TRANSIT Verlag: „Wir wollen Schubladen aufbrechen.”
Der TRANSIT Verlag ist Preisträger des Berliner Verlagspreises 2024. Ein Gespräch mit Verleger Rainer Nitsche. Mehr
Anika Wiest
E-mail: anika.wiest@senweb.berlin.de
Telefon: (030) 90138423
Seit 2017 macht sich das Social Entrepreneur Netzwerk Deutschland, kurz SEND, für Sozialunternehmen stark. Dass das Thema längst die Nische gesprengt hat, zeigt das stetige Wachstum: Mittlerweile umfasst das Netzwerk über 800 Mitglieder in ganz Deutschland.Geschäftsführerin Daniela Deuber erzählt uns von den Herausforderungen und der wachsenden Bedeutung sozial agierender Unternehmen im spannenden Interview.
Da es in Deutschland keine staatlich adaptierte Definition von Social Entrepreneurship gibt, haben Sie 2019 eine Definition erarbeitet: Was bedeutet Social Entrepreneurship für SEND?
Die Definition lautet: „Das primäre Ziel von Social Entrepreneurship ist die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen. Dies wird durch kontinuierliche Nutzung unternehmerischer Mittel erreicht und resultiert in neuen und innovativen Lösungen. Durch steuernde und kontrollierende Mechanismen wird sichergestellt, dass die gesellschaftlichen Ziele intern und extern gelebt werden.“
Von wie vielen solcher Social-Unternehmen sprechen wir in Deutschland?
Mehrere Studien zeigen, dass Social Entrepreneurship längst kein Nischenthema mehr ist. In einer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie veröffentlichen Studie aus dem Jahr 2016 wird die Anzahl der Sozialunternehmen in Deutschland auf etwa 70.000 geschätzt. Andere Studien gehen von weitaus mehr Sozialunternehmer:innen aus. So gibt eine KfW-Studie an, dass alleine zwischen 2012 und 2017 108.000 neue Social Enterprises in Deutschland gegründet wurden. Da das Thema Social Entrepreneurship in Deutschland weiterhin immer präsenter wird, dürfte die Zahl der bestehenden Sozialunternehmen und Neugründungen noch weitaus höher sein. Auch die Ergebnisse unseres diesjährigen Deutschen Social Entrepreneurship Monitor (DSEM) unterstreichen, dass die Zahl der Neugründungen im Social Entrepreneurship Sektor zunimmt.
Wie ist Deutschland im internationalen Vergleich aufgestellt?
In Deutschland herrscht weiterhin Ausbaubedarf bei der Förderung von Sozialunternehmer:innen. Insbesondere das Thema Finanzierung stellt noch immer viele Sozialunternehmen vor große Hürden und wurde auch im letzten DSEM als eine der Top 3 Herausforderungen für Social Enterprises identifiziert. Viele andere Länder sind bei der Förderung von Social Entrepreneurship schon weiter als Deutschland, wie die Studie „The best countries to be a social entrepreneur“ der Thomson Reuters Foundation aus dem Jahr 2019 verdeutlicht. Hierin landete Deutschland gerade einmal auf Platz 21 von 44 untersuchten Ländern.
Dennoch hat sich auch hierzulande viel getan…
Ja, nachdem im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung dann auch die Stärkung von Social Entrepreneurship und Sozialen Innovationen als Ziel verankert wurde, haben die Regierungsparteien inzwischen auch zuständige Referate im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geschaffen. Wir freuen uns, dass mit der Erarbeitung der „Nationalen Strategie für Sozialunternehmen und Soziale Innovationen“ nun ein wichtiger Schritt zur Förderung von Social Entrepreneurship umgesetzt wird und dass diese in engem Austausch mit dem Sektor entsteht.
Sie haben bereits erwähnt, dass die Finanzierung eines der Schlüsselthemen für Social Entrepreneurs ist. Wo liegen die größten Hürden?
Als eine der größten Hürden nennen unsere DSEM-Social-Enterprises die Komplexität öffentlicher Finanzierungsmöglichkeiten. Aber auch der Zugang zur Startfinanzierung und später zur Folgefinanzierung stellt für viele Sozialunternehmen eine Herausforderung dar. Es fehlt hier an geeigneten Finanzierungsinstrumenten, unter anderem weil die Gründungen nicht Exit-orientiert sind oder weil es für ihre Produkte oder Dienstleistungen gegenwärtig keinen Marktwert gibt, obwohl sie großen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen.
Auch eine geringe Sichtbarkeit beziehungsweise mangelndes Verständnis für eine andere Wirkungsweise führen dazu, dass es vielen Sozialunternehmer:innen schwerfällt, geeignete Geldgeber:innen und Investor:innen für ihre Projekte zu finden. Beispielsweise ist im Bereich Impact Investing in Deutschland noch einiges an Luft nach oben – insbesondere im Vergleich mit den angelsächsischen Ländern.
Im September haben die SEND-Mitglieder WASH United, Digitale Helden und Viva con Agua im Austausch mit anderen gemeinwohlorientierten Organisationen die „5 Leitprinzipien für die Förderung sozialer Innovationen in Deutschland entwickelt. Wie lauten diese?
Die 5 Leitprinzipien für die Förderung Sozialer Innovationen in Deutschland lauten:
1. Wirkung priorisieren
2. Bürokratie minimieren
3. Längerfristig fördern
4. Flexibilität und Mut zum Risiko
5. Finanzielle Wertschätzung
Was versprechen Sie sich davon?
Um die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, brauchen wir langfristige und systemische Lösungen, keine kurzfristige Symptombekämpfung. In Deutschland haben wir eine Goldmine an gemeinwohlorientierten Organisationen. Leider können diese häufig nicht ihr volles Potenzial entfalten, weil die Förderung ihrer Lösungen schwer zugänglich bzw. die Förderlogik nicht explizit auf diesen besonderen Bereich Die 5 Leitprinzipien sollen helfen, die Förderlogik Sozialer Innovationen zu modernisieren und damit möglichst effektiv vorhandene Lösungen voranbringen und die Entwicklung neuer Lösungen anstoßen. Sie können zur Orientierung für sinnstiftende Allianzen zwischen Sozialinnovator:innen und Förderinstitutionen herangezogen werden. Wir finden das eine wichtige Initiative aus unserem Netzwerk und unterstützen sie bestmöglich.
Die Initiative scheint ein gutes Beispiel für Ihren Leitsatz #GemeinsamWirken zu sein. Warum ist die Kooperation insbesondere für Soziale Unternehmen wichtig?
Um dem Social Entrepreneurship Sektor Gehör zu verschaffen, ist es wichtig, mit einer starken und geeinten Stimme aufzutreten. Ein professionelles Netzwerk ist dabei notwendig, um klarzumachen: Social Entrepreneurship hat ein riesiges Potenzial, und um dieses Potenzial zu verwirklichen, braucht es Verbesserungen der politischen Rahmenbedingungen für Sozialunternehmen und eine Zusammenarbeit mit anderen Sektoren und Akteuren, wie Unternehmen der klassischen Wirtschaft oder Akteuren der Wohlfahrt. Social Entrepreneurship ist ein essentieller Baustein bei der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen, aber ohne ein #GemeinsamWirken werden wir die Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht, nicht bewältigen können.
Ab 2023 startet eine neue Aktion in Deutschland, die Buy Social Corporate Challenge. Können Sie mir dazu Näheres verraten?
In unserem Buy Social Deutschland Projekt unterstützen wir klassische Unternehmen und Sozialunternehmen dabei Partnerschaften in Lieferketten einzugehen. Durch den Einkauf bei Sozialunternehmen können klassische Unternehmen echte Nachhaltigkeitsinnovationen in ihre Lieferketten integrieren und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Die Sozialunternehmen profitieren wiederum von der Zusammenarbeit und können noch mehr gesellschaftliche Wirkung erzielen. Wir sehen darin eine Win-Win-Win Situation: Für die klassischen Unternehmen, für die Sozialunternehmen und für uns als Gesellschaft – durch mehr Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung.
Berlin soll als Hotspot für die Soziale Ökonomie gelten und eine Vorreiterrolle für andere Städte und Regionen einnehmen. Wo steht das Land Ihrer Ansicht nach?
Berlin ist Deutschlands Hotspot für Social Entrepreneurship. So geben 19,2 % unserer DSEM-Social-Enterprises an, ihren Hauptsitz in Berlin zu haben. Doch auch hier fehlt es an bedarfsgerechter Unterstützung. Wichtige Schritte in die richtige Richtung wurden mit dem Projekt Social Economy Berlin getan, das von der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe finanziert und langfristig verstetigt werden soll. Auch die Öffnung einiger Förderprogramme, wie dem „GründungsBONUS“ der IBB oder dass in Deutschland noch einmalige Bürgschaftsprogramm „BBBsocial“ von der BürgschaftsBank Berlin zeigen, dass sich in Berlin etwas tut. Wir sind uns sicher, wenn die Unterstützungsangebote weiter angepasst und ausgebaut werden, kann Berlin in den nächsten Jahren auch im europäischen Vergleich eine wichtige Rolle bei den Themen Soziale Ökonomie und Sozialunternehmertum einnehmen. Die Gründer:innen haben sich bereits auf den Weg gemacht oder stehen in den Startlöchern – jetzt kommt es auf die richtige Förderung an, um das Potenzial der Hauptstadt voll auszuschöpfen.
Fünf Jahre SEND e.V.: Auf welche Meilensteine sind Sie als Netzwerk besonders stolz?
Ein Highlight der letzten Jahre bei SEND war sicherlich unsere #WegeBereiten-Kampagne vor der letzten Bundestagswahl. In dieser haben wir den Dialog zwischen Politik und Sozialunternehmen gestärkt und die Wichtigkeit sozialer Innovationen im Wahlkampf hervorgehoben. Insgesamt fanden zehn Politik-Talks mit 29 Vertreter:innen aus der Politik statt, zudem haben uns Spitzenpolitiker:innen aller demokratischen Parteien Video-Statements zu ihren Plänen für Social Entrepreneurship mitgegeben. Besonders gefreut hat uns, dass die neue Regierung schließlich auch eine stärkere Förderung von Sozialunternehmertum und Sozialen Innovationen im Koalitionsvertrag verankert hat.
Und generell freuen wir uns, dass unser Netzwerk in relativ kurzer Zeit so groß geworden ist und wir inzwischen schon über 800 Mitglieder und tolle Partnerorganisationen bei SEND versammeln können. Das bestärkt uns in unserer Sache und in unserem #GemeinsamWirken.
Danke für das Gespräch und alles Gute für die nächsten 5 Jahre.
Der TRANSIT Verlag ist Preisträger des Berliner Verlagspreises 2024. Ein Gespräch mit Verleger Rainer Nitsche. Mehr
Der Verlag Voland & Quist ist Preisträger des diesjährigen Großen Berliner Verlagspreises. Ein Interview mit dem Verleger Leif Greinus. Mehr
Die Mission der Gründerin Aimie-Sarah Carstensen ist Kreativität zu einer Routine zu machen, die alle lieben. Wie sie das mit ArtNight schafft, erzählt sie uns im Interview. Mehr