Voland & Quist: „Der Preis macht deutlich, dass wir in Berlin angekommen sind.“
Der Verlag Voland & Quist ist Preisträger des diesjährigen Großen Berliner Verlagspreises. Ein Interview mit dem Verleger Leif Greinus. Mehr
Anika Wiest
E-mail: anika.wiest@senweb.berlin.de
Telefon: (030) 90138423
„Wie auch schon in den Vorjahren müssen und wollen wir auch dieses Jahr die besondere Bedeutung der Verlegerinnen und Verleger für die unabhängigen Verlage hervorheben. Beim TRANSIT Verlag sind dies Gudrun Fröba und Rainer Nitsche. Sie haben die Idee des Verlages entwickelt und diesen durch Höhen und Tiefen mehr als vierzig Jahre erfolgreich in der Buchwelt platziert. [...] Liebe Gudrun Fröba, lieber Rainer Nitsche, Euch und allen anderen Mitstreiterinnen und Mitstreitern des TRANSIT Verlags ist es gelungen, seit über 40 Jahren einen Verlag mit Leben zu füllen, der sich durch sorgfältig hergestellte und stets lesenswerte Bücher auszeichnet! Im Namen Eurer Leser danken wir dafür und gratulieren von Herzen zum Berliner Verlagspreis 2024!” Gemeinsam mit Laudator Gerrit Schoof, Jury-Mitglied des Berliner Verlagspreises 2024, gratulieren wir dem Verlag zur Auszeichnung. Freuen durfte sich der Verlag bei der Preisverleihung am 3. November 2024 über ein Preisgeld von 15.000 Euro.
Was bedeutet Ihnen und Ihrem Team diese Auszeichnung?
Der Berliner Verlagspreis ist für uns durchaus eine Art Anerkennung. Ich würde frech sagen: eine verdiente Anerkennung für das, was wir über lange Zeit gemacht haben – in schwierigen und in einfachen Zeiten, angefangen in West-Berlin bis heute. Wir befinden uns in einer wahnsinnig interessanten Phase, in der man als kleiner Verlag gut aufpassen muss, nicht unterzugehen. Also: Ich fand, es war an der Zeit.
Sie schreiben auf Ihrer Internetseite: Der TRANSIT Verlag wurde 1981 in einer „abenteuerlichen Zeit“ gegründet. Was bedeutete diese Zeit für Ihren Verlag?
Diese Zeit schlägt sich bis heute nieder. Unsere Anfangszeit haben wir in West-Berlin verbracht, in den späten 1970er, frühen 1980er Jahren. Es herrschte eine kulturelle Aufbruchszeit.
Das Motto: Wir müssen dem, was uns nicht gefällt, etwas entgegensetzen. Das führte dazu, dass in einem Teil von West-Berlin, aber auch anderswo in allen möglichen Bereichen Initiativen tätig wurden. Heute würde man „Start-ups” dazu sagen. Wir wollten zeigen, dass es auch anders und besser geht.
Was prägte Ihre Philosophie und das Programm, das Sie aufbauen wollten?
Es gab so eine aufgestaute Energie. Aufgestaut, weil man immer nur gegen etwas war. Viele dachten: Mein Gott, man kann doch nicht sein ganzes Leben damit verbringen, gegen etwas zu sein, immer nur in Opposition. Wir müssen etwas Neues, Überraschendes, Anderes schaffen. Dieser Impuls trägt uns bis heute.
Wir haben uns ja auch nicht zufällig TRANSIT Verlag genannt: Wir wollen Schubladen aufbrechen – hier Belletristik, dort Sachbuch und so weiter. TRANSIT ist eine Metapher dafür, neue Perspektiven, neue Horizonte zu entdecken und aufzuzeigen. Das war das Programm.
Am Anfang ging es zum Beispiel um die Hausbesetzungen. Wir wollten keine Texte mit aktuellen Hausbesetzer:innen machen, sondern in der Geschichte schauen: Wo gab es früher schon solche Bewegungen? Wo schlossen sich Menschen zusammen? Wie organisieren sich Obdachlose? Da sind wir sehr fündig gefunden. Aber die Hausbesetzer:innen fühlten sich als historisch einmalige Avantgarde, die wollten von historischen Parallelen lieber nichts wissen. Nicht allen Menschen gefällt es, wenn Horizonte erweitert werden.
Wir haben dann sehr viele Kulturgeschichten gemacht, zum Beispiel über die Berliner S-Bahn. Eine Mischung aus literarischen Texten – Uwe Johnson, Günther Kuhnert aus Ostberlin – von Menschen, die sich mit der Geschichte auskannten. Eine Fotografin war auch dabei, die völlig verfallene S-Bahnhöfe fotografiert hat. Auch das hat manchen nicht gefallen, weil die S-Bahn damals ja von der Reichsbahn, also der DDR betrieben wurde, da gab es heftige Aversionen. Aber unsere Meinung war: Die S-Bahn ist ein wichtiger Teil der Berliner Geschichte, Kulturgeschichten, flankiert von Sozial- und Politikgeschichte, fanden viele Leser und Leserinnen. Sie boten einen ganz neuen Blick auf ganz selbstverständliche Dinge des alltäglichen Lebens.
Was macht Berlin 2024 zu einem spannenden Literaturort?
Berlin war und ist – wenn auch nicht mehr ganz so stark – immer eine Stadt, in der einen die Geschichte buchstäblich überfällt. Früher mit den unglaublich vielen Kriegsruinen, die bis zur Wende – in Ost-Berlin auch danach – stehen blieben und nicht gleich überbaut wurden. Berlin war lange Nachkriegsstadt. Dazu kamen Menschen, die einem erzählten, was zum Beispiel in der Nazizeit in ihrer direkten Umgebung passiert war. Man stieß also dauernd auf Geschichte, ob man wollte oder nicht.
Und das ist bis heute so, nicht mehr ganz so transparent wie damals. Vieles ruht in sich und in bestimmten Szenen, die nicht miteinander kommunizieren. Das ist tatsächlich ein Jammer – und das versuchen wir in unseren Büchern zu durchbrechen.
Welche Szenen meinen Sie damit konkret?
Wir machen relativ viele Bücher mit jüdischen Autorinnen und Autoren, aber auch mit Menschen, die als Palästinenser gelten, obwohl sie in Israel wohnen. Wir bereiten gerade ein Buch vor, das im polnisch-belarussischen Grenzbereich spielt. Dort leben polnische, also katholische, russisch-orthodoxe und jüdische Menschen zusammen.
Wir sind nicht pädagogisch, aber wollen mit guten Autor:innen zum Ausdruck bringen: Wir leben zusammen auf einer Erde und wir müssen miteinander zurechtkommen. Solche Bücher produzieren wir gerne und so wird auch unser Verlagsname immer wieder mit ganz neuen Themen und Texten belebt – das gefällt uns.
Jörg Plath vom Deutschlandfunk Kultur beschreibt Ihren Verlag als „Wilderer zwischen den Gattungen und Erzählweisen.“ Was reizt Sie daran, genreübergreifend zu arbeiten und nicht nur an konventionellen Buchformaten festzuhalten?
Als wir anfingen, gab es die Schubladen „Poesie”, „Sachbuch”, „Reportagen” und so weiter. Das haben wir stark gemischt, indem wir in unseren Büchern verschiedene Genres miteinander kombiniert haben. Was wir am besten finden, sind Bücher wie Wir Sklaven von Suriname von Anton de Kom. Das südamerikanische Land Suriname grenzt an Brasilien, und de Kom ist Enkel von Sklaven, die von den Niederlanden aus Afrika gestohlen und in die damalige Kolonie verschleppt wurden.
Er war der Erste in seiner Familie, der lesen und schreiben konnte. Entwickelt hat er sich zu einem sehr kritischen Journalisten, weshalb er verfolgt und auch eingesperrt wurde. Er nutzte die Zeit, um ein Buch über die Sklaverei, aber eben auch über das Land Suriname zu schreiben. So ist ein autobiografisches Buch entstanden, das auch der Frage nachgeht, wie die Niederländer:innen als Sklavenhalter tätig waren. Es ist sehr politisch, hat aber fast auch lyrische Passagen – über die Schönheit des Landes, in das de Koms Familie unfreiwillig geraten war.
Ihr Programm umfasst eine erstaunliche Bandbreite – von Kulturgeschichte und Satire bis hin zu politischen Krimis. Was würden Sie sagen: Was ist Ihr Kernpublikum?
Was wir nie gemacht haben, ist, an eng definierte Zielgruppen zu denken. Das ist auch das, was Jörg Plath gemeint hat. Wir merken, dass wir mit unseren Büchern die unterschiedlichsten Menschen erreichen. Leute, die sich für besondere Literatur, die sich für besondere Aspekte von Geschichte interessieren. Für Übersetzungen aus Ländern, die man vom Namen her kennt, aber nichts darüber weiß. Jetzt gerade machen wir drei Bücher aus den Philippinen.
Wie geht es mit TRANSIT im kommenden Jahr weiter – gibt es neue Projekte oder Schwerpunkte, auf die Sie besonders gespannt sind?
Wir haben schon länger ein Projekt „Crossing the borders”, also Grenzüberschreitungen, im Kopf. Hier haben wir Kontakt zu Autor:innen, deren Inhalte zu diesem Thema passen würden. Der Berliner Verlagspreis versetzt uns in die Lage, gute Übersetzer:innen oder Vorschüsse für Autor:innen, die wir normalerweise nicht zahlen könnten, zu zahlen.
So erweitert sich unser Spielfeld und wir sind jetzt dabei, die nächsten Jahre zu planen: Wir haben zwei Titel aus der Ukraine und jeweils einen Titel aus Albanien, Polen, Portugal und den Niederlanden. Die Auszeichnung nehmen wir als Anschub, ein neues, kleines Programm in unserem großen Programm aufzubauen. Sie gibt uns also mehr Freiheiten.
Zum Abschluss: Was würden Sie anderen kleinen und unabhängigen Verlagen raten, die sich heute mit ungewöhnlicher und anspruchsvoller Literatur positionieren wollen? Welche Erfahrungen möchten Sie weitergeben?
Es ist schwierig, denn es herrscht eben eine Krise in unserer Branche. Das Nadelöhr, durch das man an die Leser:innen herankommt, wird immer enger: die abnehmende Zahl der Buchhandlungen, die uns präsentieren, die großen Ketten, die das Sagen haben und kleinere Verlage nicht ins Programm nehmen. Bei Thalia & Co. kommen unsere Vertreter:innen gar nicht erst rein. Das ist eine wahnsinnig schwierige Situation. Wir wurden von kleinen und mittleren Buchhandlungen bisher gut unterstützt. Und das nimmt ab, weil die Zahl der Buchhandlungen abnimmt. Man muss also schauen, wie man auf andere Weise an Leser:innen herankommt.
Wir haben zum Beispiel auf dem Charlottenburger Weihnachtsmarkt einen Stand mit zwei, drei anderen Verlagen zusammen. Dort besuchen uns Menschen, die ganz überrascht sind, uns beziehungsweise unsere Bücher zu finden. Das sind Menschen, die vielleicht in die Thalia- oder Hugendubel -Buchhandlungen gehen und unsere Bücher dort gar nicht sehen. Unser Stand bietet so ein positives Erlebnis mit Überraschungseffekt.
Eine neue, wichtige Beobachtung dabei ist auch: Den Menschen ist es völlig egal, ob das Buch ganz neu erschienen ist oder nicht. Wir sind stolz auf unsere Backlist und halten viel länger Bücher vor als größere Verlage. Wir haben sogar noch Bücher aus unserem ersten Jahr.
Unsere Branche ist nach wie vor so spannend wie kaum eine andere, und dass etliche aufhören, ist wie ein Schatten, der sich auf uns legt, der uns aber nicht resignieren lassen darf. Toll, dass es Menschen gibt, die immer noch neue Verlage gründen oder gründen wollen. Sie haben eine Zukunft, wenn sie sich immer wieder neue Wege einfallen lassen, auf ihre Bücher aufmerksam zu machen und Menschen zum Lesen zu animieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
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