Seit 28 Jahren bringt Dr. Frank Böttcher mit seinem Berliner »Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte« – benannt nach dem mit der Malerei verbundenen Evangelisten, aber auch nach dem Sohn des Verlegers – Wissenschafts- und Sachbücher heraus. Die über 600 Werke thematisieren etwa den Widerstand und die Opfer in der NS-Zeit, die Alltagsgeschichte der DDR, die Kunst- und Architekturgeschichte seit dem Mittelalter sowie die Kulturgeschichte Berlins und Brandenburgs. So vielfältig die Themenpalette, eines haben die Werke gemeinsam: Es handelt sich um »Bücher ohne Verfallsdatum«, wie es der Slogan des Verlags verspricht.
Herr Böttcher, erstmal herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Berliner Verlagspreises. Bei der sechsten Bewerbung hat es schließlich geklappt. Was war diesmal anders?
Bei solchen Preisen muss die Jury die ganze Bandbreite vielfältigster Verlage abdecken. Wenig glamouröse oder zeitgeistige Programme wie das unsere haben es hier schwerer als manch andere. Aber ich bin bockig und schreibe dann schon mal in die Bewerbung: »Wir machen langweilige Bücher, aber sie sind verdammt gut. Guckt sie euch an!« In diesem Jahr gab es offenkundig Juroren, die einen Draht dazu hatten.
Was zeichnet für Sie ein gutes Buch aus – oder ein »Buch ohne Verfallsdatum«, wie der Lukas Verlag es für sich beansprucht?
Den Slogan hatten wir nicht von Anfang an, auch ist er ein bisschen geklaut. Von Anfang an aber ging es um geisteswissenschaftliche und zeitgeschichtliche Sach- und Fachbücher. Im Kern sind wir ja ein Wissenschaftsverlag, doch keiner von der drögen Sorte, sondern eher freigeistig und anarchisch. Da es sich um eine ostdeutsche Nachwendegründung quasi ohne Eigenkapital handelte, bot der Schwerpunkt auf wissenschaftliche Titel die Möglichkeit, sie mit bescheidenem Kapitaleinsatz zu realisieren. Häufig gibt es hier Förderungen. Auch existierte damals noch ein nennenswertes Bibliotheksgeschäft, sodass ich davon ausgehen konnte, dass an die 150 Bibliotheken die Bücher kauften. Ebenso wichtig ist, dass der wissenschaftliche Anspruch eine gute Qualität der Texte verspricht. Natürlich sind sie oft länger und komplexer, als fix geschriebene Sachbücher, und sie bedienen nur eine Nischenklientel. Für deren Arbeit aber sind sie unverzichtbar. Das wiederum hat Konsequenzen – nicht zuletzt für die Ästhetik und Sprache. Ich will Bücher machen, die nicht die tagesaktuellen Debatten bedienen, sondern die in diesen geschichtsvergessenen Zeiten weit zurückblicken, um fundierter die Gegenwart zu begreifen, die aber auch sprachlich und gestalterisch nicht allen Modetorheiten folgen. Mein Ideal sind Bücher, die hoffentlich in dreißig oder fünfzig Jahren noch gebraucht werden. Natürlich gilt das nicht für alle, aber mit etlichen haben wir es geschafft.
Sind diese Bücher ein Erfolg für Ihren Verlag?
Ach, was ist schon Erfolg. Es gibt Bücher, die mir sehr wichtig sind und in die ich viel Kraft gesteckt habe, sich aber sehr schlecht verkaufen. Trotzdem bin ich darauf stolz wie Bolle. »Theodor Kalide. Monographie und Werkverzeichnis des Berliner Bildhauers (1801–1863)« oder »Die blaue Epoche. Reduktive Farbigkeit im Rokoko« zählen dazu. Es handelt sich um Spezialthemen, aber die Texte der Autoren und deren Forschungsleistungen sind phantastisch. Es sind kluge und außerdem gut gestaltete Bücher, die ich immer wieder gern hochhalte. Oder der erst jüngst erschienene dicke Band »Mittelalterliche Stadtbefestigungen in der Mark Brandenburg und in Norddeutschland«: Da stecken mindestens zwanzig Jahre Forschung drin. Ein paar Leute, die sich mit genau solchen Themen befassen, sind überglücklich, dass dieses Werk endlich vorliegt. Auch das ist für mich Erfolg.
Natürlich muss ich immer auch einen gewissen Umsatz machen, um leben zu können und meinen Kollegen zu bezahlen. Dafür braucht es ab und zu Bücher, die sich etwas besser verkaufen. Wenn der Monatsumsatz bei der Auslieferung fünfstellig ist, dann bin ich beruhigt und zufrieden. Wenn er indes nur wenige tausend Euro beträgt und das dreimal hintereinander passiert, dann haben wir sofort eine Krise.
Eine solche Krise gab es 2004: Damals hat Sie ein Auftritt von Günter Jauch bei der TV-Show von Elke Heidenreich vor der Insolvenz gerettet. Er hat den Band »Emmi Bonhoeffer – Gespräch, Essay, Erinnerung« empfohlen, der es daraufhin auf den fünften Rang der Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat. Das Buch über die Witwe des NS-Widerstandkämpfers Klaus Bonhoeffer war Ihre wirtschaftlich erfolgreichste Publikation…
Diese Krise war hausgemacht. Der anfangs noch in meiner Wohnung befindliche kleine Verlag war ja nicht schlecht gestartet, doch um 2002, 2003 wurde ich gar zu mutig. Ich brachte ein paar Titel auf den Weg, die mir heute immer noch wichtig sind, die aber viel zu schlecht liefen. Plötzlich standen 55.000 Euro im Raum, die ich nicht besaß. Ich musste Geld von Freunden und meiner eben erst geheirateten Frau borgen, musste den Kollegen entlassen und das Büro untervermieten… Und in dieser Situation passierte nun dieses Wunder. Am Ende vom Lied war ich meine Schulden los und konnte die Reset-Taste drücken. Natürlich war der Erfolg mit Aufmerksamkeit in der Presse und im Buchhandel verbunden. Doch die ist flüchtig. Einen Langzeiteffekt hatte es nicht.
Wenn Sie von einem Wunder erzählen, klingt das nach Glück und Zufall. Was können Sie als Verleger zum Erfolg eines Buches beitragen?
Das Fundament ist das Gesamtprogramm, die Backlist – nicht der einzelne Titel, nicht die Novität. Wir sind ein kleiner Laden, für den ein solches Programm einerseits zu breit ist. Denn wir haben ja das Problem, dass wir mit jedem Programmsegment eine jeweils andere Klientel aktivieren müssen. Die einen schätzen uns für unsere Bücher zur brandenburgischen Landesgeschichte, andere für solche zur Ostmoderne, wieder andere für die zur NS-Zeit. Aber es gibt bei alldem wenig Synergien. Andererseits bewahrt uns die Breite vor der Abhängigkeit von Konjunkturen. Wenn das eine nicht mehr funktioniert, dann klappt eben das andere. Allerdings stellt sich der Buchhandel unsere Bücher selten aktiv hin, und ich bin auch nicht gut darin, mich in Netzwerken zu tummeln und Klinken zu putzen. Das können manche Kollegen besser. Wir versuchen eher, über eine gute Pressearbeit bei unseren Lesern und Käufern bekannt zu werden. Die gehen dann mit dem Zeitungsartikel in der Hand in die Buchhandlungen, wo man von dem betreffenden Titel und manchmal sogar vom Verlag angeblich noch nie gehört hat. Zum Beispiel waren wir in den letzten vier Wochen mit »Magistrale der Moderne«, einer voluminösen Dissertation zur Ostberliner Karl-Marx-Allee, mehrfach groß in der Presse. So war meine Strategie von Anfang an.
In der Presse sind Sie jetzt auch wieder als Preisträger des Berliner Verlagspreises. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Mir ist die damit verbundene Würdigung genauso wichtig wie das Preisgeld. Etwas anderes zu sagen wäre gelogen. Man bewirbt sich, um den Preis zu kriegen, und wir haben inzwischen auch das Selbstbewusstsein, ihn wirklich verdient zu haben. Nicht, dass andere Verlage ihn nicht auch verdient hätten… Da das, was bei uns im Laufe von inzwischen fast drei Jahrzehnten entstanden ist, wirklich Substanz hat, ist die Juryentscheidung wahrlich kein Fehlurteil. Dass der Preis mit reichlich Anerkennung verbunden ist, tut der Seele gut. Gleichzeitig weiß ich, es ist ein brancheninterner Preis, den eigentlich nur Kollegen und ein paar Buchhändler wahrnehmen und auch das nur kurzfristig. Und viele Freunde und Autoren haben mir gratuliert, als darüber in der Abendschau und in der Berliner Zeitung berichtet wurde. Der Tagesspiegel hingegen hat den Verlagspreis nicht einmal erwähnt.
Sie liefern mir ein gutes Stichwort: Was haben Sie mit den 15.000 Euro vor?
Das Preisgeld stopft zunächst einmal Löcher. Denn wir hatten eine miserable erste Jahreshälfte, da musste ich Geld aus meiner privaten Altersvorsorge reinschießen, um nicht ins Schleudern zu geraten. Gott sei Dank hat sich der Umsatz in den letzten Monaten von selbst wieder konsolidiert. Auch werde ich mir nach zehn Jahren wahrscheinlich einen neuen Rechner zulegen und im nächsten Jahr zwei oder drei frei finanzierte Titel herausbringen. Ohne den Preis wäre nicht sicher gewesen, dass ich das riskieren kann. Und natürlich werde ich auch mit meinem Kollegen schön essen gehen.
Auf welche Bücher freuen Sie sich im nächsten Jahr besonders?
Ich stecke noch so tief im Abarbeiten des diesjährigen Programms, dass ich kaum dazu komme, nach vorne schauen. Worauf ich mich allerdings sehr freue, ist ein Buch des großartigen Journalisten, Autors und Freizeit-Rock’n’Rollers Alan Posener, der fünfzig kluge, subjektive, streitbare Textexegesen von Dylan-Songs verfasst hat, ferner eine Edition mit Gedichten und Liedern des georgisch-russischen Jahrhundertschriftstellers Bulat Okudschawa, ein Buch über den Berliner Bierboykott von 1894 und wahrscheinlich eines über den ukrainisch-jüdischen Komponisten Michael Lewin und dessen Einsatz für das Instrument Theremin.
Eine letzte Frage, die sich ebenfalls um die Zukunft dreht: Wie geht es denn mit dem Lukas Verlag weiter?
Ich bin jetzt 63 Jahre alt. Lange habe ich gedacht, ich muss irgendwann anfangen abzutrainieren. Ich ging davon aus, dass ich 2025 das letzte Buch machen werde und ungefähr bis zu meinem Siebzigsten nur noch die Backlist ein paar Jahre lang vertreibe. Das wäre natürlich eine sehr traurige Veranstaltung gewesen. Doch seit einem Jahr bin ich mit einem anderen Verlag im Gespräch, und auch wenn es noch nicht spruchreif ist, sieht es so aus, als würde der Lukas Verlag ab dem 1.1.2025 dort fortgeführt – unter demselben Namen. Diese Transformation wird gewiss ein komplizierter Prozess, der aber mit Sicherheit viel besser ist, als das Szenario, den Verlag irgendwann auflösen zu müssen. So kann ich jetzt weiterhin an Projekte denken, die vielleicht erst 2026 oder 2027 erscheinen. Ich kann nach vorne schauen, und das ist gut.
Das ist ein perfektes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch!