Wenn sich jemand mit dem Deutschen Fairnesspreis auskennt, dann ist es wohl ChrisTine Urspruch: Im vergangenen Jahr wurde die Schauspielerin für die Produktion „Dr. Klein“ und die herausragende Darstellung von Diversität mit dem neu geschaffenen Award ausgezeichnet, den Projekt Zukunft auch in diesem Jahr wieder unterstützt. In diesem Jahr ist ChrisTine Urspruch als Jurymitglied des Deutschen Schauspielpreises mit von der Partie. Wir haben mit der Wahlallgäuerin, die bereits seit 2002 in die Rolle der Alberich im Münsteraner Tatort schlüpft,über das Thema Streitkultur, gepflegtes Diskutieren und die Wirkkraft des Gewinnerfilms „Born in Evin“ von Maryam Zaree gesprochen.
Hallo Frau Urspruch, im vergangenen Jahr wurde Sie mit dem Fairnesspreis beim DSP ausgezeichnet. Welche Bedeutung hatte der Award für Sie persönlich?
Es war uns und mir eine unbändige Freude mit dem Fairness Award 2019 ausgezeichnet zu werden und wir haben den Preis als große Anerkennung unseres Schaffens entgegen genommen. Denn es steckte viel Herzblut und eine tiefgehende Verbundenheit mit den manchmal skurrilen Rollen und den damit verbundenen Themen in unserer Arbeit.
Die Serie „Dr. Klein“ griff gesellschaftsrelevante Themen auf, spiegelte ein diverses Bild unserer Gegenwart wider, ohne moralisch oder altmodisch zu sein und war: gute Unterhaltung! Der Preis ist ein gemeinsames Kind unseres Berufsverbands BFFS in Kooperation mit ver.di. Die Zusammenarbeit stärkt uns Kulturschaffenden seit Jahren den Rücken. Daher hat der Fairness Award eine wichtige Bedeutung und war für uns Preisträger ein wohltuendes Lob.
Im zweiten Jahr des Fairnesspreises wird nach „Diversität“ ein weiteres wichtiges Thema unserer Zeit aufgegriffen: die Streitkultur. Welche Bedeutung hat diese für das Schauspiel und die Gesellschaft allgemein?
Auffällig war, dass in den Filmbeiträgen, die zum diesjährigen Fairnesspreis vorgeschlagen wurden, Konflikte nicht ausgetragen wurden, sich entweder die Fronten verhärteten oder es zu einem tragischen Ende kam. Schauspielerisch ist das eine willkommene Herausforderung. Doch spiegelt es den Tatbestand wider, dass es gegenwärtig nicht auf alle globalen oder privaten Fragen eine Antwort gibt.
Wird die Streitkultur im öffentlichen Raum heute noch genauso gepflegt, wie früher, oder hat hier ein Paradigmenwechsel stattgefunden? Was macht eine gute Debatte aus, sowohl im Politischen, im Beruf und in der Partnerschaft?
Wenn ich darauf eine Antwort hätte, würde ich vielleicht für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen… Wenn man sich die Bundestagsdebatten der 70er und 80er Jahre anschaut, sieht man, dass damals noch vehementer, unverblümter gestritten und debattiert wurde. Doch möchte ich nicht die Vergangenheit verklären. Wichtig ist immer eine faire Kommunikation, eine Offenheit und Klarheit, auch, wenn’s mal wehtut. Ich arbeite immer wieder mit Jugendlichen zusammen und stelle bei ihnen eine große Toleranz und Akzeptanz in allen möglichen Gesellschaftsfragen fest, z. B. bei Umweltschutz, Nachhaltigkeit, sozialen Fragen. Ich hoffe auf unsere Kinder und deren Bekenntnis zur offenen Kommunikation und Toleranz.
Öffentliche Konflikte entgleiten immer häufiger ins Persönliche, vor allem in den sozialen Medien. Wie geht man mit Kritik und oftmals auch Anfeindungen als Schauspielerin um, besonders in der heutigen Zeit?
Wir machen uns durch die Aufmerksamkeit der öffentlichen Medien sehr präsent und gleichzeitig angreifbar. Fluch und Segen zugleich. Damit Anfeindungen nicht entgleiten, ist es wichtig seinen persönlichen Schutz und seine Privatsphäre zu pflegen. Bei Frauen, die im öffentlichen Leben stehen und dafür angefeindet werden oder sogar Morddrohungen erhalten, nur weil sie Frauen sind, ist das beschämend, diskriminierend und feige. Solche Anfeindungen entbehren jeder Grundlage, stehen für Dummheit und Beschränktheit. Niemand sollte sich davon unterkriegen lassen. Zum Glück leben wir in einem Rechtsstaat.
Sie haben als Teil der Fairnesspreis-Jury Maryam Zarees Dokumentarfilm „Born in Evin“ in diesem Jahr ausgewählt. Wie hat Sie der Film berührt und überzeugt, vor allem unter dem Aspekt der Eigenverantwortung und des konstruktiven Streitens?
Maryam Zaree geht in ihrem Dokumentarfilm „Born in Evin“ den Spuren ihrer Herkunft nach, da, wo das Leben Lücken hinterlassen hat, die sie wie Puzzleteile zusammensetzen möchte. Das sind schmerzliche Erfahrungen und Erkenntnisse, die sie im Privaten wie im Politischen macht. Der Film berührt sehr, weil nicht alles verschwiegen und vieles doch nicht ausgesprochen werden kann. Sie erfährt zwischen diesen Polen eine große Solidarität und neue Wahrheit.
Wie sah es bei der Diskussionskultur der Jurysitzung aus? Wie sehr wurde um die Entscheidung gerungen und gestritten, bevor man sich auf den Film geeinigt hatte?
Wir Jurymitglieder kommen aus unterschiedlichen Gewerken, vom Drehbuchautor, über Maskenbildner bis hin zur Vertreterin von ver.di. Es war auffällig, dass wir uns relativ schnell auf unsere Favoriten einigen konnten. Es war eine einvernehmliche, demokratische Entscheidung. Die Jurysitzung fand, der Zeit geschuldet, online statt, was ich als eine neue Gesprächskultur betrachte. Weil übertragungstechnisch nicht immer alles einwandfrei funktioniert, macht man beim Sprechen mehr Pausen, gibt den Gesprächspartnern mehr Raum, um sich zu vergewissern, dass alle alles verstanden haben. Diese entschleunigte Kommunikation passt wie die Faust auf’s Auge zum Fairness Award!
Mit wem streitet es sich am besten? Der Münsteraner*in, der Allgäuer*in oder doch der Berliner Schnauze?
Bei der Beantwortung der Frage muss ich aufpassen, dass ich nicht in Klischees verfalle, was mir wahrscheinlich nicht gelingen wird…
Die Allgäuerin, der Allgäuer klagt immer mal wieder, nimmt vieles hin („es isch halt so“), und wenn es doch mal zu Streitigkeiten kommt, gibt es viele Feste, bei denen man sich wieder versöhnt.
Mit der „Berliner Schnauze“ ist ein Streit oft kurz und schmerzlos. Ein Gewitter, was sich entlädt und dann „is wieda jut“. Da kiekste, wa?
Münster als historisch geprägte Stadt des Westfälischen Friedens pflegt eine ausgeglichene, gleichberechtigte Kommunikation, siehe Boerne und Alberich…
Durch verschiedenste Film-, Fernseh- und Theaterproduktionen sind sie dem Berliner Standort verbunden. Was zeichnet diesen im gesamtdeutschen Kontext aus?
Berlin als kulturellem Standort fliegen viele Sympathien zu. Wenn man erzählt, ich habe dort ein Bühnenengagement oder drehe da oder am besten noch beides, dann „hat man’s geschafft.“ Kulturschaffende aus aller Welt kommen in Berlin zusammen und das spiegelt sich in der kulturellen Vielfältigkeit der Stadt wider. Ich hatte es geschafft, ein paar Jahre an der Berliner Volksbühne zu spielen. Wir waren mit unserer Produktion „Die (s)panische Fliege“ in die ganze Welt eingeladen. Das gelingt einem Berliner Theater durch den Stellenwert und die Kontakte leichter, als anderswo. So fühlte ich mich wie eine Kulturbotschafterin, gesandt aus Berlin!
Vielen Dank für das Gespräch.