Voland & Quist: „Der Preis macht deutlich, dass wir in Berlin angekommen sind.“
Der Verlag Voland & Quist ist Preisträger des diesjährigen Großen Berliner Verlagspreises. Ein Interview mit dem Verleger Leif Greinus. Mehr
Anika Wiest
E-mail: anika.wiest@senweb.berlin.de
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Mit schönen Büchern gegen starrsinnige Diktaturen
Am 13. November 2022 wurde zum fünften Mal, gemeinsam von den Berliner Senatsverwaltungen für Kultur und Europa sowie Wirtschaft, Energie und Betriebe, der Berliner Verlagspreis im Deutschen Theater verliehen. Zusätzlich wird der Preis vom „Operationellen Programm des EFRE Berlin 2014-2020, einer Initiative der Europäischen Union, gefördert.
Der mit 15.000 Euro dotierte Berliner Verlagspreis ging an den Verlag Ciconia Ciconia, der die Jury durch ein „sichtbar durchdachtes Programm voller Überraschungen“ überzeugte. In der Laudatio des Jury-Mitgliedes Cornelia Geißler hieß es: „Die Bücher stehen für eine reiche eigensinnige, oft widerständige Kultur. Satire und Persiflagen auf die gegenwärtige russische Realität finden sich da in Stilistik und Optik… Politisch wirkt das Programm, weil es der offiziellen Linie der Russland-Verherrlichung zuwiderläuft, ästhetisch ruft es danach, die Freiheit der Kunst zu feiern, mal minimalistisch, mal provokativ.“
Kreml-Kritiker eine literarische Heimat geben
Bereits beim Besuch der Website wird klar: Hier werden Statements gesetzt – bildlich und mit starken Worten. Über einem riesigen Berg von Totenköpfen prangen die Worte „Not War!“ Es ist ein Bild des russischen Malers Wassili Wereschagin, der die „Schädelpyramide“ allen Erobern der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft widmete. Entstanden 1871 drückt es das Unverständnis aus, dass Menschen immer wieder einen Vorwand finden einander zu töten – und ist selten so aktuell wie heute.
Seit seiner Gründung im Jahr 2015, ein Jahr nachdem Russland die Krim annektierte, finden in dem Berliner Verlag Autor*innen und Künstler*innen eine literarische Heimat – viele kommen aus Russland und Osteuropa und durften in ihren Ländern nicht oder nur eingeschränkt veröffentlichen.
Geplant es nicht, sagt Wladimir Velminski, der den Verlag gemeinsam mit dem Grafikdesigner Dmitri Dergatchev aus der Taufe hob. Den Anstoß gab der befreundete Schriftsteller und Künstler Pavel Pepperstein, der unmittelbar nach der Krim-Annexion in Berlin landete: „Mit ihm zusammen entstand auch die Idee des Verlages“, erzählt Wladimir Velminski. Pepperstein, 1966 in Moskau geboren, war kein lauter aber konsequenter Kritiker des Kremls und das reichte auch damals schon aus, einige russische Verlage vorsichtig werden zu lassen und ihn lieber nicht zu verlegen.
Kluge, kritische und aufwendig gestaltete Inhalte
Seine Werke, ein einzigartiges Zusammenspiel von klugen Texten und außergewöhnlichen Bildern, besetzen eine Nische, die dem Verlag Ciconia Ciconia zu seinem Alleinstellungsmerkmal verhalf: „Neben der Fokussierung auf Osteuropa liegt der zweite Schwerpunkt des Verlagsprogramms auf der Beziehung zwischen Bild und Text. Gerade durch die Digitalisierung ist unsere Gesellschaft stark bildgeprägt. Diesen Turn haben wir aufgegriffen und versuchen ihn mit dem traditionellen Narrativ zu koppeln. Wir betrachten den Begriff der Illustration als obsolet und wollen die Zusammenarbeit zwischen Literatur und Kunst so leiten, dass sich beide Gattungen gegenseitig ergänzen“, erläutert Wladimir Velminski.
Es sind eher Kunstwerke als Bücher, jede Publikation wartet mit klugen, kritischen und aufwendig gestalteten Inhalten auf. Und diese Sorgfalt bei der Auswahl der Veröffentlichungen und die Liebe zum Buch wurde nun zu Recht mit dem Berliner Verlagspreis honoriert. Das sei Ehre und Ansporn zugleich, betont Velminski. Und fügt hinzu: „Wir hoffen sehr, dass unser Programm und unsere mit sehr viel Liebe gemachte Bücher durch den Preis mehr Aufmerksamkeit bekommen. Auch das Preisgeld wird uns ermöglichen etwas mutiger neue Projekte anzugehen.“
Mascha Aljochina vonPussy Riot ebenfalls im Verlagsprogramm
Neben Pepperstein werden die wichtigsten zeitgenössischen Autor*innen und Künstler*innen hier publiziert. Dazu gehören die Werke von Schriftstellern wie Vladimir Sorokin, Viktor Jerofejew und Daniel Richter und von Oppositionellen wie Mascha Aljochina und Pjotr Pawlenski: „Wir heben zudem literarische und künstlerische Schätze von Künstler*innen wie Tutu Kiladse, Petre Otskheli und arbeiten kulturwissenschaftlich und kulturhistorisch wie bei der Herausgabe der Bände ‚Mode und Revolution’, ‚Atmen’ oder ‚Ankunft einer Katze’.
Jedes Exemplar nummerieren wir eigenhändig“, betont Verlagsleiter Velminski und erzählt wie es zu der Zusammenarbeit mit Mascha Aljochina kam, Mitglied der russischen Punkband Pussy Riot, die wegen einer regimekritischen Protestaktion in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale weltweit Aufsehen für Aufsehen sorgte: „Ich reiste damals nach Moskau, um den Prozess gegen Pjotr Pawlenski zu verfolgen.“ Der Aktionskünstler hatte damals mit seiner Performance gegen das „Angstmachen als Herrschaftsmethode“ protestiert und die Eingangstür des Geheimdienstes FSB in Moskau angezündet. Unter den Zuschauern saß auch Mascha Alechina von Pussy Riot und in der Verhandlungspause unterhielten sie sich: „Am nächsten Tag trafen wir uns alle vor dem Gericht um Pjotr zu unterstützen. Auf dem Rückflug nach Berlin las ich bereits Maschas Manuskript.“
Der Weißstorch als Namenspate
Auch im kommenden Jahr wartet der Verlag Ciconia Ciconia mit einigen Highlights und Überraschungen auf: „Wir hoffen sehr, dass wir eine Übersetzung aus dem Moldawischen realisieren. Mehr möchte ich an dieser Stelle aber noch nicht verraten. „Zwischen Hund und Wolf“ von Sascha Sokolow, dessen Roman „Die Schule der Dummen“ noch vielen in Erinnerung ist, erscheint hoffentlich auch nächstes Jahr bei uns. Und aktuell möchte ich Vladimir Sorokins „Nastja“ hervorheben – mit dem Blick auf die russische Gesellschaft gerade sehr aktuell. Es ist mit einem aufwendigen Artwork von Daniel Richter versehen. Aber auch das Buch „Atmen“ von Ruslan Mellin ist ein wichtiges Werk, da es die Pandemie und die sie begleitende Gewalt begleitet. Damit uns die letzten Jahre nicht nur als Statistik von Erkrankten in Erinnerung bleiben.“
Bei der Gelegenheit verrät Wladimir Velminski auch wie es zu dem doch eher ungewöhnlichen Verlagsnamen kam: „Das Taschenbuch der Vögel aus dem Jahr 1963 half uns damals bei der Namensfindung. Denn dort hieß es: „Den Weißstorch (ciconia ciconia) kennt jeder aus Kinderbüchern und aus der Kinderzeit. Diesen langbeinigen und langschnäbligen Vogel müssen wir also gar nicht erst vorstellen. Und sein Nest? Ein Wagenrad als Unterlage, hoch oben auf dem Dach, auf einem Schornstein oder einer abgebrochenen Pappel, wo der Storch eine Unmenge von Zweigen aufschichtet, damit für seine drei bis fünf weißen Eier eine seichte Mulde entsteht.“ Und genau das wollten wir tun: Über den Dächern von Berlin vier bis fünf Bücher pro Jahr in die Welt bringen. Somit war die Entscheidung gefallen.“
Überhaupt Berlin – für Wladimir Velminski zweifellos eine der coolsten Städte der Welt: „Die berühmte Literatur und Kunstszene, sie gibt der Stadt ihren dynamischen und gleichzeitig harten, ungeschminkten Charakter.“
Über den Berliner Verlagspreis
Ins Leben gerufen wurde der Berliner Verlagspreis im Frühjahr 2018 von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Mit insgesamt 68.000 Euro ist der Berliner Verlagspreis die am höchsten dotierte Auszeichnung ihrer Art in Deutschland. Ziel des Preises ist es, die Vielfalt der Berliner Verlagsbranche zu fördern, den Verlagsstandort Berlin zu stärken und die ambitionierte Arbeit der unabhängigen Publikumsverlage in Berlin zu würdigen.
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