Voland & Quist: „Der Preis macht deutlich, dass wir in Berlin angekommen sind.“
Der Verlag Voland & Quist ist Preisträger des diesjährigen Großen Berliner Verlagspreises. Ein Interview mit dem Verleger Leif Greinus. Mehr
Anika Wiest
E-mail: anika.wiest@senweb.berlin.de
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Am 7. November 2021 wurde nun bereits zum vierten Mal, gemeinsam von den Berliner Senatsverwaltungen für Kultur und Europa sowie Wirtschaft, Energie und Betriebe, der Berliner Verlagspreis im Deutschen Theater verliehen. Der mit 15.000 Euro dotierte Berliner Verlagspreis ging an den Verlag „Das kulturelle Gedächtnis“, der nicht nur für seine Titelauswahl ausgezeichnet wurde, sondern auch für die einmalige Gestaltung seiner Bücher: Jedes Werk hat einen Kopffarbschnitt, farbiges Vorsatzpapier und ist mit einer hochwertigen Prägung versehen. Der Verlag sei eine „Wunderkammer des Verlegens“ hieß es im Statement der sechsköpfigen Jury: „Die wiederentdeckten Werte aus der Vergangenheit, ob fiktional oder nicht, sollen die Gegenwart beleuchten – und das gelingt immer wieder auf erstaunliche Art und Weise.“
Der Verlag wurde 2016 als Gemeinschaftsprojekt von Thomas Böhm, Peter Graf, Carsten Pfeiffer und Tobias Roth mit Sitz im Prenzlauer Berg gegründet. Sie selbst bezeichnen sich als Kuratoren und nicht als Verleger und haben um sich herum ein Netzwerk an stillen Teilhaberinnen und Teilhabern, Unterstützerinnen und Unterstützern geschart. Sie alle vereint die Leidenschaft für Literatur und für außergewöhnliche Themen.
So erschien bereits im ersten Verlags-Programm im Frühjahr 2017 „Reise in ein neues Leben“ von Gottlieb Mittelberger, der Reisebericht eines deutschen Flüchtlings, der sich 1854 aus Schwaben nach Amerika begab. Aktueller kann Literatur nicht sein. Es sind die wiederentdeckten Bücher, die Erfahrungen aus der Vergangenheit in die Gegenwart transportieren. An einer literarischen Sensation war der Verlag ebenfalls beteiligt: dem neu entdeckten Roman „Jack Engle“ von Walt Whitman, der auch in anderen Verlagen erschien.
Der Verlag erhält nicht nur von allen Seiten Anerkennung, er ist auch ökonomisch erfolgreich. Aber das Geld, das erwirtschaftet wird, zahlen sich die Beteiligten nicht in Form von Löhnen aus, sondern investieren es in die kommenden Buchprogramme. „Das mag idealistisch sein, aber nicht uneigennützig“, sagt Verleger Peter Graf: „Wir profitieren in vielerlei Hinsicht. Geld ist ja nur eine Währung unter vielen. Dazu zählt beispielsweise auch, dass es Menschen gibt, die uns, bzw. den Verlag, unentgeltlich unterstützen oder anderweitig helfen. Bücher verlegen heißt auch in Kommunikation zu treten mit all den Menschen, die diese Bücher ermöglichen, sie lesen, über sie berichten oder sie verkaufen. Und diese Begegnungen sind sehr bereichernd.“
„Astu non vi“ – „Mit List und nicht mit Kraft“ lautet der wohl klingende Leitgedanke, der nicht nur auf der Verlagswebsite, sondern auch – auf Latein – in allen Büchern zu finden ist. Der Titel wurde sehr bewusst gewählt, so Graf: „Als kleiner Verlag können wir zwar auch viel Leidenschaft, Wissen und Kraft in die Waagschale werfen, gemessen an der Marktmacht der größeren und großen Verlage in Deutschland sind diese Kräfte aber sehr überschaubar. Wir müssen also anders auf uns aufmerksam machen. Uns gelingt das mit guten, klug besetzten Themen und schön gestalteten Büchern. Und die List besteht, wenn man so will, darin, dass wir uns in unserer Nische sehr selbstbewusst eingerichtet haben. Außerdem haben wir uns für unsere Arbeit einen Rahmen geschaffen, der es uns erlaubt, ohne allzu großen ökonomischen Druck unsere Ideen zu verwirklichen.“
Der Name des Verlages „Das kulturelle Gedächtnis“ ist ebenfalls alles andere als gewöhnlich, jedoch mit Bedacht gewählt: „Zuerst schien es uns ein wenig vermessen. Und natürlich ist es das auch, aber der Verlagsname beschreibt andererseits sehr genau, was der Verlag programmatisch leisten möchte – nämlich in der Vergangenheit nach Antworten auf Fragen zu suchen, die uns heute umtreiben. Und in diesem Zuge wollen wir Texte wieder zugänglich machen, die zu unserem kulturellen Erbe gehören und unsere Gegenwart bereichern. Es ist aber kein Kanon-Gedanke, den wir verfolgen, sondern wir greifen auf, was uns wichtig erscheint“, sagt Peter Graf.
Bei der Auswahl der Autorinnen und Autoren gehen die Verleger demokratisch vor: „Jeder von uns hat andere Vorlieben. Unser thematisches Spektrum ist daher vergleichsweise groß und reicht von der Renaissance bis in die 1970er Jahre. Manchmal stoßen wir nebenbei auf eine interessante Autorin oder einen interessanten Autor, manchmal fördert aber auch intensive Archivarbeit einen besonderen Stoff zutage und oft führt die stetige Beschäftigung mit einer bestimmten Epoche dazu, dass man auf lesenswerte Bücher stößt, die in Vergessenheit geraten sind.“
Peter Graf verrät auch die Highlights für das kommende Verlagsprogramm: „Eines unserer erfolgreichsten Bücher ist eine Auswahl aus dem Grimmschen Wörterbuch. Dort haben wir, aufwendig gestaltet, die schönsten, seltsamsten und unbekanntesten Wörter aus dem Grimmschen Wörterbuch versammelt. Im Frühjahr wird der Folgeband erscheinen. Ferner erscheint ein Roman der jüdischen Autorin Grete Weil, ein Briefband mit Briefen aus der DDR, die die turbulenten Ereignisse der Jahre 1989/90 widerspiegeln sowie ein Roman des niederländischen Autors Louis Ferron, der in den 1970er Jahren geschrieben, nun erstmals auf Deutsch erscheinen wird. Insgesamt werden, wie jedes Jahr, acht Bücher in unserem Verlag erscheinen.“
Zweimal stand der Verlag „Das kulturelle Gedächtnis“ bereits auf der Shortlist des Berliner Verlagspreises. Dass es nun geklappt hat, freut die Verleger sehr: „Wenn die eigene Arbeit auf diese Weise gewürdigt wird, spornt das an und tut gut, aber das Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro hilft uns auch ganz praktisch bei unserem Bemühen, wichtige aber vergessene Bücher neu aufzulegen“, so Peter Graf. In diesem Jahr haben sie auch die Verlagsräume in ihrem Ladenlokal in der Heinrich-Roller-Straße einem breiten Lesepublikum zugänglich gemacht. Die Räume wurden in eine Buchhandlung umgestaltet, in der von donnerstags bis samstags Bücher aus derzeit 85 unabhängigen Verlagen entdeckt und gekauft werden können. Perspektivisch soll es auch Veranstaltungen geben, die sich mit den unterschiedlichen Aspekten des unabhängigen Verlegens beschäftigen.
Es gibt im deutschsprachigen Raum keinen zweiten Ort, der für das literarische Schaffen eine vergleichbare Bedeutung hätte wie Berlin, sagt Peter Graf. Das war im 20. Jahrhundert so und gilt auch für die Gegenwart: „Der Verlag wurde in Berlin gegründet, weil wir im Jahr der Gründung alle in Berlin gelebt und gearbeitet haben. Das war also primär keine Entscheidung, die mit dem Standort Berlin zu tun hatte. Gleichwohl ist Berlin und seine reiche Geschichte für uns ein ständiger Quell der Inspiration und viele unserer Bücher haben direkt oder indirekt mit Berlin zu tun. Und natürlich profitieren wir bei unserer Arbeit von den phantastischen Bibliotheken, Archiven und Institutionen, die in Berlin ansässig sind. Und der direkte Austausch mit den vielen Menschen, die sich in dieser Stadt dem Buch, der Literatur verschrieben haben, ist überaus wertvoll.“
Aber man sollte auch nicht verschweigen, dass diese Stadt für viele Menschen unbezahlbar geworden sei, betont Graf: „Schriftstellerinnen und Schriftsteller beispielsweise – sie nehmen für ihre Arbeit oft prekäre Lebensverhältnisse in Kauf – aber bei den stetig steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten ist es für viele unmöglich geworden, weiterhin in Berlin zu arbeiten. Sie wandern ab. Und das gilt für viele Bereiche der Kulturwirtschaft, zu der ja auch die Verlage gehören. Auch die Gewerbemieten werden zunehmend unerschwinglich und kleinere alteingesessene Unternehmen verdrängt. Die kulturelle Vielfalt dieser Stadt ist also durchaus bedroht.“
Ins Leben gerufen wurde der Berliner Verlagspreis im Frühjahr 2018 von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Mit insgesamt 68.000 Euro ist der Berliner Verlagspreis die am höchsten dotierte Auszeichnung ihrer Art in Deutschland. Ziel des Preises ist es, die Vielfalt der Berliner Verlagsbranche zu fördern, den Verlagsstandort Berlin zu stärken und die ambitionierte Arbeit der unabhängigen Publikumsverlage in Berlin zu würdigen.
Der Verlag Voland & Quist ist Preisträger des diesjährigen Großen Berliner Verlagspreises. Ein Interview mit dem Verleger Leif Greinus. Mehr
Im Deutschen Theater Berlin ist am Sonntag, den 3. November 2024, der Berliner Verlagspreis 2024 verliehen worden. Die diesjährigen Gewinner:innen sind Voland & Quist, Reprodukt und der Transit Verlag. Mehr
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