Zukunftskopf: Susanna Schwarzmann im Interview

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Laudator Michael Eberhard (Direktor Technik und Produktion Südwestrundfunk) und Preisträgerin Susanna Schwarzmann (2.Preis)

© ARD/ZDF Förderpreis »Frauen + Medientechnologie« / Sabrina Wanninger

Netflix, Amazon Prime, Disney Plus, YouTube - über 80% des globalen Internetverkehrs geht auf die Nutzung von Streaminganbieter zurück. Laut der Streaming-Suchmaschine JustWatch lagen die beiden Ersten mit je 30 Prozent Marktanteil im vierten Quartal 2023 gleichauf an der Spitze. Doch der Markt ist heiß umkämpft: Streaming-Anbieter konkurrieren nicht nur hinsichtlich der angebotenen Inhalte. Um Kunden nicht nur anzulocken, sondern langfristig an sich zu binden ist eine gute QoE (Quality of Experience) mindestens ebenso entscheidend.

Videoqualität, die Wiedergabegeschwindigkeit, die Zuverlässigkeit und die allgemeine Benutzerfreundlichkeit des Streaming-Dienstes: Mit den zahlreichen Aspekten der QoE beschäftigte sich Susanna Schwarzmann 2022 im Rahmen ihrer Dissertation „Modeling and Design of Novel QoE Management Strategies for Adaptive Video Streaming“ an der Technischen Universität Berlin. Sie entwickelte ein mathematisches Modell, das das komplexe Zusammenspiel der technischen Parameter von Videostreaming formal beschreibt. Mit Hilfe theoretischer Analysen wurden praktische Verbesserungen für Streaminganbieter und Netzbetreiber abgeleitet: Variable Segmentdauern, die eine effizientere Videoübertragung erlauben, sowie eine neue Messmöglichkeit für die QoE in 5G Netzen, um mobiles Videostreaming gezielt zu optimieren.

Für ihre innovative Betrachtung mit praktischer Relevanz wurde Schwarzmann mit dem ARD/ZDF Förderpreis „Frauen + Medientechnologie“ 2023 ausgezeichnet. Projekt Zukunft hat mit der Wissenschaftlerin gesprochen:

Frau Dr. Schwarzmann, warum haben Sie sich für das Thema QoE bei Streamingdiensten entschieden?
Ich denke, wir waren auch alle schon einmal davon betroffen (und genervt), dass das Video regelmäßig stockt oder die Wiedergabe einfach richtig schlecht ist. Generell ist die QoE beim Videostreaming also zum einen ein sehr zugängliches Problem, das jedem bekannt ist, und zum anderen auch ein sehr Bedeutsames mit viel Optimierungspotenzial. Mir war es wichtig, in meiner Doktorarbeit an einem Problem zu arbeiten, dessen Lösungen auch praktische Relevanz hat.

Wie sind Sie an die Betrachtung des Problems herangegangen? 
Meine Arbeit bestand aus drei Teilen: 1. Das analytische Modell 2. Praktische Verbesserung für Streaming-Anbieter, das heißt, die Anwendung variabler Segmentdauern, eine effizientere Technik um Videos zu kodieren. 3. Praktische Verbesserung für Netzbetreiber. Das inkludiert eine automatisierte Messung der QoE mit Hilfe von Techniken des maschinellen Lernens.

Sie haben anfangs bereits die praktische Relevanz angesprochen. Welche Verbesserungen können Streaminganbieter und Netzbetreiber Ihrer Analyse nach vornehmen?
Eine dieser praktischen Verbesserungen war eine effizientere Methode zur Kompression von Videos für adaptives Streaming: Wir konnten zeigen, dass durch die Anwendung variabler Segmentdauern die Bitrate von Videos deutlich gesenkt werden konnte, während die Qualität der Videos davon nicht beeinträchtigt wurde. Unsere Methode und die dazugehörigen Analysen wurden mit dem „Excellence in DASH Award“ ausgezeichnet. Der Preis würdigt herausragende Arbeiten, welche die zukünftige kommerzielle Nutzung von adaptivem Videostreaming unterstützen. Er wird vom DASH Industry Forum vergeben, einem Konsortium namhafter Firmen, dem unter anderem Netflix, Google und Microsoft angehören.
Eine weitere praktische Verbesserung war die automatisierte Messungen der QoE mit Hilfe von Maschinellem Lernen in 5G Netzen. Dieser Teil ist sehr enger Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie entstanden: Mit dem französischen Mobilfunkanbieter Orange und mit Huawei als Ausrüster für Kommunikationstechnik. Tatsächlich waren Teile dieser Arbeit relevant für die Standardisierung von 5G Netzen, und die Industriepartner haben auf die Forschungsarbeit auch über meine Doktorarbeit hinaus aufgebaut.

Sie haben gerade den Excellence in DASH Award angesprochen: Ihre Dissertation wurde zudem mit dem ARD/ZDF Förderpreis ausgezeichnet. Welche Türen macht ein solcher Preis auf? 
Gute Frage... Die Preisverleihung ist noch nicht so lange her, und damit hatte ich leider noch nicht viel Zeit, das herauszufinden. In jedem Fall aber konnte ich schon viele wertvolle Kontakte in die Branche knüpfen. Die Öffentlich- Rechtlichen sind – mit den Streamingangeboten in ihren Mediatheken - mit genau den Problemen konfrontiert, die ich versucht habe, in meiner Doktorarbeit zu lösen. Das hat schon zu interessanten, technischen Diskussionen geführt. Darüber hinaus bekommt natürlich die eigene Arbeit mehr Sichtbarkeit.

Apropos eigene Arbeit: Heute sind Sie als Forschungsingenieurin bei Huawei tätig. Womit beschäftigen Sie sich genau? Forschen und Lösungen entwickeln, wie man das (mobile) Internet der Zukunft besser machen kann. Mein thematischer Schwerpunkt liegt dabei aktuell auf dem Kernnetz für 6G, also dem nächsten Mobilfunkstandard nach 5G. Auch wenn 6G noch weit weg ist, müssen wir uns heute überlegen, wie das Internet künftigen Anwendungen wie autonomes Autofahren oder Spielen in virtuellen Realitäten gerecht werden kann. Das ist aufgrund der enormen Anforderungen (sehr hohe Bandbreiten und extrem kurze Latenzzeiten) sehr herausfordernd.
Der Lösungsansatz, an dem ich vorwiegend arbeite ist In-Network Computing - eine Technologie, die in letzter Zeit immer mehr Aufmerksamkeit bekommt. Die Idee dahinter ist, dass Elemente im Netzwerk die einzelnen Pakete nicht „einfach nur weiterleiten“, sondern im gleichen Zuge Berechnungen auf den Daten der Pakete ausführen. Sprich, das Netz bietet nicht nur eine Infrastruktur für die Übertragung von Daten an, sondern fungiert als eine Art „Recheneinheit“. Das Verschmelzen der Übertragung der Daten mit deren Verarbeitung hat den Vorteil, dass sich Ende-zu-Ende Latenzen verkürzen lassen. Außerdem wird die Rechenlast auf dem Endgerät des Nutzers deutlich reduziert. Das ist vor allem bei mobilen Geräten wie Smartphones, oder auch AR Brillen – unter anderem wegen des Tragenkomforts - enorm wichtig. Zum einen würden die Geräte bei zu hoher Rechenlast schnell überhitzen, zum anderen kann in solchen Geräten kein großer Akku verbaut werden da sie sonst zu schwer werden würden.

Kommt Ihnen dabei auch Ihre Dissertation und der Forschungsschwerpunkt darin zugute?
Ja, denn im Grunde sind die Probleme die gleichen: wir müssen Daten möglichst schnell – und daher effizient übertragen. Nur dann können wir sicherstellen, dass die Anwendungsqualität gut und am Ende der Nutzer zufrieden ist. Außerdem forsche ich zum Teil noch an sehr ähnlichen Themen wie in meiner Doktorarbeit. Zum Beispiel daran, wie Techniken des maschinelles Lernens in mobile Netze integriert werden können, um diese zu verbessern oder die Zufriedenheit des Nutzers automatisiert abschätzen zu können.

Für Ihre Dissertation sind Sie von der Universität Würzburg an die TU Berlin gegangen. Warum haben Sie sich für diese Hochschule entschieden?
Die TU Berlin genießt einen guten Ruf - seit 2019 gilt sie offiziell als Exzellenzuniversität. Damit bietet sie ein perfektes Forschungsumfeld, mit namhaften Professoren, guten Ressourcen und vielen Möglichkeiten, sich als Doktorand zu entfalten. Besonders ausschlaggebend war für mich die Teilnahme am Software Campus Programm, welche an meiner vorherigen Uni in Würzburg nicht möglich gewesen wäre. Neben finanziellen Mitteln für meine Forschung konnte ich von professionellen Trainings sowie von wertvollen Kontakten in die Industrie profitieren. Durch den Software Campus entstand auch die Verbindung zu meinem jetzigen Arbeitgeber.

Neben den wertvollen Kontakten, welche weiteren Vorteile bietet Berlin?
Berlin schafft als Stadt enorm viel Ausgleich, ich glaube so viel wie keine andere Stadt in Deutschland. Berlin hat viel Grün, eine sehr offene, vielfältige Kultur und ein breites Angebot für Aktivitäten in der Freizeit. Das sorgt für eine ideale Work-Life-Balance und lässt neue Ideen nur so sprudeln. Berlin hat viele Startups, einige davon mittlerweile erfolgreiche, mittelständische Unternehmen, in meinem Arbeitsbereich. Außerdem lassen sich fast alle namhaften Technologiefirmen in Berlin als Bundeshauptstadt nieder. Das schafft natürlich exzellente Job-Bedingungen.

Im Moment arbeiten Sie aber nicht in der Bundeshauptstadt, richtig? 
Ja, ich bin wegen des Jobs nach München gezogen. München ist schön, man hat die Berge quasi vor der Tür. Da ich gerne Wandern, Skifahren, und in Klettersteige gehe, ist das natürlich traumhaft. Aber ich vermisse Berlin sehr. Vor allem für die offene Art der Menschen, den Vibe der Stadt und Berlin hat so eine unbeschreibliche Leichtigkeit... Ich kann mir sehr gut vorstellen, irgendwann zurückzukommen.

Dann freuen wir uns auf ein Wiedersehen in Berlin! Vielen Dank für das Gespräch.

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