In 2015 stand das Wort Womenize, gefördert von Projekt Zukunft, erstmals bei der gamesweekberlin auf dem Programm. Buchstäblich, denn beim Aktionstag „Womenize! Games & Tech“ dreht sich alles um die Frauen in der Digitalwirtschaft: vom Community Management in Games bis hin zur Arbeit als Influencerin oder Programmiererin. Was anfangs auf verhaltenen Zuspruch stieß, hat sich nicht nur zu einer festen Größe innerhalb der Games Week Berlin etabliert, sondern auch einen Ableger in Köln gestartet und ist mittlerweile aus der Branche nicht mehr wegzudenken. Dabei würde sich Co-Initiatorin Ruth Lemmen genau das wünschen.
In Männerhand
40.000 neue Stellen werden in Deutschland jährlich in der Informationstechnologie- und Telekommunikationsbranche (ITK) geschaffen. Es könnten mehr sein – allein, es fehlt an Spezialisten: „Fachkräftemangel ist ein riesiges Thema für diese Branchen“, bestätigt Ruth Lemmen, „und das wird sie aufgrund der demographischen Entwicklung auch zukünftig beschäftigen.“ Sie spricht aus Erfahrung: Sieben Jahre war sie für den Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware tätig und als Frau eine „Exotin“. Die ITK- im Allgemeinen und die Gaming-Branche im Besonderen sind fest in männlicher Hand: Laut Untersuchung der International Game Developers Association sind 74 Prozent aller befragten Spielemacher Männer – und das, obwohl einer deutschen Studie zufolge rund die Hälfte aller Gamer weiblich sind.
Diversität als Schlüssel
Die Gamesbranche braucht mehr Diversität! Zu dieser Schlussfolgerung kamen Ruth Lemmen und Michael Liebe, Gründer und Geschäftsführer von Booster Space, der Firma hinter der gamesweekberlin, bereits 2014. Bei der Erkenntnis allein wollten es die Branchenkenner nicht belassen. „Wir haben Womenize! aus der Taufe gehoben, um Frauen zu unterstützen“, erklärt Lemmen, die neben ihrer Arbeit als systemischer Coach, als Beraterin sowie selbstständige Projektleiterin für die Games- und Medienbranche sowie die Europäische Kommission tätig ist. Denn: „Studien zeigen, dass Frauen Vorbilder brauchen, um ihre Karriere voranzutreiben. Weiterhin mangelt es Frauen oft – auch das belegen Studien – am nötigen Selbstbewusstsein, an den tragenden Netzwerken oder an der digitalen Sichtbarkeit, um ihre Karrieren gezielt zu fördern oder ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu steigern.“ Ein Aktionstag im Rahmen der gamesweekberlin sollte diese Barrieren zu überbrücken helfen: Entstanden ist eine Mischung aus Konferenzprogramm und Hands-on-Workshops, in der konkrete Fragen wie etwa zur Verbesserung der digitalen Sichtbarkeit genauso beantwortet wie Bewerbungstipps gegeben werden. Dazu können sich Unternehmen in einem Rekrutierungsbereich präsentieren und mit Teilnehmerinnen ins Gespräch kommen. Das Konzept ist aufgegangen: Seit der Premiere 2015 ist Womenize! alljährlich fester Bestandteil der gamesweekberlin und zieht rund 250 Interessierte an. Dass es sich dabei nicht nur um Frauen handelt, ist laut Ruth Lemmen erwünscht: Womenize! richte sich zwar an Expertinnen, stehe aber Männer offen: „Es geht uns schließlich um die Diversifikation der Arbeitswelt!“
Inklusion statt #Gamergate
Dieses Miteinander ist in der Branche nicht selbstverständlich: 2016 ergab eine Befragung von 141 Shooter-Spielerinnen weltweit, dass 75,9 Prozent von ihnen bereits online beleidigt wurden. Auch die Game-Entwicklerinnen selbst scheinen mit Anfeindungen zu kämpfen zu haben. Besonderes Aufsehen erregte 2014 der Fall #Gamergate, als der Ex-Freund der US-Amerikanerin Zoë Quinn öffentlich behauptete, sie hätte eine Affäre mit einem Journalisten, um positive Kritiken für ihre Spiele zu bekommen. Obwohl die Behauptung nachweislich falsch war, folgten Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen Quinn – ein Thema, das in einem UN-Report namens „Cyber Violence Against Women and Girls“ behandelt wurde und 2018 erneut für Schlagzeilen sorgte: Nach dem Vorbild von #Metoo werden seither unter #GamerleaksDE Beispiele gesammelt, wie Frauen und andere Minderheitsgruppen in der deutschen Gamerszene beschimpft und gemobbt werden. „Es ist ein heikles Thema, das auch auf der Womenize! immer wieder diskutiert wird“, bestätigt Ruth Lemmen, „zuletzt wurde bei unserer Womenize!-Veranstaltung in Köln die Sichtbarkeit von Frauen in der Gamesbranche durch Social Media thematisiert und Strategien aufgezeigt, wie man mit Shitstorms und Beschimpfungen umgehen kann.“
Womenize! goes Köln, Film und Musik
Der Ausflug nach Köln im Oktober 2018 war eine Premiere: Es war die erste Womenize! außerhalb Berlins, „und in diesem Jahr ist eine weitere Veranstaltung in Köln geplant“, verrät Ruth Lemmen. Nicht nur regional, auch thematisch hat Womenize! die Grenzen der Gamerwelt bereits gesprengt. „Wir haben im Rahmen der gamesweekberlin begonnen, weil Michael und ich die Branche gut kannten“, berichtet Lemmen, „doch bald haben wir festgestellt, dass viele Bereiche der Digitalwirtschaft ähnliche Probleme haben.“ Und nicht nur sie: Coachings für Frauen stießen auch in der Musikindustrie und Filmwirtschaft auf großes Interesse. Und ebenso großen Anklang fand auch ein Roundtable für all die Initiativen zu Women in Tech in Berlin, der im Herbst 2015 von Projekt Zukunft der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung organisiert wurde.
Aufwärtstrend
Beim Thema Diversität hat sich in den letzten Jahren sehr viel bewegt. Ob es am Engagement von Womenize! liegt oder an anderen Initiativen wie dem „Girls Day“, dem Berliner Unternehmerinnentag, dem Frauenfokus auf dem Tech Open Air Berlin, der „Female Future Force“ oder dem „Female Game Developer Meetup“, das wagt Ruth Lemmen nicht zu sagen. Alle leisten einen sehr wichtigen Beitrag. Doch klar ist für die Eventexpertin eines: „Ich spüre am Arbeitsmarkt eindeutig positive Effekte und stärkeres Bewusstsein für Diversität.“. Aufgrund dessen finden in diesem Jahr auch erstmals Womenize!-Workshops für Unternehmen statt, die mehr Frauen anziehen möchten. „In der Gamesbranche habe ich außerdem mit Freude festgestellt, dass es viele Indie-Entwickler gibt, viele kleine Studios, bei denen Frauen selbstverständlicher mitgedacht werden. Hier ändert sich etwas mit der jüngeren Generation.“ Zwar zu langsam, aber stetig. Der Anteil der weiblichen IT-Fachkräfte ist seit 2015 von 14 Prozent auf17 Prozent im Jahr 2017 gewachsen, der Anteil der weiblichen Belegschaft insgesamt in IT-Unternehmen von 24 Prozent (2015) auf 28 Prozent (2017). „Die Gesellschaft hat sich verändert“, ist sich Ruth Lemmen sicher, „und doch sehe ich noch viel Bedarf: Wir müssen uns besser vernetzen, sichtbarer werden und selbstbewusst nach vorne gehen. Michael und ich haben beim Start gesagt, wir machen es, bis die Veranstaltung im besten Fall obsolet ist: Wenn die Branche bunt aufgestellt ist, es keine Themen mehr für Frauen gibt“, meint sie und fügt hinzu: „Noch sehe ich das aber nicht...“