch ins Ausland zu vermitteln. Eine großartige Entwicklung.“ 

Berliner Verlagspreis – Anerkennung und Motivation 

Ausgezeichnet mit dem Deutschen Verlagspreis 2020 und 2021 und der „Aventurier de la culture“-Ehrung durch das französische Kultusministerium konnte der avant-verlag schon einige Trophäen sammeln. Dennoch sei der Berliner Verlagspreis eine ganz besondere Ehre auf die das gesamte Team stolz sei: „Gerade als Comic- und Graphic Novel-Verlag ist es nicht alltäglich im Literaturbetrieb gleichberechtigt wahrgenommen zu werden. Dass sich hier einiges verändert hat, ist eine Entwicklung, von der man vor 20 Jahren nur träumen konnte. Und gerade Berlin ist hier wesentlich fortschrittlicher als andere Kommunen, wie man beispielsweise auch an den seit einigen Jahren etablierten Comic-Stipendien sehen kann. Dennoch ist es gerade angesichts der Herausforderungen der letzten Jahre wichtig zu erfahren, dass unsere Arbeit von der Jury gesehen und für preiswürdig befunden wurde. 

Diese aktuelle Anerkennung ist viel Motivation und auch Verpflichtung für unsere kommenden Projekte“, betont Verlagsleiter Ulrich. 

Stars der Branche debütieren im avant-verlag

Das Preisgeld von 35.000 Euro fließt unter anderem auch in die zahlreichen Neuerscheinungen, die für das kommende Jahr geplant sind. Besonders freut sich Johann Ulrich im Frühjahrsprogramm auf das neue Buch „Liv Strömquists Astrologie“. Denn die Publikation hält noch ein besonderes Highlight bereit: So wird es in der avant-verlag Ausgabe sogar 30 zusätzliche Seiten gegenüber der schwedischen Originalausgabe geben: „Besonders stolz bin ich außerdem mit ‚Hypericum’ ein neues Buch von Manuele Fior im Programm zu präsentieren. Der Italiener gehört heute zu den europäischen Stars der Branche und ich habe vor 15 Jahren seine erste Geschichte verlegt! Ebenfalls erwähnenswert, das Debüt von 

Helena Baumeister, einer jungen Hamburger Autorin, die in ‚oh cupid’ über ihre Erfahrungen mit Dating-Apps erzählt. Angesichts solcher jungen Autor:innen muss man sich keine Sorge über die Zukunft des Genres und des avant-verlags machen.

Das Team bereitet sich bereits heute auf die Leipziger Messe im Frühjahr vor: „Denn wir haben unsere schwedische Bestseller-Autorin Liv Strömquist eingeladen. Zudem planen wir 

mit ihr eine Veranstaltung in Berlin. Die Zusage dafür ist gerade erfolgt. Im Sommer steht mit dem Comicfestival München die wichtigste Comic-Veranstaltung dieses Jahres an. Dort werden wir wie in der Vergangenheit wieder etliche nationale und internationale Stars der Comicszene vor Ort präsentieren. Es bleibt spannend.“ 

Über den Berliner Verlagspreis

Ins Leben gerufen wurde der Berliner Verlagspreis im Frühjahr 2018 von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Mit insgesamt 68.000 Euro ist der Berliner Verlagspreis die am höchsten dotierte Auszeichnung ihrer Art in Deutschland. Ziel des Preises ist es, die Vielfalt der Berliner Verlagsbranche zu fördern, den Verlagsstandort Berlin zu stärken und die ambitionierte Arbeit der unabhängigen Publikumsverlage in Berlin zu würdigen.

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