GamesCapitalBerlin: Im Interview mit Torpor Games

Kategorie: Games

Ata Sergey Nowak, Geschäftsführer und Mitbegründer von Torpor Games

©Factory Berlin

Torpor Games schafft nachdenklich stimmende Unterhaltung in vielfältigen Formen, um Horizonte zu erweitern, Perspektiven zu verändern und die Moral in allen Facetten der menschlichen Erfahrung herauszufordern. Mit dem Geschäftsführer und Mitbegründer Ata Sergey Nowak sprachen wir über ihr neuestes Spiel in der Produktion, was es braucht, um komplexe politische Szenarien zu entwickeln, und wie ihre Community wesentlich für ihren Betrieb war.

Mit beeindruckender Finanzierung in Höhe von € 425.000 vom Medienboard Berlin-Brandenburg hat Ihr Projekt "The Conformist" die bisher höchste Unterstützung erhalten. Herzlichen Glückwunsch! Könnten Sie Ihre Pläne für dieses aufregende Spiel erläutern?
Vielen Dank. "The Conformist" ist unser innovativer Versuch, eine kontrastreiche Perspektive auf den gesellschaftlichen Wandel darzustellen. Während "Suzerain" ein Bild aus der Sicht der Führungsebene zeichnete, handelt es sich bei "The Conformist" darum, wie eine Stadt und ihre Wahlen sich aus einem Basis-Level entwickeln. Unser Bestreben ist es, eine beziehungsreichere, halbsandboxartige Umgebung zu schaffen, die mit verzweigten Handlungssystemen durchsetzt ist. "The Conformist" ist unsere Botschaft an die breite Masse – ein komplexes narrativ betontes Rollenspiel mit strategischen Elementen, das im Suzerain-Universum spielt, zwei Jahrzehnte vor "Suzerain", in der Hauptstadt von Sordland, Holsord. Wir wollen das Verhalten verschiedener politischer Fraktionen in einer post-bürgerkriegsähnlichen Umgebung darstellen, inmitten des Aufkommens erster Mehrparteienwahlen und die verschiedenen Entscheidungen des Spieler:innencharakters und der Myst-Familie in diesen Dynamiken. Wir tauchen in die Vergangenheit ein, in persönliche Erzählungen von Bürgern:innen und nehmen sogar einige Charaktere aus "Suzerain" auf. Unsere Ambitionen sind hoch für dieses Spiel, angesichts des Erfolgs von "Suzerain" und anderen Spielen, die wir auf dem Markt gesehen haben. "The Conformist" verkörpert unsere Herangehensweise, eine Erzählung auszuwählen und relevante Systeme, Genres oder Subgenres zu nutzen, um sie mit höherem Schwerpunkt auf Rollenspielelemente wie Fähigkeiten, Vorteile und dynamische Systeme, wie z. B. Propagandaeinfluss, zum Leben zu erwecken.
 

Erschwert oder vereinfacht die Entwicklung eines zweiten Spiels im gleichen Universum wie das erste den Prozess?
Der Prozess könnte in der Tat einfacher sein, wenn wir uns dazu entscheiden würden, unsere Standards für Überlieferung und Handlung zu senken oder aufrechtzuerhalten. Wir setzen jedoch hartnäckig höhere Maßstäbe und streben danach, so viel wie möglich zu lernen und zu innovieren. Die bereits bestehende narrative Arbeit erleichtert die Erstellung eines zweiten Spiels, das zwei Jahrzehnte zuvor im gleichen Universum spielt. Aber indem wir uns auf die Hauptstadt Holsord konzentrieren, tauchen wir tiefer in neue Stadtteile, Hintergrundgeschichten und das Leben faszinierender Charaktere ein. Unser Ziel ist es, eine persönlichere und tiefgreifendere Erzählung zu präsentieren, die die Entstehung und den Einfluss realer politischer Bewegungen von der Basis aus zeigt. Also ist es nicht unbedingt einfacher; es ermöglicht lediglich eine tiefere Erforschung verschiedener Aspekte.

Ihr Team sucht derzeit Investitionen in einer Seed-Finanzierungsrunde für denselben Titel. Die deutsche Investmentlandschaft hat bisher wenig Interesse an der Spieleindustrie gezeigt. Warum denken Sie, ist das der Fall? Wie kann die Situation verbessert werden, und wie war Ihre persönliche Erfahrung?
Ja, wir sind derzeit in einer Seed-Finanzierungsrunde für Torpor Games und haben bereits einige frühe Zusagen erhalten. Der erwähnte Punkt über die deutsche Invesmentlandschaft ist eine facettenreiche Frage und verdient eine umfassende Antwort. Einige Faktoren scheinen hier eine Rolle zu spielen, darunter die Schwierigkeit der Wahrnehmung von Spielen als ernstzunehmendes Medium wie Fernsehen und Film unter traditionellen deutschen Investor:innen. Deutschland verfügt über eine robuste Investitionsumgebung für traditionelle Schwerindustrien, die sich allmählich auf Tech-Startups ausgeweitet haben. Aber Spiele werden von vielen Investor:innen als weniger ernsthaft wahrgenommen. Es fehlt auch an tiefem Verständnis für Nischenspiele und ihr Potenzial für Erfolg. Zum Beispiel hat "Suzerain", ein politisches narratives Nischenspiel, über 165.000 Exemplare verkauft. Titel wie "Disco Elysium" zeigen ebenfalls das Potenzial für erhebliche Investitionsrenditen. Solche Informationen müssen effektiv kommuniziert werden.

Schließlich gründen viele erfolgreiche Spieleleute in Deutschland ihre eigenen Studios oder finden eine:n Verleger:in und verkaufen sie an internationale Partner:innen. Dies führt dazu, dass es nur wenige unabhängige lokale Alternativen gibt, die sich dazu verpflichtet haben, eine lokale Branche zu fördern. Daher fehlen Deutschland Entitäten wie zum Beispiel Focus Entertainment, 11bit Studios oder Paradox Interactive. Daher ist es entscheidend, dass Investor:innen und Spieleexpert:innen die langfristigen ökosystemischen Vorteile aus kultureller, finanzieller und portfolioorientierter Sicht berücksichtigen.

Ihre Stärke liegt in der Entwicklung provokanter politischer Spiele. Welche Spielmechaniken setzen Sie ein, um ansprechende und komplexe politische Szenarien zu schaffen?
Wir verwenden eine Reihe von Systemen und Genre-Mechaniken, um unsere Ziele zu erreichen. Grundsätzlich werden unsere Entscheidungen durch eine gründliche Analyse dessen bestimmt, was wir vermitteln möchten und welche Systeme diese Komplexitäten am besten liefern können. Oft experimentieren wir mit neuen Formeln, Werten und Ergebnisstrukturen, um reale politische Elemente wie Wirtschaft, Militär, Wohlfahrt und Ordnung zu simulieren. Unsere kommenden DLCs "The Kingdom of Rizia" und "The Conformist" werden unsere Spielsysteme auf eine höhere Ebene bringen. Wir integrieren übliche Spielmechanismen an einigen Stellen mit unserer eigenen besonderen Note und experimentieren intensiv mit neuen Systemen, um eine dynamische Kriegserzählung für Rizia zu simulieren oder wie Propaganda verschiedene Stadtteile beeinflusst und das Verhalten von Charakteren und Bürgern:innen in einer Stadt in "The Conformist" verändert.

Unsere Ambition besteht darin, zu experimentieren, unsere Fähigkeiten und unser Wissen zu erweitern und in die Lösungen so zu investieren, wie wir es für das Spieldesign und die Charakteristika für passend halten. Die Balance zwischen narrativer Kohärenz und angenehmen Systemen stellt eine bedeutende Herausforderung für unsere Arbeit dar.

Sie möchten die Realität in all ihren Grautönen darstellen. Wie entwickeln Sie eine Spielwelt, die einerseits in die Immersion eintaucht und andererseits zur Selbstreflexion anregt? Und wie verhindern Sie, dass das Spiel zu düster wird?
Die Balance zwischen der immersiven Weltgestaltung eines Spiels und der Förderung der Selbstreflexion bei den Spieler:innen ist in der Tat eine heikle Aufgabe und wir glauben, dass wir dies in "Suzerain" effektiv erreicht haben. Indem wir ein fiktives Universum erschaffen, bieten wir den Spieler:innen eine Plattform, um tiefgründige Themen mit frischen Perspektiven zu erkunden, die größtenteils frei von ihren realen Werten sind. Obwohl unsere Spiele manchmal düstere Themen berühren, liegt unser Fokus darauf, das breite Spektrum menschlicher Erfahrungen und Emotionen einzufangen, von erschreckender Angst bis hin zu tiefer Freude. Wir betonen komplexe Emotionen, moralische Dilemmata und nachdenkliche Erzählungen. Mit "Suzerain" haben wir die Kraft des Textes genutzt, um die Vorstellungskraft der Spieler:innen zu fördern, während unser kommendes Spiel "The Conformist" begehbare Stadtteile und 3D-Charaktere als visuelle Ebenen hinzufügen wird, um dieses Engagement zu vertiefen. Dialog, insbesondere wahlgetrieben, bleibt unser bestes Werkzeug, um sich in diese tiefgründigen politischen Themen zu vertiefen.

Was halten Sie von den Talenten in Berlin?
Berlin ist eine Quelle außergewöhnlicher Talente, insbesondere in der Spielebranche. Die Anziehungskraft auf internationale Talente ist bemerkenswert. Allerdings können Umzugsprozesse und Herausforderungen bei der Wohnungssuche den Reiz der Stadt mindern und sowohl für Mitarbeiter:innen als auch für Arbeitgeber:innen in kritischen Integrationsphasen unnötigen Stress verursachen. Es ist ermutigend zu sehen, dass Bewegungen und zunehmendes Bewusstsein die Wohnkrise angehen, und wir sind optimistisch in Bezug auf weitere Verbesserungen. Wir haben auch kürzlich erfolgte Verbesserungen des Einwanderungsrechts begrüßt, die internationalen Talenten, die in die Stadt kommen, erheblich zugutekommen.

Wie bewerten Sie, als integraler Bestandteil der Indie-Landschaft in Berlin, die Solidarität der Community in der Stadt und die Möglichkeiten des Netzwerks?
Wir sind dankbar für Ihre freundlichen Worte, wir bemühen uns, sinnvoll beizutragen. Trotzdem war es ermutigend zu sehen, wie sich die Ressourcen, Möglichkeiten und Unterstützungsmechanismen seit unserem Start im Jahr 2018 entwickelt haben. Berlins Solidarität in der Community und die Möglichkeiten des Netzwerks sind meiner Meinung nach außergewöhnlich. Wir sind dankbar für alle, die Wissen geteilt und Hilfe auf unserem Weg angeboten haben, und wir setzen unsere Erkundung besserer Möglichkeiten fort, zu diesem lebendigen Ökosystem beizutragen.

Für die Stiftung Digitale Spielekultur waren Sie Mentor im Programm "Start-up: Games-Entrepreneurs". Was haben Sie in dieser Position gelernt, und wie wichtig ist es, "den Aufzug zurückzuschicken"?
Meine Mentor-Tätigkeit im Programm "Start-up: Games-Entrepreneurs" der Stiftung Digitale Spielekultur war sowohl aufschlussreich als auch lohnend. Es ist ein Privileg, Zeuge der wachsenden Möglichkeiten für angehende Entwickler:innen zu sein und zu sehen, wie ihre Träume in Erfüllung gehen. Ich orientiere mich an einem einfachen Leitgedanken: die Art von Welt zu schaffen und die Art von Ratschlägen zu bieten, die ich mir gewünscht hätte, als ich mich zum ersten Mal auf diese Reise begeben habe. Indem wir den Aufzug zurücksenden, fördern wir das Wachstum und den Fortschritt in unserer gemeinsamen Gesellschaft, eine Verantwortung, die wir den angehenden Talenten und den zukünftigen Generationen schulden. Die Teilnahme am Projekt "Auswärtsspiel" der Stiftung Digitale Spielekultur war eine weitere lohnende Erfahrung. Die Diskussion über die Rolle von Spielen in der Außenpolitikkommunikation und die angewandten Methoden waren intellektuell anregend. Ich bin zutiefst dankbar für die Unterstützung durch das Auswärtige Amt und die Stiftung. Die Auseinandersetzung mit einer außergewöhnlichen Gruppe von Expert:innen, um unsere eigenen Sichtweisen auf zeitgenössische politische Systeme durch das Spieldesign erneut zu erkunden, war eine wirklich aufschlussreiche Erfahrung.

Pyrde Pavkki hat Sordish als Plansprache, basierend auf der in "Suzerain" verwendeten Sprache, entwickelt. Mit einem Abschluss in Sprachinterpretation und Übersetzung und drei eigenen Sprachen – war es Ihnen immer klar, eine neue Sprache für Ihr Spiel zu entwickeln? Und was bedeutet es für Sie, dass die Community einen Schritt weiter geht?
Sordish, als konstruierte Sprache, entstand organisch während der ersten Entwicklungsstufen von "Suzerain". Wir bemerkten, dass wir instinktiv fiktive Phrasen erstellten und einen einzigartigen Ansatz für Benennungskonventionen hatten. Es waren diese Erkenntnisse, die zu einer Reihe von nächtlichen Debatten und letztendlich zur rudimentären Form der Sordish-Sprache führten. Wir nutzten Sordish als narratives Werkzeug, um eine Distanz zur Realität zu schaffen und gleichzeitig eine Verbindung zur lokalen Kultur von Sordland herzustellen. Diese Taktik sollte unseren Spieler:innen ein Gefühl von Authentizität und Eintauchen in das kulturelle Gefüge der von uns erschaffenen Länder vermitteln.

Unsere Community hat eine entscheidende Rolle in diesem Prozess gespielt, indem Pyrde Pavkki und andere es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Sprache weiter auszubauen. Diese Initiative hat uns mit Stolz und Zufriedenheit erfüllt. Wir sehen es als Zeugnis für das Engagement unserer Community für den Aufbau unseres gemeinsamen Universums. Tatsächlich war unsere Community wesentlich für unseren Betrieb, von einem Community-Mitglied namens "167th Voter", das einen Wettbewerb gewann, um eine Nationalhymne zu erstellen, die wir für das nächste 2.0 "Amendment"-Update von "Suzerain" angepasst und aufgenommen haben, bis hin zu Fans, die eigene Fan-Fiktionen erstellen, Wikipedia-Seiten gestalten, Flaggen entwerfen, Charakterkunst produzieren und mehr. Ihre aktive Teilnahme an unserem Entscheidungsprozess durch Umfragen und ihre Rolle als Ersttester:innen für neue Veröffentlichungen sind weitere Beweise für ihre unschätzbaren Beiträge.

Die Verwirklichung unserer Träume wäre ohne unsere Community nicht möglich. Sie sind die wahren Champions, die unsere Vision wirklich verstehen und schätzen. Ich möchte auch meine herzliche Dankbarkeit an alle ausdrücken, die Torpor Games auf dieser Reise unterstützt haben. Wir freuen uns darauf, diese Reise in Partnerschaft mit dem medianet berlinbrandenburg e.V. zu erkunden.

Mehr Infos zu Torpor Games finden Sie hier.
Dieser Beitrag stammt im Original von GamesCapitalBerlin und ist hier  zu finden (in Englisch).

Kontakt

Christopher Hohage

Medienwirtschaft, Medientechnologie, Games, Film- und Fernsehwirtschaft

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