Voland & Quist: „Der Preis macht deutlich, dass wir in Berlin angekommen sind.”
Der Verlag Voland & Quist ist Preisträger des diesjährigen Großen Berliner Verlagspreises. Ein Interview mit dem Verleger Leif Greinus. Mehr
Anika Wiest
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Mit klarem Blick für Gegenwartsliteratur
Am 13. November 2022 wurde zum fünften Mal, gemeinsam von den Berliner Senatsverwaltungen für Kultur und Europa sowie Wirtschaft, Energie und Betriebe, der Berliner Verlagspreis im Deutschen Theater verliehen. Zusätzlich wird der Preis vom „Operationellen Programm des EFRE Berlin 2014-2020, einer Initiative der Europäischen Union, gefördert.
Der mit 15.000 Euro dotierte Berliner Verlagspreis ging an den Elfenbein Verlag im Prenzlauer Berg, der seit einem Vierteljahrhundert kluge Literaten aus vielen Teilen Europas zusammenführt und hochwertig verlegt. Im Statement der Jury hieß es: „Mit dem Elfenbein Verlag wurde ein Verlag ausgezeichnet, der seinem eigenen Maßstab ästhetischer und diskursiver Verantwortung stets treu geblieben ist.“ Dies geschehe mit einem klaren Blick für die internationale Gegenwartsliteratur und aussagekräftigen Wiederentdeckungen von Autoren der literarischen Moderne.
Metamorphosen als Startschuss
Begonnen hat alles mit der Literaturzeitschrift „metamorphosen“, die Ingo Držečnik gemeinsam mit seinem Kommilitonen Roman Pliske herausgab. In der Zeitschrift veröffentlichten sie unter anderem Gedichte von Andreas Holschuh: „Wir fanden die Werke so beeindruckend, dass wir uns entschlossen, einen Verlag zu gründen, um eben diesen Gedichten ein gewichtiges und singuläres Äußeres zu geben“, sagt Ingo Držečnik rückblickend. Das war 1996, damals noch in Heidelberg. Irgendwann zog der Verlag in die Hauptstadt um und ist nun seit vielen Jahren in der Gaudystraße im Prenzlauer Berg angesiedelt.
Doch noch in Heidelberg, kurz nach Verlagsgründung, fiel dem Duo ein Manuskript in die Hand, dass die Ausrichtung des Verlags zukünftig mitbestimmen sollte – die Übersetzung einer Erzählsammlung aus dem Portugiesischem: „Das Haus am Rande des Dorfes“ von José Riço Direitinho: „Wir waren sofort angetan“, erinnert sich Ingo Držečnik.
Die beiden Verleger sahen in dem jungen Autor einen Shootingstar der zeitgenössischen portugiesischen Literatur und sollten recht behalten: „Er schien uns durch den 1997 angekündigten Schwerpunkt „Portugal“ auf der Frankfurter Buchmesse wie gerufen – und tatsächlich: Das Feuilleton war begeistert und wir hatten unseren Schwerpunkt gefunden.“ Ergänzt wird das anspruchsvolle Programm durch deutsche Gegenwartsliteratur und hochwertige Übersetzungen aus dem Portugiesischen, Griechischen, Katalonischen, Italienischen und Tschechischen.
Buchtitel in einem schönen und adäquaten Gewand
Dabei hatte Ingo Držečnik mit seinem Team von Anfang an den Anspruch, nicht nur inhaltlich zu überzeugen, sondern die Buchtitel auch in einem „schönen und adäquatem“ Gewand zu produzieren. So erschien bereits ihr Debüt „Unterderhand“ von Andreas Holschuh als schmales Hardcover mit Schutzumschlag, farbigem Vorsatz und Fadenheftung – eine Ausstattung, die auch heute noch vom Elfenbein Verlag favorisiert wird. Ein besonderes Kleinod möchte Ingo Držečnik seinen Leserinnen und Lesern unbedingt ans Herz legen – das ist der portugiesische Autor Luís de Camões: „Persönlich schätze ich ihn vor allem wegen seines lyrischen Multitalents (man kann ihn in dieser Hinsicht durchaus mit Goethe vergleichen). Camões hat neben Sonetten, Elegien und Oden, die uns ja noch vertraute Formen sind, auch zahlreiche Redondiljen, Oktaven, Sestinen, Eklogen und Kanzonen verfasst.“
Auch sonst hat sein Verlagsprogramm eine Menge an literarischen Kostbarkeiten zu bieten: „Alle Novitäten sind für mich erst einmal Highlights, sonst würde ich sie nicht ins Programm nehmen wollen. Ganz besonders brenne ich aber seit 2020 für Simon Raven – so wie ich seit 2015 für Anthony Powell brenne –, einen weiteren Briten, der einen mehrbändigen Gesellschaftsroman geschrieben hat, „Almosen fürs Vergessen“, in dem man so unglaublich viel über England erfährt: in einem lockeren unterhaltsamen, sprachlich immer brillanten Stil geschrieben, hervorragend von Sabine Franke verdeutscht.“
Im kommenden Jahr nähert sich der Geburtstag des Berliner Schriftstellers Nicolaus Sombarts zum 100. Mal. Aus diesem Anlass ist eine Neuausgabe seiner autobiografischen Werke geplant: „Das Werk ‚Jugend in Berlin‘ ist gerade erschienen, herausgegeben von Carolin Fischer und mit einem Nachwort versehen von Tilman Krause. ‚Rendezvous mit dem Weltgeist‘, mit einem Nachwort von Claudia Schmölders, wird sogar noch vor Weihnachten in den Handel kommen“, verspricht der Verleger.
Verlagspreis als Ansporn
Eine klassische Verlagslaufbahn hat Ingo Držečnik nie absolviert – die Liebe zur Literatur und das Gespür für gute Bücher machten ihn zu einer festen Größe in der Verlagslandschaft: „Ich habe einfach mit dem Verlegen begonnen und nicht mehr aufgehört. Dann bin ich wohl irgendwann ein Verleger geworden. Einen gewissen Enthusiasmus kann ich mir, trotz aller Widrigkeiten, die es natürlich immer gibt und gelegentlich auch einmal Frustrationen erzeugen (steigende Papierpreise, Käuferschwund etc.), wahrscheinlich deshalb erhalten, weil ich eben frei bin, das zu tun, was ich tue.“
Zur Verleihung des Berliner Verlagspreises ist sein „inner circle“ angereist, so Držečnik: „Mein Freund und Verlagsmitbegründer Roman Pliske aus Halle, der heute den Mitteldeutschen Verlag leitet, Sabine Franke aus Leipzig, meine Übersetzerin und Lektorin und langjährige Messebegleiterin und aus Braunschweig Oda Ruthe, meine Umschlaggestalterin.“ Mit dem Preisgeld werden einige Nachdrucke finanziert, wie beispielsweise „Lusiaden“ von Luís de Camões’, verrät der Verleger und betont, wie sehr er sich über die Auszeichnung gefreut hat: „Der Berliner Verlagspreis gibt mir neben der finanziellen Absicherung einiger wichtiger Projekte die wundervolle Bestätigung, dass eine spezifisch das Berliner Biotop der deutschen Verlagsszene beobachtende Jury meine Tätigkeit für auszeichnungswürdig hält. Ich war schon sehr beglückt, überhaupt nominiert worden zu sein.“
Verlagshauptstadt Berlin
Die Verlagslandschaft in der Hauptstadt blüht – das ist eine Inspiration für Verlegerinnen und Verleger, betont Ingo Držečnik: „Hier arbeiten so viele Menschen wie in keiner anderen deutschen Stadt in Verlagen oder für Verlage, nirgends erscheinen so viele Bücher wie in Berlin, und noch dazu in so unterschiedlichen, konzernunabhängigen, kleineren Verlagen. In Berlin kann man auf engstem Raum beobachten, wie wunderbar diversifiziert die Verlagslandschaft in ganz Deutschland ist.
Das macht ja auch eine wirkliche Hauptstadt aus, die nicht nur einen Regierungssitz darstellen will. Der wirklich gut dotierte Berliner Verlagspreis stellt dabei einen ganz besonders schönen Beweis dafür dar, dass sich Berlin dieser Rolle bewusst geworden ist. Ich hoffe sehr, dass dies auch so bleiben wird.“
Und welche Bücher liegen bei dem Verleger auf dem Nachttisch? Tatsächlich läge hier kein einziges Elfenbein-Buch, sondern nur aus „Fremdverlagen“ gesteht Držečnik: „Momentan lese ich fasziniert und fassungslos gleichermaßen, da ich von dem Autor noch nie etwas gehört hatte, den Roman „Berlin Schlesischer Bahnhof“ von Julius Berstl, gerade bei Quintus erschienen und mit einem exzellenten Nachwort von Klaus Völker versehen. Dieses Buch, sprachlich von Alfred Döblins „Alexanderplatz“ beeinflusst, ist unglaublich rasant geschrieben und erzählt eine spannende Geschichte von Jugendlichen, die um 1930 in der Millionenstadt Arbeit und Glück suchen, dabei aber – natürlich – vor allem Gewalt und Verrohung erleben.“
Über den Berliner Verlagspreis
Ins Leben gerufen wurde der Berliner Verlagspreis im Frühjahr 2018 von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Mit insgesamt 68.000 Euro ist der Berliner Verlagspreis die am höchsten dotierte Auszeichnung ihrer Art in Deutschland. Ziel des Preises ist es, die Vielfalt der Berliner Verlagsbranche zu fördern, den Verlagsstandort Berlin zu stärken und die ambitionierte Arbeit der unabhängigen Publikumsverlage in Berlin zu würdigen.
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