Kerstin Schütt, Verena Hetsch und Sandra Sponagel, Gründerinnen von Twisted Ramble Games

Kategorie: Games

Kerstin Schütt, Verena Hetsch und Sandra Sponagel, Gründerinnen von Twisted Ramble Games

© Twisted Ramble

Das 2017 gegründete Team von Twisted Ramble Games hat sich ein klares Ziel gesetzt: Spiele mit gut gemachten Erzählungen über stigmatisierte Themen auf bunte Art und Weise zu kreieren. Wie sie das machen, was sie inspiriert und wie die Bildungslandschaft in Berlin aussieht, erzählen uns die drei Gründerinnen des Studios Kerstin Schütt, Verena Hetsch und Sandra Sponagel im Interview.

Herzlichen Glückwunsch zu eurem Sieg beim Deutschen Entwicklerpreis. Als Berliner Studio haben Sie die vom Land Nordrhein-Westfalen geförderte Trophäe für Nachwuchsentwickler:innen ergattert. Was bedeutet der Sieg für Sie und Ihr Studio?

Herzlichen Dank! Für uns bedeutet es, dass unsere Arbeit wahrgenommen wird und dass wir auf dem richtigen Weg sind. Da wir jetzt alle über 30 sind, ist es auch sehr schmeichelhaft, noch zu den Young Developers zu zählen :). Aber Spaß beiseite, wir haben uns wirklich gefreut und sind sehr dankbar, dass wir mit dem Preis Geld für Reisekosten und Eintrittskarten für Messen oder Konferenzen bekommen. Das hilft uns ungemein, Duru zu promoten.

Sie alle haben in Berlin spiel-bezogene Fächer studiert. Wie schätzen Sie die Bildungslandschaft in der Hauptstadt ein? Waren Sie gut vorbereitet, als Sie die Universität verlassen haben?

Während unseres Game-Design-Studiums haben wir im Grunde jedes Semester ein kleines Spieleprojekt gemacht. Das war eine gute Vorbereitung und wir haben auch gelernt, dass wir gut im Team arbeiten können, ohne dass es um Geld geht. Jetzt, wo wir nicht mehr an der Universität sind und sehen, was die neueren Studierenden lernen und erschaffen, scheint die Ausbildung von Jahr zu Jahr besser zu werden! Wir sind also sehr optimistisch, dass die Game Design Ausbildung in Berlin auf einem guten Weg ist. Selbst wenn es um die langweilige geschäftliche Seite geht, hatte unsere Universität ein Sommerschulprogramm, um die Grundlagen von Steuern, Buchhaltung und all den lustigen Dingen zu vermitteln.

Aber es gibt immer noch einige spezifische Dinge, auf die man sich nicht vorbereiten kann, wenn man ein Studio finanziert. Aber bis jetzt sind wir auf nichts gestoßen, was wir nicht auf die eine oder andere Weise lösen konnten. Also an alle, die ein eigenes Studio gründen wollen, aber Angst haben: Es ist okay, wenn man nicht von Anfang an alles weiß, das tut niemand. Wichtig ist nur, dass man bereit ist, diese Hürden zu überwinden.

Welche Vorteile bietet eine Stadt wie Berlin bei der Gründung eines eigenen Studios?

In Berlin gibt es eine ganze Reihe von Programmen sowohl für Spielestudios als auch für Startups im Allgemeinen. Wir begannen mit dem Gründerstipendium, einem einjährigen Stipendium, das die Lebenshaltungskosten deckt, während man an seinem Projekt und seinem Unternehmen arbeitet. Außerdem haben wir uns für den IBB-Coaching-Bonus beworben, der einen mit einem Coach für bestimmte Fachgebiete zusammenbringt. Unser Coach war Ruth Lemmen, die uns mit ihrem Wissen über die deutsche Spieleindustrie und ihrem großen Netzwerk geholfen hat. Außerdem gibt es den Regionalfonds, das Medienboard Berlin-Brandenburg, das ebenfalls Games-Projekte unterstützt, und Programme wie den Gründungsbonus und andere der IBB. 

Nicht nur finanziell ist man in Berlin gut versorgt. Es gibt eine Menge Indie-Studios und Veranstaltungen, um mit ihnen in Kontakt zu kommen. Unser Favorit war die Talk&Play, die im Games Science Center stattfand. Wir waren wirklich traurig, dass sie eingestellt wurde. Die Pandemie hat solchen Veranstaltungen einen harten Strich durch die Rechnung gemacht, auch den Ausstellungen in Berlin, wie der Amaze oder EGX. Wir können es kaum erwarten, dass sie wiederkommen und wir neue Entwickler:innen und Spieler:innen kennenlernen können!

Bitte erzählen Sie uns mehr über Ihr erstes Spiel Duru.

Duru ist ein Spiel über Maulwurfsratten und Depressionen. Es ist ein farbenfrohes 2D-Puzzle-Abenteuer, in dem man die Rolle von Tuli spielt, einer kleinen Maulwurfsratte mit einem dunklen Begleiter, der nur für sie sichtbar ist. Ihre Freunde sind nicht in der Lage, ihn zu sehen und interpretieren daher die Veränderungen in Tulis Verhalten falsch, und einige tun unwillkürlich Dinge, durch die sie sich noch schlechter fühlt. Aber es gibt auch diejenigen, die sie nicht aufgeben, ihr immer wieder die Hand reichen, auch wenn Tuli nicht immer die Kraft findet, diese Hilfsangebote anzunehmen. Duru ist eine Geschichte über Unsicherheiten, Freundschaft und darüber, wie kleine Taten der Freundlichkeit für jemanden, der unter Depressionen leidet, einen großen Unterschied machen können.

Welche Entscheidungen haben Sie im Hinblick auf das Spieldesign getroffen, um das Thema Depression zu behandeln?

Um Depressionen darzustellen, verwenden wir einen KI-Begleiter, den wir Bel nennen. In der Rolle von Tuli kann der Spieler/die Spielerin Objekte malen, um Rätsel zu lösen, indem er/sie diese auf Knöpfe legt oder sie benutzt, um höhere Bereiche zu erreichen. Bel manipuliert diese Bemühungen, indem er die bemalten Objekte umherschiebt oder sie einfach isst. Die Spieler:innen müssen sich besonders anstrengen oder besonders schlau sein, um mit diesem manipulativen Begleiter fertig zu werden. Sie können Bel auch nicht einfach zurücklassen - genauso wenig, wie man einer Geisteskrankheit davonlaufen kann. Auch hier muss man also zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass diese Kreatur Tuli immer folgen kann.

Bel dient auch als erzählerisches Mittel. Im Spiel wird gezeigt, dass die negativen Gedanken, unter denen Tuli leidet, und ihre veränderte Wahrnehmung von sich selbst und der Welt von Bel verursacht werden. Durch Bilddialoge und Gedankenblasen bekommen wir einen Einblick, wie sich Tulis Sicht auf die Welt verändert. Durch eine visuelle Verknüpfung weisen wir immer wieder auf die Gedanken hin, die von Bel in die Welt gesetzt werden und somit ein Symptom von Tulis Depression sind.

Wie programmieren Sie eine KI, die mit und gegen die Spieler:innen arbeitet?

Mit viel Geduld und einer Menge Tests! Es war wichtig, sicherzustellen, dass Duru nicht zu "Companion Quest - The Game" wird. Unser KI-Begleiter ist der Antagonist des Spiels, während Begleiter:innen in Spielen normalerweise hilfreich sind. Es ist eine Freude zu sehen, wie die Spieler:innen das erste Mal reagieren, wenn Bel einen Stein drückt, der zur Aktivierung eines Knopfes platziert wurde. Damit diese Art von Konzept funktioniert, ist es wichtig, dass das Verhalten des Begleiters vorhersehbar wird, damit die Spieler:innen die Möglichkeit haben, zu lernen und mit ihm zu arbeiten. Bei einigen Rätseln müssen die Spieler:innen Bels Verhalten vorhersehen.

Warum sind Videospiele prädestiniert dafür, stigmatisierte Themen wie psychische Erkrankungen greifbar zu machen?

Die Spielmechanik ist ein einzigartiges Mittel zum Erzählen von Geschichten, das man sich zunutze machen kann, wenn es um Themen geht, die schwerer zu fassen sind. Sie reagieren direkt auf die Handlungen der Spieler:innen, was ein unmittelbares Feedback bedeutet. Wenn man etwas Neues lernt, ist eine direkte Rückmeldung notwendig. Und dieses neue Wissen muss nicht als eine schwierige Fähigkeit wie das Beherrschen des Spiels definiert werden. Es kann auch sein, dass man merkt, dass man dieser dunklen Kreatur nicht entkommen kann, oder dass die anderen Charaktere nicht auf sie reagieren, weil sie sie nicht sehen können. Durch diese beiden Dinge hat man das Prinzip einer unsichtbaren Krankheit bereits auf einer sehr intuitiven Ebene gelernt. Stigmatisierte Themen wie Geisteskrankheiten lassen sich spielerisch angehen, indem man solche Prinzipien vermittelt. Es ist auch weniger beängstigend, dies als Ausgangspunkt zu haben und dann mit expliziterem Wissen darauf aufzubauen.

Ihre Geschichten "beruhen auf Expert:innenwissen". Mit wem arbeiten Sie zusammen, und wie ist die Geschichte von Duru zustande gekommen?

Duru entstand aus der Idee, ein buntes, nicht deprimierendes Spiel über Depressionen zu entwickeln. Eines unserer Ziele war es, das Bewusstsein dafür zu schärfen, was Depressionen sind und wie sie sich auf Menschen auswirken. Ein weiteres Ziel war es, hilfreiche Verhaltensweisen aufzuzeigen, damit man weiß, was man tun kann und was nicht, wenn ein geliebter Mensch mit einer Depression kämpft. Mit diesen Zielen im Hinterkopf, haben wir ein Konzept entwickelt. Wir wollten eine einladende, farbenfrohe Welt und niedliche Charaktere, um einen Kontrast zum düsteren Thema der Depression zu schaffen. Die Maulwurfsratten von Damaraland sind so weit vom menschlichen Alltag entfernt, wie man nur sein kann, und doch sind sie sich auf seltsame Weise ähnlich: Jede Maulwurfsratte hat ihre Aufgabe und sie haben eine soziale Struktur.

Bel, die Darstellung von Tulis Depression, war von Anfang an dabei. Zu Beginn schöpften wir aus Kerstins eigenen Erfahrungen mit Depressionen und ihrer Therapie. Wir nutzten Ressourcen, die von Organisationen wie der Deutschen Depressionshilfe und der Deutschen Depressionsliga bereitgestellt wurden. Beide haben erstaunliches Material auf ihrer Website und auch einige Erfahrungsberichte. In unserem Freundeskreis hatten wir einen Therapeuten, der mit uns über unser Konzept sprach, um dessen Richtigkeit zu gewährleisten. Auf dem Weg dorthin lernten wir weitere Psychologen kennen, die sich für Duru interessieren, was uns zeigte, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Es ist immer wichtig zu betonen, dass Duru kein Therapiespiel ist. Es soll den Leuten helfen zu verstehen, wie eine Depression aussehen kann, damit sie sie bei sich selbst erkennen und sich Hilfe holen können oder lernen, wie sie denen helfen können, die darunter leiden. Dieses Wissen hilft nicht nur dabei, mitfühlender gegenüber Menschen mit Depressionen zu sein, sondern wirkt auch dem Gefühl der Hilflosigkeit entgegen: Wenn Ihr Freund/Freundin oder Familienmitglied einen schweren Tag mit seiner Depression hat, wissen Sie jetzt, dass diese scheinbar kleinen Akte der Freundlichkeit und Hilfe einen großen Unterschied machen können.

Wenn man über 2D-Plattformer spricht, die sich mit psychischen Krankheiten befassen, kommt einem das Spiel Celeste in den Sinn. War das Spiel des Herausgebers Matt Makes Games eine Inspiration für Sie? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es zwischen Duru und Celeste, abgesehen von dem offensichtlich unterschiedlichen Tempo? Welche anderen Spiele finden Sie inspirierend?

Das wurden wir schon oft gefragt! :D Wir kannten Celeste noch nicht, als wir mit der Arbeit an Duru begannen, aber wir lieben das Spiel! Die unsichtbare Krankheit sichtbar zu machen, ist eine große Ähnlichkeit unserer Spiele. Auch wie der Begleiter mit und gegen die Spieler:innen arbeitet. Der Unterschied ist vielleicht, dass Bel ständig da ist, auch wenn er manchmal kleiner wird. Wir zeigen auch sehr direkt, dass Bel eine Krankheit ist und die Ursache für Tulis dunkle Gedanken und Selbstzweifel. Es gibt keinen Dialog zwischen den beiden, wie wir ihn in Celeste haben.

Kerstin erwähnt gerne "The Cat Lady", wenn sie über ernste Themen im Spiel spricht. Es ist ein ganz anderer Ansatz als ein 2D-Horror-Point&Click. Es beinhaltet die Themen Depression, Selbstmord und Tod im Allgemeinen. Die Protagonistin ist eine Frau, die im Grunde sterben will, es aber nicht kann, und ihre Begleiterin ist eine Frau, die leben will, es aber aufgrund von Krebs nicht kann. Allein diese Dynamik macht das Spiel sehr interessant.

"What Remains of Edith Finch" ist auch ein Spiel über die verschiedenen Todesfälle in einer Familie, und obwohl die meisten von ihnen sehr tragisch sind, schafft es das Spiel, in seiner allgemeinen Natur unbeschwert zu sein, und das ist einfach eine erstaunliche Leistung.

Dieser Beitrag stammt im Original von GamesCapitalBerlin und ist hier zu finden (in Englisch).

Kontakt

Christopher Hohage

Medienwirtschaft, Medientechnologie, Games, Film- und Fernsehwirtschaft

Email

Das könnte Sie auch interessieren

  • Jonas Tyroller (rechts) und Paul Schnepf (links)

    Jonas Tyroller (rechts) und Paul Schnepf (links)

    ©Grizzly Games

    Paul Schnepf von Grizzly Games: Bewusst klein und doch ganz groß

    Kategorie: Zukunftsköpfe

    Kennengelernt haben sich die ursprünglichen Gründer des Berliner Indie-Studios „Grizzly Games“ Friedemann Allmenröder, Scha Rabis und Paul Schnepf bereits während ihres Game-Design-Studiums an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin - HTW.… Mehr

  • Mika Tammenkoski, CEO und Mitbegründer von Metacore

    Mika Tammenkoski, CEO und Mitbegründer von Metacore

    ©Metacore

    GamesCapitalBerlin: Im Interview mit Metacore

    Kategorie: Games

    "Berlin erschien wie die naheliegende Wahl"
    Metacore ist ein Unternehmen, in dem die Spieler:innen so etwas wie ein Chef sind. Was das bedeutet und wie sie das erreichen, erfährt man in unserem neuesten Interview mit Mika Tammenkoski, CEO und… Mehr