Zukunftskopf: Co-Gründerin und CEO Aimie-Sarah Carstensen von ArtNight
Die Mission der Gründerin Aimie-Sarah Carstensen ist Kreativität zu einer Routine zu machen, die alle lieben. Wie sie das mit ArtNight schafft, erzählt sie uns im Interview. Mehr
Anika Wiest
E-mail: anika.wiest@senweb.berlin.de
Telefon: (030) 90138423
Mit SANE Standard etabliert Gründerin Mathilde Charpail von Berlin aus eine Zertifizierung für Sustainable Fashion und hat gerade erfolgreich die Kickstarter Kampagne zur Gründung abgeschlossen.
Liebe Mathilde, mit deinem Unternehmen SANE Standards etablierst du ein unabhängiges, globales Zertifikat. Es zeigt Verbraucher:innen auf einen Blick, dass ein Kleidungsstück nachhaltig, unter fairen Arbeitsbedingungen und ohne gesundheitsbedenkliche Stoffe produziert wurde. Warum braucht es ein solches Zertifikat?
Für die meisten von uns gilt doch: Wir hätten gern ein qualitativ gutes Produkt, bei dessen Herstellung der Umwelt nicht geschadet wurde und das unter fairen Arbeitsbedingungen produziert wird. Selbst aber haben wir kaum Zeit, gewissenhaft jeden unserer Einkäufe zu recherchieren. Wir verlassen uns auf Werbeclaims und Versprechen der Marken – manches stellt sich dann Greenwashing heraus. Für alle, die nicht in der Fashion Industrie arbeiten, sind die Produktionsbedingungen ihrer Kleidung noch schwerer zu durchblicken. Welches Label steht für nachhaltig und fair produzierte Textilien?
Auf unserem Weg habe ich mir die Textilindustrie sehr genau angesehen und viel recherchiert. Der kritische Punkt der Branche sind die Arbeitsbedingungen. Das ist etwas, was Konsument:innen tatsächlich selbst schwer überblicken können. Es fehlen eindeutig aufbereitete und verständliche Informationen, die ihnen helfen, eine bewusste Kaufentscheidung zu treffen und Klarheit über die Hintergründe ihrer Kleidung zu bekommen. Die Idee hinter SANE Standard ist also: Wir stellen den Kund:innen ein Label zur Verfügung, das kurz und knapp signalisiert, dass die Kleidung ohne toxische Inhaltsstoffe, ökologisch und unter fairen Arbeitsbedingungen produziert wird. Wer mehr über Lieferwege oder die Produktionsbedingungen vor Ort erfahren möchte, kann außerdem einen QR-Code scannen.
Das klingt nach viel Recherchearbeit im Vorfeld – wo steht Ihr gerade in eurer Entwicklung?
Offiziell sind wir dieses Frühjahr mit einer Crowdfunding-Aktion gestartet – aber von der Idee bis zur Entwicklung von SANE sind es bereits sieben Jahre. Dahinter steckt ein komplexer Prozess. Viel Zeit haben wir in Forschung und Konsultationen mit zahlreichen Branchenakteur:innen verwendet, um unsere erste Standardversion für die Produktzertifizierung festzulegen. Nach einigen Tests haben wir aufgrund der Rückmeldungen und Erfahrungen eine zweite Version veröffentlicht. Nun sind wir dabei, diese darin festgelegten Standards regelmäßig zu überprüfen. Wir möchten das höchste erreichbare Niveau an Nachhaltigkeit garantieren. Gerade sprechen wir mit weiteren Marken, um zu wachsen. Es braucht sehr viel Kommunikation und Anerkennung für die Arbeit, die wir tun, damit wir Investitionen bekommen.
Was hast du vor der Gründung von SANE Standard gemacht?
Davor war ich als Logistikexpertin in verschiedenen Branchen tätig. Zu Beginn meines Berufslebens war ich bei der NGO Emergency Relief für die Logistik verantwortlich. Im Anschluss daran habe ich viel in der Textilbranche gearbeitet, was den Grundstein für mein heutiges Projekt gelegt hat. So war ich 2013 für die Logistik eines Textilunternehmens in Spanien zuständig, die in Bangladesch produzieren ließen. In diesem Jahr stürzte dort in Sabhar das Fabrikgebäude ein, das mehr als 3.000 Arbeiter:innen unter sich begrub. Rund 1.131 Menschen konnten nur noch tot geborgen werden können. Das Ereignis, das als Rana Plaza Fabrikeinsturz bekannt wurde, hat die Fashionbranche aufgerüttelt – und auch mich. Ich habe zwar nicht für eine Firma gearbeitet, die in diesem Gebäude produzieren ließ aber die Arbeitsbedingungen sind oft ähnlich. Auch war das Unglück in dem Sinn keine Überraschung für mich, aber es hat mir auf besondere Art die Augen geöffnet. Ich dachte damals: Das ist es, warum unsere Kleidung hier so billig ist. Nicht aufgrund von Massenproduktion oder Globalisierung, sondern weil dafür Menschen ausgebeutet werden und mit ihrem Leben bezahlen. Damals habe ich angefangen zu recherchieren, welchen Einfluss die weltweite Textilindustrie auf Umwelt und Menschen hat. Was es bedeutet es für das die Umgebung, wenn eine Fabrik ihr Wasser mit Schadstoffen aus der Produktion nicht entsorgt, sondern einfach in das Abwasser leitet, weil das günstiger ist? Daraus entwickelte sich der Wunsch, mehr Transparenz zu sorgen und Marken zu mehr Nachhaltigkeit und guten sozialen Rahmenbedingungen zu verpflichten.
Was müssen die Unternehmen erfüllen – nach welchen Standards oder Vorgaben richtet Ihr Euch?
Wir haben selbst einen Anforderungskatalog erstellt, den die Marken erreichen müssen. Ein klar formuliertes Regelwerk. Dabei versuchen wir, in den Grenzen des Möglichen zu bleiben. Was kann eine Marke basierend auf den höchsten Produktionsstandards realistisch umsetzen? Beim Einkommen müssen wir zum Beispiel auch länderspezifisch abwägen, was dort ein gutes, faires Einkommen für die einzelnen Arbeiter:innen bedeutet.
Wir stellen über externe, unabhängige Prüfer:innen zum einen sicher: Gibt es die Fabrik vor Ort, so wie sie beschrieben ist, tatsächlich? Arbeitet sie nach vorgegebenen Standards das Arbeitsrecht betreffend? Gibt es auch sicher keine Kinderarbeit? Solche Untersuchungen vor Ort können bis zu einem Monat dauern. Gerade haben wir in Portugal einen solchen Zertifizierungsprozess mit unserer ersten Marke – einer dänischen Marke – durchlaufen. Bis zur Ausstellung des SANE Standard-Zertifikats dauert es einige Wochen, die Prüfung vor Ort erfordert aber nur einen Tag.
Habt Ihr euch mal überlegt, auf einen der festgelegten Standards zu verzichten – also kann ein Produkt schonend für die Umwelt und ohne giftige Materialien für den/die Träger:in hergestellt werden – dafür drückt man bei den Arbeitsbedingungen ein Auge zu?
Nein, denn wir sagen: Das eine geht nicht ohne das andere. Zu Beginn haben wir auch überlegt, ob man bei einem der Standards Abstriche machen kann. Aber während der Formulierung unserer Mindestanforderungen haben wir festgestellt, dass wir bereits sehr viel mehr fordern als in der Branche üblich. Das allein legt die Messlatte enorm hoch. Wir haben uns damit auseinandergesetzt, was faire Löhne sind, wie man sie je nach Lebensstandard der Produktionsländer definiert. Was die Arbeiter:innen in Asien verdienen, ist schon wenig. Oft deckt es nicht einmal ihre Lebenshaltungskosten – und stellt erst recht nicht sicher, dass sie ihre Kinder zur Schule schicken können. Und auch die Arbeitsbedingungen vor Ort sind oft körperlich hart, weil in vielen Fabriken händisch produziert wird.
Wie könnt Ihr sicherstellen, dass Euch die Produktionsstätten wahrheitsgemäß Auskunft geben und kein Greenwashing betrieben wird?
Der Umweltfaktor können die Prüfer:innen mittels Handelszertifikaten kontrollieren. Diese werden ausgestellt, wenn ein Produkt von einer Bearbeitungsstätte zur nächsten wandert. Der Weg des Produktes wird damit dokumentiert. Man kann darüber bis hin zur Länge der Textilien das Material dokumentieren, um Tricks zu vermeiden. Allerdings bin ich nicht naiv. Wenn eine Produktionsstätte wirklich das System hintergehen möchte, dann kann sie auch einen Weg finden. Aber damit setzt sie ihre Reputation aufs Spiel. Schließlich sind fair und ökologisch produzierte Waren teurer und das aus guten Gründen. Wer hier mittels Betrug die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, schadet sich auf lange Frist selbst.
Wie findet ihr geeignete Brands für die Zertifizierung, oder kommen sie eigenständig auf euch zu?
Ich habe parallel 2017 die Plattform „Sustain your Style“ gestartet, die sehr viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Dort habe ich Konsument:innen über aktuelle Themen der Fashionbranche informiert und über nachhaltige Alternativen für Kleidung geschrieben. Ich habe Marken, die nachhaltig arbeiten, unterstützt und beraten. Dadurch habe ich enge Kontakte zu Marken hergestellt und habe mir in der Fashionbranche ein gutes Netzwerk aufgebaut. Jetzt gehen wir eine Marke nach der anderen an und sorgen außerdem für Sichtbarkeit auf Social Media. Hier liegt momentan die meiste Arbeit.
Ihr arbeitet von Berlin aus, aber agiert international. Wie kam es dazu?
Um SANE Standard zu starten, war Berlin meine erste Wahl. Davor habe ich in Madrid gelebt. Berlin ist ein Startup-Magnet und bietet ein sehr gutes Umfeld, ein solches Business zu starten. Es gibt eine große Community und viel Anschluss an Investoren und Inkubatoren. Nur mit der Sprache hier kämpfe ich etwas. Und die Pandemie hat einige Netzwerke einschlafen lassen. Viele Events wurden gecancelt und sind meiner Empfindung nach in gleicher Form noch nicht zurückgekommen. Das muss sich jetzt wieder finden und neu aufbauen, aber es kommt zurück, da bin ich sicher. Übrigens ist es für uns fast ein Qualitätsmerkmal hier in Berlin zu sitzen, es verleiht uns noch mehr Glaubwürdigkeit. Schließlich ist Deutschland das Land der Dokumente und Formulare. Ein Zertifikat aus Deutschland – das hat zusätzliche Strahlkraft, weil man ihm international großes Vertrauen schenkt. Was manchmal nervig sein kann, ist für uns und SANE Standard eigentlich Segen.
Das ist zwar nicht der Grund, warum ich hergekommen bin, aber wir profitieren natürlich von diesem Ruf. Und ich bin sehr dankbar für die Unterstützung und das Netzwerk hier. Wir sind von der Investitionsbank Berlin (IBB) unterstützt worden und integriert in das Berlin Startup Network.
Wie ist deine Sicht als Female Founder auf die Branche?
Ich merke, dass es aus unterschiedlichen Gründen schwieriger ist, sich als Female Founder zu behaupten, dabei gibt es mittlerweile viele Gründerinnen. Für uns ist es zum Beispiel schwieriger, Investoren zu überzeugen. Die Branche wird von mittelalten Männern dominiert. Um in Klischees zu sprechen, ist der typische Investor ein Mann im Alter von 50 plus aus Europa – das schließt zumindest die ein, die ich getroffen habe. Oft haben sie keine persönliche Verbindung zur Fashionwelt und sehen den Bedarf an Maßnahmen nicht, die es braucht, um hier der Umwelt weniger zu schaden. Als weibliche Gründerin hat man nicht den gleichen Vertrauensvorschuss.
Gibt es eine Vision für SANE Standard in den kommenden Jahren? Wie soll sich das Label entwickeln?
Hätte man mich das vor fünf Jahren gefragt, hätte ich gesagt: Ich möchte bis zur jetzigen Zeit hunderte von Marken mit meinem Label zertifiziert haben. Mittlerweile ist die Nachfrage nach mehr Transparenz und Information in diesem Bereich sogar noch gewachsen. Die Kund:innen suchen aktiv danach, aber umgekehrt braucht es Zeit, gewissenhaft zu arbeiten. Wenn wir 50 Marken auszeichnen können, ist das für uns eine gute Zielvorgabe. Ich möchte für SANE Standard gesundes Wachstum und Entwicklung und eine langfristige finanzielle Basis.
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