Voland & Quist: „Der Preis macht deutlich, dass wir in Berlin angekommen sind.“
Der Verlag Voland & Quist ist Preisträger des diesjährigen Großen Berliner Verlagspreises. Ein Interview mit dem Verleger Leif Greinus. Mehr
Anika Wiest
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Über 40 Jahre alt und kein bisschen leise: Seit 1979 prägt der Verleger Klaus Bittermann mit Edition Tiamat die literarische Landschaft Berlins. Mit Büchern von Eike Geisel, Fanny Müller, Günther Anders, André Breton, Harry Mulisch, Roger Willemsen, Guy Debord, Hunter S. Thompson und – dem, laut eigener Auskunft, wichtigsten Autor des Verlags – Gesellschaftskritiker Wolfgang Pohrt hat er in der Vergangenheit immer wieder für Gesprächsstoff gesorgt und hat nicht vor, in naher Zukunft damit aufzuhören. Für seinen Mut zu provozieren, unbequeme Fragen zu stellen und sich mit erstarkendem Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus auseinanderzusetzen, wurde Edition Tiamat und damit der Verleger Klaus Bittermann mit dem Großen Berliner Verlagspreis 2023 ausgezeichnet und darf sich über das Preisgeld von 35.000 Euro freuen.
Erstmal alles Gute zum Großen Berliner Verlagspreis. Schon 2020 und 2022 haben Sie den Deutschen Verlagspreis erhalten. Zu Ihrem 25-jährigen Jubiläum meinten Sie noch, Sie hätten erst einen Preis erhalten. Da hat sich offenbar in den letzten fast 20 Jahren viel getan...
Das ist richtig. Man muss auch sagen, dass es sowohl den Deutschen als auch den Berliner Verlagspreis noch nicht so lange gibt. Vorher gab es für Verlage und Buchhandlungen kaum Förderungen. Beim Deutschen Verlagspreis ist die Wahrscheinlichkeit größer, ihn zu bekommen. Umso mehr habe ich mich über den Berliner Verlagspreis gefreut. Es ist eine schöne Anerkennung der Arbeit. Ich habe mich wahnsinnig über die Laudatio gefreut. Zu Gesa Ufer habe ich anschließend gesagt, dass ich mir die Rede aufhebe und wenn ich deprimiert bin, sie wieder lesen werde.
Mit über 40 Jahren Verlagsgeschichte gehören Sie – so hieß es in einem Beitrag von TipBerlin einmal – zum Berliner Stadtbild dazu. Was motiviert Sie nach so langer Zeit weiterzumachen?
In der Tat mache ich den Verlag jetzt schon seit sehr langer Zeit. Noch bevor der Verlag existierte, habe ich Zeitschriften, Flugblätter und Broschüren herausgegeben, weil ich mich in die öffentlichen Debatten einmischen wollte. Das hat angehalten, auch wenn es dazwischen immer wieder Krisen gegeben hat. So habe ich drei Vertriebspleiten hinter mir, und zweimal war ich in der Situation zu überlegen, höre ich auf oder fange ich neu an. Ich habe weitergemacht. Allein schon, weil ich nicht wüsste, was ich sonst tun könnte.
Das kann nicht der einzige Grund sein. Sie sind ja auch als Autor und Journalist tätig…
Ja, das hatte ich mir auch überlegt, aber das ist eine Arbeit, die – noch mehr als der Verlag – doch sehr einsam ist. Immer nur zu schreiben, was man ja als Schriftsteller tun muss, ist eine öde und anstrengende Angelegenheit. Ich weiß das, weil ich ja hin und wieder auch als Autor arbeite. Außerdem ist es sehr schwer, vom Schreiben zu leben. Als Verleger lernt man hingegen Leute kennen, hat Kontakte nach außen und deshalb hat mir das besser gefallen. Vor allem hat man eine größere Vielfalt an Tätigkeiten. Diese Vielfalt an Möglichkeiten hat mich mehr befriedigt.
Sie haben gerade die Einsamkeit angesprochen. Sie haben den Verlag immer allein betrieben. Warum?
Wir haben als Gruppe begonnen, dann habe ich allein weitergemacht. Anfangs aus Not, weil es eine Zeitlang gedauert hat, bis ich davon leben konnte. Die ersten vier bis sieben Jahre habe ich nebenher arbeiten müssen, um das eigene Leben finanzieren zu können. Mir war es deshalb lieber, es allein zu machen. Wobei ich nicht völlig allein bin: Ich habe freie Mitarbeiter:innen als Korrekturleser:innen oder Kontakte zu Autor:innen, Übersetzer:innen und Journalist:innen. Aber die im Verlag anstehenden Entscheidungen treffe ich allein. Wenn etwas schiefgeht, weiß ich, wer schuld ist und muss mich nicht mit anderen streiten. Außerdem hat es den Vorteil, dass ich – wenn ich einen Apparat an Mitarbeiter:innen und Büroräume hätte – viel schneller rote Zahlen schreiben würde, wenn es mal nicht so gut läuft. Als Einzelperson kann ich schneller auf Veränderungen reagieren. Das war mir wichtig. Wenn ich aber das neue Verlagsprogramm plane, da wäre es manchmal schon von Vorteil, sich mit anderen darüber auszutauschen und zu beratschlagen.
Sie haben den Verlag als Gruppe gegründet, doch nur Sie haben durchgehalten. Also braucht man offensichtlich ein gewisses Durchhaltevermögen als Verleger:in. Was sind weitere Qualitäten, die für den Beruf notwendig sind?
Ein gewisses Beharrungsvermögen in jedem Fall. Wichtig ist auch, dass man den Streit nicht mit den eigenen Autor:innen sucht. Man braucht eine große Toleranz gegenüber den Autor:innen – wenn sie nicht liefern, Abmachungen nicht einhalten, sich nicht melden. All das gehört zum Tagesgeschäft. Da braucht man gute Nerven.
Haben Sie ein Beispiel?
Einer meiner wichtigsten Autoren war Wiglaf Droste. Ich war mit ihm befreundet und habe sechs Jahre mit ihm zusammengewohnt. Er war einer der unzuverlässigsten Autoren und hat auch regelmäßig Zeitungsredaktionen zur Verzweiflung gebracht. Da brauchte ich starke Nerven. Es hätte nichts gebracht, sich mit ihm zu zerstreiten, weil er einfach so war, kein böser Wille dahintersteckte. Das Problem war nicht, neue Ideen und Pläne zu entwerfen, sondern diese zu Ende zu bringen. Manchmal hat er auch Projekte platzen lassen. Ich hatte ein Buch mit ihm als Co-Autor angekündigt, das von den Buchhandlungen schon fleißig vorbestellt worden war, musste es dann aber abblasen, weil ihm Bedenken kamen. Mit solchen Dingen hat man immer wieder zu tun.
Hatten es Verlage früher leichter?
Für mich war es nicht einfach, einen Verlag zu gründen, weil ich es ohne finanzielle Unterstützung getan habe. Ich habe damals noch studiert und BAFÖG bekommen, aber davon kann man keine Bücher drucken lassen. Damals gab es auch nicht die technischen Möglichkeiten von heute, vor allem nicht die Computer von heute. Ich habe die ersten Bücher noch auf Schreibmaschine getippt. Das war kompliziert und aufwendig, hat mir aber auch Spaß gemacht. Heute kann jede:r Autor:in ein Manuskript, das nicht von einem Verlag veröffentlicht wird, selbst als Print-on-Demand über Amazon anbieten.
Abgesehen von diesen Veränderungen, wie nehmen Sie die Situation des Verlagswesens heute wahr?
Seit der Inflation zu Beginn des Jahres, als alles teurer wurde, sind die Vormerker:innenzahlen um die Hälfte gesunken. Klar, die Leute müssen sparen, und da ist das Buch ein Luxusgut, auf das man am ehesten verzichten kann. Worauf die Leute hingegen nicht verzichten, ist das Reisen. Das wundert mich immer, aber man kann es auch verstehen. Erschwerte Bedingungen sind außerdem, dass die Zeitungen unter dem Leser:innen-Schwund leiden. Zeitungen sind aber für die Verlage wichtig, um Öffentlichkeit zu bekommen. Selbst kann man die nur begrenzt schaffen, über Facebook und Twitter. Dadurch verändert sich der Charakter des Verlags. Selbst durch die drucktechnisch besseren Möglichkeiten mit Print-on-Demand kann man nicht beliebig wenige Bücher drucken. Was die Auflagenhöhe eines Buches angeht, gibt es die Faustregel, dass man das Dreifache der Vorbestellungen drucken lässt. Wenn es aber nur 100 Vormerker:innen gibt, dann 300 Exemplare zu drucken, das rechnet sich natürlich alles nicht mehr. Man müsste dann ein Buch mit 200 Seiten für 30 Euro verkaufen, aber da machen die Kund:innen nicht mehr mit. Das ist eine Entwicklung, die nicht gutgehen kann. Was ich auf der Buchmesse von Kolleg:innen hörte und selbst auch bestätigen kann, ist, dass die Umsätze bis zu 25 Prozent gesunken sind.
Da kam der Berliner Verlagspreis genau richtig…
Ja, weil er mir Luft verschafft. Ich kann den Verlag ein bis zwei Jahre ohne Druck weitermachen. Wenn wir die häufig so gepriesene Vielfalt der Kultur und der Bücher erhalten wollen, wäre aber eine strukturelle Verlagsförderung wie in Österreich wichtig. Sonst habe ich die Befürchtung, dass viele Verlage dicht machen. Es gibt ja schon die ersten, die Pleite gegangen sind.
Auf Ihrer Website schreiben Sie als Reaktion auf den Preis, dass Sie jetzt einen Titel über die „Israelphobie" von Jake Wallis Simons herausbringen können. Wird dafür das Preisgeld von 35.000 Euro verwendet?
Nein, das wird nicht alles in dieses Buch investiert, aber ich kann das Buch finanzieren, ohne befürchten zu müssen, dass es ein Loch in den Verlagshaushalt reißt. Jake Wallis Simons hatte ich aber schon vorher im Auge, wusste aber nicht, ob ich es finanziell schaffe, ihn zu publizieren. Es ist ein Titel, der kurzfristig hereingekommen ist. Da war die Überlegung, ob ich mir das leisten kann, neben den anderen bereits geplanten Frühjahrstiteln. Da war der Preis toll, weil ich mir keine Gedanken mehr machen muss, ob ich es finanziell stemmen kann oder nicht.
Warum haben Sie diesen Titel gewählt?
Der Grund ist der grassierende Antisemitismus auf der Straße. In London sind erst kürzlich 300.000 Demonstrant:innen auf die Straße gegangen. Da will ich schon etwas dagegen tun und im klassischen Sinn Aufklärung betreiben. Dieser jetzt aufflammende Antisemitismus ist ja durch eine unglaubliche Unwissenheit geprägt. Ein wesentliches Argument junger Menschen – es sind ja vor allem junge Menschen, die auf die Straße gehen – ist, dass sich Israel aus den besetzten Gebieten zurückziehen soll. Israel hat aber keine besetzt, das war der UN-Teilungsplan von 1948, als sich die britische Mandatsmacht aus dem Gebiet zurückgezogen hat. Diesen Teilungsplan haben die Israel:innen akzeptiert, die Araber:innen aber abgelehnt. Auch in der palästinensischen Gesellschaft herrscht dieses Narrativ vor, dass die Gebiete besetzt sind. Ich hoffe also, dass ich jemanden erreiche, aber leider Gottes wollen die Leute meist in ihrer eigenen Meinung bestätigt werden.
In einem Interview mit der Süddeutschen meinten Sie: „Der Vorteil für kleine Verlage wie mich besteht darin, Bücher zu machen wie „Generation Beleidigt“ von Caroline Fourest, weil sich die großen Verlage an solche Themen nicht herantrauen und nichts so sehr fürchten wie einen Shitstorm.” Sie haben keine Angst davor?
Nein, ich hatte keine Bedenken, weil vieles heutzutage von der Sprecher:inposition abhängig ist. Als alter weißer Mann würde ich keine Diskussion mit jungen Leuten über die Gendersprache führen wollen. Die sollen das unter sich diskutieren. Aber Caroline Fourest ist links, eine junge Feministin und hat als Kolumnistin bei Charlie Hebdo gearbeitet. Das ist eine Position, die sie nicht so einfach angreifbar macht. Deshalb hat es mir gefallen, einen Titel zu finden, der von so einer Person geschrieben ist. Die Möglichkeit einer Auseinandersetzung ist eher gegeben, als wenn ich es geschrieben hätte. Es gibt aber auch Nachteile, wenn alles nur auf diese Sprecher:inposition zurückgeführt wird, denn man beschneidet sich in gewisser Weise. Schließlich gibt es alte weiße Männer, die durchaus etwas zu sagen haben und nicht nur ihre Vorurteile pflegen.
Könnte das Buch von Jake Wallis Simons etwa so einen Shitstorm auslösen?
Das lässt sich nicht vorhersagen, aber ich glaube nicht. Aber andererseits habe ich schon häufig falsche Prognosen gestellt und mir vergebliche Hoffnungen über Neuerscheinungen gemacht, und dann sind die Bücher, denen ich es am wenigsten zugetraut habe, am erfolgreichsten geworden. Ich kann also letztlich nur hoffen, dass es wahrgenommen und debattiert wird. Aber zumindest ist jetzt die Chance da, weil das Thema gerade diskutiert wird. Der Autor war jedenfalls mal Reporter und war in vielen Krisengebieten unterwegs. Jetzt ist er der Herausgeber des “Jewish Chronicle”, und einige werden deshalb schon abwinken. Aber er ist kein Hardcore-Ideologe einer bestimmten Position, weder einer konservativen noch einer linken. Er nimmt eine sehr bürgerliche, liberale Position ein. Auch deshalb ist er gut. Man kann ihn nicht in eine Ecke stellen.
In sechs Jahren steht Ihr 50. Verlagsjubiläum bevor: Wollen Sie bis dahin weitermachen?
Absolut. Ich mache weiter, solange es irgendwie geht. Ich hätte keine Lust, meine nicht vorhandene Rente zu verzehren und Däumchen zu drehen.
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