Neu in Berlin: Matter of Course

Kategorie: Women Empowerment

Gruppenfoto aller elf Designerinnen

vlnr. Elisa Strozyk, Laura Straßer, Friederike Delius, Heike Buchfelder, Claudia Schoemig, Carolin Zeyher, Mareike Lienau, Simone Lüling, Nicolene van der Walt, Milena Kling, Joa Herrenknecht

© Foto: Anne Deppe, Location: FvF Friends Space

Elf Berliner Designerinnen haben sich vor genau einem Jahr zu einem Kollektiv zusammengeschlossen: Matter of Course. Es verbindet sie der Anspruch an eine hohe handwerkliche Qualität, zeitgemäßes Design und die Nutzung nachhaltiger Materialien und Produktionswege. Ihre Arbeiten präsentierten sie erstmals in der gemeinsamen Pop Up Ausstellung Balancing Acts.  

Die Ausstellung fand im Friends Space in Berlin Kreuzberg statt und wurde von Anava Projects kuratiert. Die dort ausgestellten Arbeiten veranschaulichten sehr gut, wie es möglich ist, die Balance zu halten zwischen individueller Kreativität und der gemeinschaftlichen Verantwortung – und dabei auch die Chance zu nutzen, Formen, Farben und Materialien gemeinsam zu einer Einheit verschmelzen zu lassen. Spätestens hier ließ sich das große Potenzial der engen Zusammenarbeit der Gestalterinnen ablesen, die alle in unterschiedlichen Disziplinen zu Hause sind: Sie arbeiten als Tischlerinnen, Produktdesignerinnen, Architektinnen oder als bildende Künstlerinnen.

Zudem war es eine gute Gelegenheit, Ideen gemeinsam zu erarbeiten, zu experimentieren und die Ergebnisse zu einem großen Ganzen zusammenzuführen. Die Resultate konnten sich sehen lassen: Feder-Leucht-Objekte, die von Heike Buchfelder gefertigt wurden, zeitgenössisches Sofa-Design von Joa Herrenknecht für die Möbelmanufaktur Ambivalenz, Teppich-Unikate von Mareike Lienau oder scheinbar schwerelose Leuchten von Simone Lüling

Raum für Design und neue Ideen

Claudia Schoemig, die in ihrem Berliner Atelier in der Raumerstraße Unikate aus Porzellan anfertigt, erläutert noch einmal ihre Intention, sich zu einem Kollektiv zusammenzuschließen: „Jede von uns stand auch schon vor der Gründung der Gruppe im Austausch mit den Kolleginnen, aber die Verbindlichkeit und Kontinuität eines Kollektivs lässt tiefer greifende Dynamiken entstehen. Bestenfalls schafft sie einen Raum, die eigene Herangehensweise im Verbund weiter zu verfeinern, Impulse aufzunehmen und diese sowohl für sich selbst als auch miteinander weiterzuentwickeln. Das können beispielsweise neue Arbeitsansätze und Konzepte sein, die wir miteinander reflektieren, filtern und konkretisieren.“ Die Produktdesignerin ergänzt: „Das Kollektiv potenziert außerdem die Möglichkeiten, sich mit Menschen zu vernetzen, die sich mit ähnlichen Fragestellungen beschäftigen oder welche die Leidenschaft für mit Geduld und Hingabe geschaffene, langlebig konzipierte und substanziell wertige Produkte teilen.“

Traditionelle Handwerkstechniken als Markenzeichen

Sich von der Massenproduktion abzuheben, individuell zu arbeiten und dabei regionale Manufakturen und kleine Handwerksbetriebe zu stärken – dieser Anspruch vereint die Gestalterinnen und stellt sie zugleich vor große Herausforderungen. Daher legen sie den Fokus auf traditionelle Handwerkstechniken, die neu interpretiert und ausgebaut werden. Ein weiterer wichtiger Punkt sei es, clevere Produktionswege zu finden, die eine hohe Qualität der Produkte garantieren, dabei jedoch für den Endverbraucher erschwinglich bleiben, so Friederike Delius vom Studio Berg.

Neben der Leidenschaft fürs Handwerk steht bei allen der hohe Anspruch an soziale, faire und umweltfreundliche Fertigung im Vordergrund. Mareike Lienau von Lyk Carpet beispielsweise hat bereits vor zwölf Jahren angefangen, sich die Hintergründe der Knüpfkunst zu erarbeiten und setzt hier auf nachhaltige Produktions- und Fertigungswege.

Immer noch müssen sich Frauen im Designbereich behaupten

Im Fokus der kollektiven Zusammenarbeit stehen in erster Linie künstlerische Fragen, doch auch praktische Dinge werden erörtert, um gemeinsam Lösungen zu finden. Zusammen wollen die Gestalterinnen ihre Kräfte bündeln, um Projekte umzusetzen und sich gegenseitig zu inspirieren. Zum anderen wollen sie auch mehr Sichtbarkeit für ihre Arbeiten schaffen, denn noch immer dominieren Männer die Designbranche, betont Friederike Delius: „Man kann sicherlich nicht leugnen, dass sich z.B. immer mehr Männer für Technik und Frauen für Mode begeistern und es deswegen beispielsweise auch mehr Designer in der Automobilbranche und mehr Designerinnen im Modebereich gibt.“ Dies sollte längst überholt sein, denn Talent hänge nicht von dem Geschlecht oder der Sozialisierung ab. Doch in der Praxis sieht es anders aus, daher wollen sie der hinterherhinkenden Realität geballte weibliche Designpower entgegensetzen.

Die gebürtige Südafrikanerin Nicolene van der Walt, die als Möbeltischlerin- und Designerin in Neukölln arbeitet, kann ebenfalls bestätigen, dass die Fähigkeiten von Männern und Frauen in einem männerdominierten Handwerk von außen leider manchmal noch unterschiedlich wahrgenommen werden. Doch es sei kein Geheimnis, dass Frauen in der Praxis seltener gründen, ergänzt Friederike Delius.

Berlin als Hauptstadt der Inspiration

Mit mehr als 500 Startup-Gründungen pro Jahr ist Berlin unangefochten Deutschland Gründungshauptstadt – insbesondere für Gründer:innen in der Kreativwirtschaft und Technologiebranche. „Berlin war schon immer ein Mekka für junge, hochqualifizierte Menschen, mit verschiedenen Träumen, Fähigkeiten und Visionen“, sagt Milena Kling, die mit ihren experimentellen Glas Designs gerade in die Liste der ikonischen AD100 gewählt wurde.

Sie sagt: „Berlin hat eine riesen Strahlkraft in die ganze Welt. Die Stadt hat schon immer Idealisten und Visionäre angezogen. Teil dieser Magie von Berlin ist, dass hier Alternativen zum Standard erprobt und gelebt werden.“ Das gilt auch für jede einzelne der elf Designstudios und verdichtet sich im Kollektiv Matter of Course. Das Selbstverständliche wird hinterfragt, Miteinander und Austausch vor Konkurrenz gestellt, inspirierende Expertentalks geführt und nachhaltige Wege im Design gestärkt. „Neue Wege und Standards im Design zu schaffen, haben wir intuitiv auch schon immer individuell verfolgt, aber in der Gruppe ist es uns möglich, diese zu schärfen und deutlich nach außen auszustrahlen.“

Eine Feuerprobe, die sich gelohnt hat. Und ein Schritt in Richtung Umdenken in der Designbranche. Denn auch wenn jede der elf Designerinnen ihre Unabhängigkeit behalten will, birgt dieser Zusammenschluss Chance für ihre Arbeit. In der Zukunft wollen sie mit weiteren Publikationen und Ausstellungen ihre Position stärken und für mehr Sichtbarkeit werben. Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein – a matter of course.

Kontakt

Stephanie Feser

Designwirtschaft, Kunstmarkt und Women Empowerment

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