Detlef Bluhm vom Börsenvereins des Deutschen Buchhandels

Kategorie: Zukunftsköpfe

©Johanna Hahn

©Johanna Hahn

©Johanna Hahn

Das Internet zerstört den stationären Buchhandel? Von wegen. Detlef Bluhm, unter anderem Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Berlin-Brandenburg, erklärt, wieso gerade kleine und mittlere Buchhandlungen eine Renaissance erleben und wieso wir mehr lesen als je zuvor.

Guten Tag Herr Bluhm, Sie arbeiten seit Ende der 70er Jahre in der Buchbranche. Was hat sich denn in den vergangenen 25 Jahren an unserem Leseverhalten geändert?

Ohne jeden Zweifel sage ich, dass mehr gelesen wird als je zuvor in der Geschichte. Immer mehr Menschen kommunizieren per Mail, Whatsapp und in sozialen Netzwerken miteinander, sie informieren sich im Netz, buchen dort Reisen und bestellen Produkte oder Dienstleistungen. Die Lesefähigkeit ist heute mehr denn je eine unabdingbare Voraussetzung der gesellschaftlichen Teilhabe. Wenn man sich heute über das Lesen von Büchern unterhält, dann hört man oft die Meinung, dass immer weniger Menschen in der Lage oder willens sind, sich auf lange lineare Texte einzulassen. Angesichts des weltweiten Erfolgs der Harry-Potter-Bände und der Tintenherz-Trilogie von Cornelia Funke, aber auch der umfangreichen Romane von Uwe Tellkamp, David Foster Wallace und zuletzt Frank Witzel, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, ist das eine merkwürdige Meinung, die an der Realität vorbeigeht. Mir scheint, dass gerade die vielgescholtene ‘Häppchenkultur’ im Netz den Wunsch nach langen Geschichten befördert hat. Dies gilt übrigens im übertragenen Sinn auch für den Film. Der globale Erfolg zahlreicher Serien zeigt, dass die Menschen sich gern medienübergreifend auf epische Erzählformate, auf lange Geschichten einlassen.

Als Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Berlin-Brandenburg setzen Sie sich für die Interessen von Verlagen, Zwischenhändlern und Buchhändlern ein. Wie haben sich die Vertriebsstrukturen dieser drei Bereiche entwickelt?

Durch das Internet und die inzwischen weitgehend selbstverständliche Herausgabe neuer Texte als gedruckte und digitale Ausgabe haben sich die Vertriebsstrukturen in unserer Branche signifikant verändert, im Wesentlichen haben sie sich vervielfacht. Und bei der Entwicklung dieser Strukturen sind in den letzten Jahren die Bedürfnisse der Endkunden immer mehr in den Vordergrund getreten. Sie können heute zwischen vielen Anbietern wählen und entscheiden, in welchem Ausgabeformat sie ein Buch erwerben möchten, ob gedruckt oder digital, ob in einer stationären Buchhandlung oder über deren Website oder über einen reinen Netzanbieter. 

Das Buch war eines der Produkte, die bereits sehr früh im Internet gehandelt wurden. Dennoch ist nach Angaben des Börsenvereins die Anzahl der Buchhandlungen in Berlin seit 2011 um 56 auf nun insgesamt 360 angestiegen - steht der stationäre Buchhandel gar nicht in so starker Konkurrenz zum Internet, wie wir häufig denken?

In der Tat erleben wir seit ein paar Jahren eine nur auf den ersten Blick überraschende Renaissance kleiner und mittlerer inhabergeführter Buchhandlungen. Dies hat im Wesentlichen drei Gründe. Erstens begreifen sich viele dieser Buchhandlungen immer stärker als Anbieter, die ihr Sortiment bewusst kuratieren, also aus der unüberschaubaren Fülle des Buchmarktes eine Auswahl für ihre Kunden an ihrem Standort auswählen – um so eine unverwechselbare Individualität ihres Geschäftes zugenerieren. Weg vom Mainstream und hin zu den konkreten Vorlieben der Kunden. Zweitens legen immer mehr Kunden verstärkt Wert auf den Erlebnischarakter des Einkaufs, der in einem Laden unvergleichlich vielfältiger, überraschender und entdeckungsreicher als im Netz ist. Und drittens verstehen sich immer mehr Buchhandlungen als regionale Kulturzentren. Sie veranstalten je nach den räumlichen Möglichkeiten Lesungen, bieten Public Viewing an, organisieren Leseclubs, lassen Künstler (nicht nur AutorInnen) aus der näheren Umgebung bei sich auftreten, bieten Kurse an oder zeigen Ausstellungen. Viele Anregungen zu diesen Aktivitäten kommen übrigens direkt oder indirekt von den Kunden.

Können Sie uns einen kurzen Ausblick auf die kommenden Monate geben: Was sind Ihre wichtigsten Ziele?

Im Jahr 2016 geht es um drei wichtige Ziele. Erstens möchten wir die Bedeutung der Verlage für die kulturelle Vielfalt und den gesellschaftlichen Diskurs in unserem Land deutlicher als bisher in der Öffentlichkeit herausstellen. Zweitens werden wir unsere Branche stärker als in den Jahren zuvor mit anderen Branchen der sogenannten Creative Industries vernetzen, um uns auszutauschen und voneinander zu lernen. Und ganz konkret feiern wir drittens in diesem November das 25-jährige Jubiläum unserer Veranstaltungsreihe STADT LAND BUCH – und hoffen sehr, dass unser Jubiläumsprogramm mit etwa 150 Veranstaltungen zum Stadtgespräch werden wird.

Herr Bluhm, um ein weiteres Thema aufzugreifen: Unter welchen Umständen hätten wir Sie denn als »Kater Paul« ansprechen dürfen?

Sie spielen hier auf mein alter ego ‘Kater Paul’ an, also auf meine digitale Existenz als Kater Paul auf Facebook und dem gleichnamigen Blog, der inzwischen fast 330.000 Seitenbesuche verzeichnen kann. Auf diesen Kanälen kommuniziere ich zahlreiche Beiträge zur Kulturgeschichte der Katze, einem Thema, zu dem ich bisher elf Bücher veröffentlicht habe – zwei weitere werden noch in diesem Jahr folgen. Wenn Sie also etwas über Katzen in der Literatur oder Malerei, in der Musik oder im Film wissen möchten, von der Antike bis in die Gegenwart, dann können Sie Kater Paul fragen.

Noch eine Bitte zum Abschluss – können Sie folgenden Satz vervollständigen: Berlin ist …

...das deutsche Zentrallabor der Zukunft.

 

Detlef Bluhm ist Schriftsteller und war als Buchhändler, Verlagsvertreter und Verleger tätig, kennt die Buchbranche also in allen Facetten. Als Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Berlin-Brandenburg setzt er sich für die Interessen von Verlagen und Buchhandlungen ein. Detlef Bluhm ist Autor bzw. Herausgeber von 16 Büchern sowie zahlreichen Erzählungen, Hörbüchern und einem Hörspiel. Sein besonderes Interesse gilt kulturgeschichtlichen Themen, vor allem der Kunst- und Kulturgeschichte der Katze.

Das könnte Sie auch interessieren