Mundi Vondi ist der Mitbegründer und CEO von Klang Games, einem in Berlin ansässigen Spielestudio, das derzeit SEED entwickelt, eine groß angelegte, persistente virtuelle Welt. SEED findet auf dem Planeten Avesta statt und soll den Spieler:innen eine riesige und fesselnde Welt bieten, die zur Zusammenarbeit und zum Aufbau von Gemeinschaften anregt. Mundi spricht mit uns im Berliner Büro von Klang über den Entstehungsprozess von SEED und wie Klang die Vielfalt in die Entwicklung des Spiels einbezieht.
Warum haben Sie sich entschieden, Ihr Studio in Berlin und nicht in Island zu gründen?
Wir haben in Berlin angefangen, weil Island damals gerade einen wirtschaftlichen Zusammenbruch hinter sich hatte und das Land finanziell in einer seltsamen Lage war. Man durfte nur Geld nach Island bringen, aber kein Geld herausnehmen. Außerdem ist es schwieriger als gedacht, Leute nach Island umzusiedeln, so dass es eine ziemliche Herausforderung ist, dort Talente zu finden. Damals gab es in Berlin nicht viel Konkurrenz, was sich seither natürlich sehr geändert hat. Aber wir hatten das Gefühl, dass wir ein Ort für Leute sein könnten, die in Berlin leben wollten, aber keine Möglichkeiten in der Spieleentwicklung finden konnten. Abgesehen von logistischen Gründen haben wir uns für Berlin entschieden, das ein riesiges europäisches Designzentrum ist, weil es so reich an Vielfalt und Kultur ist. Es ist der perfekte Ort, um sich inspirieren zu lassen! Wir lieben es, dass hier so viele verschiedene Kulturen und Hintergründe zusammenkommen und einander beeinflussen. Wir sind stolz darauf, dass sich die Lebendigkeit und Vielfalt Berlins auf unser Unternehmen und unser Produkt ausgewirkt hat. Außerdem ist es nur ein direkter Flug zurück nach Island.
Neben Ihrem Büro in Berlin bieten Sie auch die Möglichkeit der Fernarbeit an. Was sind die Vorteile und Herausforderungen eines Teams, das über das ganze Land verteilt ist? Wie sieht Ihre Studiokultur aus?
Bei Fernarbeit ist es viel schwieriger, das Gemeinschaftsgefühl zusammenzuhalten. Die Kommunikation wird schwieriger, und manchmal haben die Leute das Gefühl, dass etwas nicht stimmt oder dass sie nicht Teil der Gruppe sind. Sie sind sich nicht bewusst, dass diese Gefühle auf die Tatsache zurückzuführen sind, dass wir alle von zu Hause aus arbeiten, und dass es zusätzliche Anstrengungen erfordert, zu kommunizieren. Auf der anderen Seite ist die Flexibilität großartig. Die Möglichkeit, von zu Hause aus oder sogar in einem anderen Land zu arbeiten, bringt Abwechslung in eine ansonsten eintönige Routine. Wir haben diese Lehren, die wir aus der Fernarbeit während der Pandemie gezogen haben, genutzt, um unsere Unternehmensrichtlinien langfristig zu ändern. Jetzt haben unsere Mitarbeiter:innen die Möglichkeit, sowohl von zu Hause aus als auch für längere Zeit im Ausland zu arbeiten, was wir für einen großen Vorteil halten! Was unsere Studiokultur anbelangt, so streben wir bei Klang ein möglichst vielfältiges Studio an. Wir wollen, dass so viele verschiedene Meinungen und Lebensgeschichten wie möglich in das Produkt einfließen. Wir sind stolz darauf, dass unter unseren 70 Mitarbeiter:innen über 30 verschiedene Nationalitäten vertreten sind. Ich denke gerne, dass wir ein bisschen verrückt sind, es ist nicht der durchschnittliche Arbeitsplatz. Die Leute sind sehr leidenschaftlich und haben eine eigene Meinung zum Produkt, was bedeutet, dass sie manchmal emotional werden, aber ich denke, das ist eine gute Sache.
Sie haben in den Bereichen Modedesign und -produktion, bildende Kunst, Grafikdesign und in der Filmindustrie gearbeitet. Was hat Sie dazu bewogen, in die Spielebranche zu wechseln? Und wie beeinflussen Ihre Erfahrungen in den anderen kreativen Bereichen Ihre aktuelle Arbeit?
Ich war schon immer ein Gamer und ein totaler Nerd. Für mich gehen die ständig wachsenden Möglichkeiten in der Spielebranche weit über das hinaus, was man in anderen Bereichen tun kann. Es ist wirklich eine Ansammlung aller anderen Bereiche. Es ist fast so, als würde ich all die anderen Dinge, die ich gemacht habe, in einen Topf werfen. Es gibt Musik, Kunst, Mode, alles, all diese Bereiche sind in Spielen enthalten. Außerdem liebe ich Multiplayer-Spiele, bei denen man gemeinsam etwas aufbaut, und davon gibt es nicht viele auf dem Markt. Als Ívar (CCO bei Klang Games), Oddur (CTO bei Klang Games) und ich Freunde wurden, fingen wir an, über die Zukunft von Spielen zu sprechen, was uns auf die Idee von SEED brachte. Das war auch einer der Hauptgründe für meinen Wechsel in die Spieleindustrie, wir sind einfach so verliebt in die Idee von SEED.
Bitte erzählen Sie uns mehr über SEED, Ihr Spiel, das darauf abzielt, „die Online-Zusammenarbeit neu zu erfinden“.
Zusammenarbeit ist ein wirklich interessantes Thema, das wir mit SEED erforschen. Es ist auch etwas, von dem wir glauben, dass es alle Probleme der Menschheit lösen könnte. Allerdings gibt es auch Herausforderungen. Die Meinungen der Menschen kollidieren, manche sind egozentrisch, manche manipulieren andere. All dies kann ein Umfeld schaffen, das der Zusammenarbeit entgegensteht, wie wir es auch im wirklichen Leben erleben. Aber wir sind begeistert von dieser Herausforderung und der Tatsache, dass es sich um ein so reales Problem handelt. Das Spiel soll Menschen dabei helfen, Systeme zu entwickeln, die sie zusammenbringen und sie dazu bringen, zusammenzuarbeiten, auch wenn alle Widrigkeiten gegen sie sprechen. Menschen werden scheitern, und wir wollen, dass das im Spiel Realität wird. Es ist keine Utopie und wir wollen, dass die Handlungen der Menschen echte Konsequenzen haben. Durch diese Konsequenzen wird die Zusammenarbeit noch wichtiger.
Gesellschaftliche Systeme arbeiten oft darauf hin, gegenseitige Anreize zu schaffen, die den Menschen Rollen zuweisen. Genau das tun wir mit den Setzlingen. Die Setzlinge brauchen Dinge, und diese Bedürfnisse sind eine Gelegenheit für die Spieler:innen, etwas für die Gesellschaft zu tun.
Wie gehen Sie bei der Entwicklung eines Spiels wie SEED vor? Wie schaffen Sie etwas, das tiefgründig und bedeutungsvoll und gleichzeitig fesselnd und unterhaltsam ist? Wie bringen Sie die Spieler:innen dazu, in einer Spielwelt, in der es meist nur um das freie Spiel geht, zusammenzuarbeiten?
Unser Ziel ist es, ein Spiegelbild der Gesellschaft und der Menschheit zu schaffen. Wir wollen bei unseren Spieler:innen verschiedene Emotionen hervorrufen, die man eher in anderen Medien als in Spielen findet. Spiele neigen dazu, fantastisch zu sein, aber sie berühren nicht oft die Elemente des täglichen Lebens. In einem Spiel sieht man zum Beispiel nur selten, dass sich die Hauptfigur zum Essen hinsetzt. Das liegt daran, dass die Menschen lieber durch die Gegend rennen und schnelle Autos fahren, als etwas Alltägliches zu tun. Das kann zwar aufregend sein, aber mit SEED wollen wir authentische menschliche Emotionen wecken. Es ist viel einfacher, diese Emotionen in den Menschen auszulösen, wenn sie mit einer nachvollziehbaren Figur statt mit einem Helden konfrontiert werden. Aus diesem Grund sind unsere Setzlinge so menschenähnlich wie möglich. Sie sind zerbrechlich, sie haben soziale Kontakte, schlafen und mögen bestimmte Nahrungsmittel. Außerdem haben ihre Entscheidungen echte Konsequenzen. Das sind alles Dinge, mit denen sich die Menschen identifizieren können, was zu einem tieferen, sinnvolleren Erlebnis führt. Was die Zusammenarbeit betrifft, so sind Anreize wirklich der Schlüssel. Außerdem gibt es in SEED viele Win-Win-Szenarien, was die Zusammenarbeit fördert. Wenn du zum Beispiel ein Unternehmen im Spiel betreibst, kannst du immer mehr Setzlinge von anderen Spieler:innen einstellen und du kannst immer mehr Dinge an andere Spieler:innen verkaufen. Das wiederum schafft mehr Möglichkeiten für die Gemeinschaft.
Wie füllt man ein Spiel, das ständig läuft, mit genügend Leben und Inhalt?
Die Spieler:innen sind wirklich der Inhalt. Der Inhalt ist in SEED emergent. Das ist ganz anders als bei Spielen wie World of Warcraft, bei denen das Studio ständig neue Inhalte erstellen muss. Das führt zu dem, was wir eine "Content-Tretmühle" nennen, bei der das Studio in einem endlosen Kampf feststeckt, um den Spieler:innen genügend Inhalte zu bieten. Da die Spieler:innen die Inhalte in der Regel schneller konsumieren, als sie produziert werden, führt dies zu einer Menge an sich wiederholenden Inhalten. SEED hingegen ist eine Simulation, bei der die Spieler:innen alles selbst aufbauen (Unternehmen, Arbeitsplätze, Charaktere). Sie erschaffen diese interessante Umgebung, die wächst und kein Ende hat. Wir erforschen auch, wie wir kontinuierlich Inhalte abbauen können, so dass es für die Spieler:innen ein ständiger Kampf ist, ihre Umgebung immer wieder neu zu gestalten, zu reparieren und zu verbessern. Natürlich müssen wir immer noch eine Menge Inhalte produzieren und Aktualisierungen vornehmen, aber das ist für uns keine so große Herausforderung wie für andere Spiele.
Auf Ihrer Website schreiben Sie, dass Sie „die Zukunft der Menschheit durch verschiedene Medienformen erforschen“ wollen. Wie machen Sie das und was haben Sie bisher erreicht?
SEED simuliert eine menschliche Gesellschaft in einem größeren Maßstab, als wir es je zuvor gesehen haben. Außerdem ist es ein Multiplayer-Spiel, und das ist unserer Meinung nach das Spannende daran, denn es bringt das ganze menschliche Chaos mit ein. Um dies weiter zu vertiefen, haben wir einen Podcast erstellt, in dem wir Expert:innen zu allen möglichen Bereichen interviewt haben, die mit SEED zu tun haben, von der Zukunft der Politik bis hin zu Gehirnimplantaten. Wir wollen noch viel mehr davon machen, aber auch eigene Recherchen anstellen und unsere Community mit einbeziehen. Wir arbeiten auch an einer epischen Hintergrundgeschichte, die unsere Erkenntnisse aus unserer Arbeit nutzt, um eine unterhaltsame Erzählung rund um das Spiel zu schaffen. Wir entwickeln SEED auf eine transparente Art und Weise, die es uns hoffentlich ermöglicht, unsere Daten zu nutzen, um zu verstehen, wie Gesellschaften entstehen.
Die Welt von Avesta kann als ein Gesellschaftsexperiment betrachtet werden. Können Sie etwas über das Spieldesign sagen und darüber, wie es dazu beiträgt, Vielfalt und Integration zu fördern? Haben Sie Richtlinien für die Entwickler:innen, um diese positive Richtung zu stärken?
Wir möchten, dass SEED ein inklusiver Raum ist, in dem sich die Spieler:innen sicher fühlen können, so zu sein, wie sie sind, oder welche Version ihrer selbst sie im Spiel sein wollen. Wie bei anderen Aspekten des Spiels erfolgt die Selbstidentifikation in SEED über Werkzeuge, die die Spieler:innen nach Belieben einsetzen können. Zunächst einmal haben die Spielerinnen und Spieler die volle Kontrolle darüber, wie sie ihr Geschlecht ausdrücken, und das geht über die Binarität von männlich und weiblich hinaus. Außerdem gibt es, anders als in anderen Spielen, keine Standard-Hautfarbe. Anstatt vorgegebene Geschlechter oder Hautfarben zu schaffen, geben wir unseren Spieler:innen alle Materialien, die sie brauchen, um ihre Geschlechtsidentität und Hautfarbe uneingeschränkt auszudrücken. Wir bemühen uns auch um Inklusivität in Bezug auf Alter und Fähigkeiten. Was die Spieler:innen anbelangt, so wollen wir eine warme und einladende Gemeinschaft fördern. Um dies zu erreichen, entwerfen wir Systeme, die die Zusammenarbeit von Gruppen fördern und arbeiten daran, jede Art von diskriminierendem oder hasserfülltem Verhalten im Spiel zu minimieren.
Dieser Beitrag stammt im Original von GamesCapitalBerlin und ist hier zu finden (in Englisch).