Das Berliner Startup Inkitt ging 2013 an den Start. Über die Bücher-Plattform können sich User*innen mit Hilfe von Algorithmen ihre eigenen Texte hochladen, direktes Feedback von der Inkitt-Community einholen und am Ende sogar einen lukrativen Buchvertrag abschließen. 2018 launchte das innovative Startup die E-Book-App "Galatea", die mit Sound, Licht- und Haptikeffekten das Lesen revolutionieren will. Wir sprachen mit Gründer und CEO Ali Albazaz über die neue Art des Geschichtenerzählens, wie Algorithmen das Leseerlebnis noch besser machen und was Disney mit Inkitt zu tun hat.
Sie haben Inkitt 2013 gegründet – knapp zehn Jahre später beschäftigen Sie mehr als 100 Mitarbeiter*innen. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Der Schlüssel zum Erfolg liegt vor allen Dingen darin, durchzuhalten und sich anzupassen. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Drei Jahre nach Unternehmensgründung verließ uns die Hälfte des Managements. Aber anstatt die Reise mit Inkitt zu beenden, haben wir agil reagiert und beschlossen, zwei unserer klügsten und zukunftsweisendsten jungen Leute zu befördern. Ehemalige Praktikanten, die uns beim Aufbau des neuen Geschäftsmodells von Inkitt geholfen haben und nun ebenfalls Herausgeber sind.
Jetzt bringen wir unsere eigenen E-Books heraus und haben 2018 unsere Lese-App "Galatea" auf den Markt gebracht – mit einem vollkommen neuen Ansatz des Geschichtenerzählens und Funktionen, die das Lesen noch spannender machen. Und das ist erst der Anfang: Wir verzweigen uns ständig in neuen Genres und Formaten, um unsere Community immer besser zu unterhalten.
Es ist Ihr drittes Startup – ist das richtig? Was machen Sie jetzt anders oder vielleicht sogar besser?
Nach wie vor sind Beharrlichkeit und Unternehmergeist für die Gründung eines Startups wichtig. Heute geht es uns aber mehr denn je darum, für unsere Mitarbeiter*innen einzutreten und diese zu fördern. Um unsere Ziele zu erreichen und auch weiter zu wachsen, umgeben wir uns mit den besten Talenten und bieten ihnen regelmäßig Schulungen und Weiterbildungsprogramme.
Momentan arbeitet bei uns im Berliner Büro ein 80-köpfiges Team leidenschaftlicher und erfahrener Unternehmer*innen, Ingenieur*innen und Künstler*innen, das seine Erfahrungen unter anderem bei Netflix, der Onlinebank N26, Blizzard, Babbel, Glovo und Yandex sammeln konnte und nun bei uns mit einbringt. Zusätzlich konzentrieren wir uns auf Talente aus den USA, da wir vorhaben zu expandieren und demnächst ein Büro in San Francisco eröffnen werden.
Mit Inkitt haben Sie eine Plattform entwickelt, auf der Nutzer*innen mit Hilfe von Algorithmen ihre eigenen Texte hochladen können, um sich Feedback von der Community zu holen. Wie genau funktioniert dieses Prinzip?
Das Prinzip funktioniert mit Hilfe eines einzigartigen Algorithmus, der das Leseverhalten des Users genau analysiert. Das ermöglicht uns, die Geschichten herauszufiltern, die das Potenzial besitzen, ein Bestseller zu werden. Nutzer*innen können ihre Bücher hochladen und die Leser-Community um ihr Feedback bitten. Bei guter Bewertung erhalten die Autor*innen einen Buchvertrag.
Zusätzlich verwenden wir AB-Tests, um die Autor*innen systematisch bei der Verbesserung ihrer Arbeit zu unterstützen. Mit dieser Methode konnten wir noch einmal eine deutlich höhere Trefferquote bei der Entdeckung beliebter Erstlingsautor*innen erzielen als beispielsweise Verlags- und Medienhäuser – und dabei die Auswahl in die Hände der Leser*innen legen.
Ein gutes Beispiel ist die Zusammenarbeit mit der indischen Autorin Seemran Sahoo, die ihr ganzes Buch auf einem Smartphone geschrieben hat. Als sie es hochgeladen hat, konnten wir anhand unserer Algorithmen erkennen, dass es bei unseren Leser*innen immer beliebter wurde. Also haben wir mit ihr einen Vertrag auf unserer Lese-App "Galatea" abgeschlossen. Mit Erfolg: Ihr Roman „Das Arrangement“ hat einen weltweiten Umsatz von über 2,7 Millionen US-Dollar erzielt.
Wie viele Autor*innen haben Sie insgesamt auf Ihrer Plattform?
Die Inkitt-Community umfasst heute acht Millionen Nutzer*innen und 300.000 Autor*innen aus aller Welt. Wir veröffentlichen rund 300 Bücher pro Jahr – Tendenz steigend.
Stichwort Lese-App "Galatea", ein 4D-Ebook-Reader im Aboformat. Was genau verbirgt sich dahinter?
Dabei handelt es sich um unsere Lese-App, die von Hunderttausenden aktiven Nutzer*innen verwendet wird. Kund*innen zahlen entweder pro Geschichte oder pauschal für einen Monat, bzw. ein Jahr. Es ist aber auch möglich, eine Episode einer Geschichte kostenlos zu lesen, das entspricht in etwa 15 Minuten Lesezeit.
Zusätzlich bietet die App auch Sound, Licht- und Haptikeffekte, die das Lesevergnügen noch einzigartiger machen und die Fantasie der Leser*innen anregen. Das heißt, während des Lesens vibrieren an gewissen Stellen Handy oder Tablet, mimen einen Herzschlag oder geben Töne von sich – so tauchen die Leser*innen noch tiefer in die Geschichte ein.
Ihre Vision ist es, das „Disney des 21. Jahrhunderts“ zu werden. Können Sie das näher erläutern?
Die Algorithmen und AB-Teststrategien von Inkitt bergen ein riesiges Potenzial, das herkömmliche Lese-Onlineplattformen in den Schatten stellt. Stößt ein Manuskript auf positive Resonanz, sodass hohe Verkaufszahlen wahrscheinlich scheinen, kann der Autor auf ein Verlagsangebot hoffen. Das ist einmalig und wir sind stolz darauf, dass wir nicht nur den Vertrieb, sondern auch den Inhalt der Bücher revolutioniert haben – und das in allen Facetten. Und nachdem wir das geschafft haben, wollen wir auch einen Fuß in die Welt der Filme, TV-Shows, Merchandising und Spiele setzen.
Denn durch unsere innovative Technologie haben wir die Möglichkeit, Kreativität zu „hacken“ und so gezielt nach den nächsten Blockbustern und Bestsellern in allen Genres zu suchen. Daran arbeiten wir, um nach und nach das Content-Haus der Zukunft aufzubauen – eben das Disney einer neuen Epoche.
Wie viele Ihrer Bücher haben es bisher auf die Amazon-Bestsellerliste geschafft?
Am Anfang haben wir die Werke unserer Autor*innen noch über Amazon veröffentlicht, aber aktuell publizieren wir alle Inhalte auf unserer eigenen Vertriebsplattform "Galatea". Denn so sind wir wesentlich profitabler und auch flexibler – darüber hinaus können unsere Autor*innen Informationen untereinander austauschen. Daher kann ich die Frage nicht beantworten.
Im Sommer 2015 veröffentlichte Paulo Coelho einen Teil seines Werkes „Manual of the Warrior of the Light“ auf Ihrer Plattform. Wie kam es dazu?
Ich traf Paulo Coelho vor einigen Jahren zufällig auf der Frankfurter Buchmesse. „Der Alchimist“ ist mein absolutes Lieblingsbuch und so konnte ich doch nicht die Gelegenheit verstreichen lassen und habe ihn einfach angesprochen. Wir unterhielten uns, unter anderem auch über Inkitt und das, was wir so tun. Er fand das Konzept sehr interessant und wollte es unbedingt ausprobieren. Ein paar Tage später bemerkten wir, dass er „Manual of the Warrior of the Light“ auf unserer Plattform veröffentlicht hat – ein Traum wurde wahr. Das war ein großer Tag für uns alle bei Inkitt!
Sie haben verschiedene Finanzierungsrunden absolviert. So erhielten Sie 2019 beispielsweise 14 Millionen Euro. Warum sind solche Finanzierungen für ein junges Startup so wichtig?
Generell besteht für viele junge Startups die größte Herausforderung in der Anfangszeit darin, die passenden Investor*innen zu finden, die auch ihre Vision teilen können. Ich habe insgesamt 140 Absagen erhalten, bevor wir unsere ersten 50.000 Euro Finanzierung von einem Business Angel sichern konnten. Da braucht es viel Geduld und Leidenschaft.
Ich persönlich habe jeden Rückschlag dafür genutzt, um zu lernen und nahm aus den einzelnen Treffen Feedback mit für die jeweils nächste Bewerbungsrunde. Es gab aber auch einige skurrile – oder doch wenigstens unkonventionelle Begegnungen: So ergab sich beim Anstehen in einer Currywurst-Schlange ein Deal über eine Million US-Dollar eines Venture Capital Investors, oder doch zumindest die mündliche Zusage. Und das führte immerhin zu einer Series-B-Finanzierungsrunde unter der Leitung des Silicon-Valley-VC Kleiner Perkins und einer Gesamtsumme von 16 Millionen US-Dollar (14 Millionen Euro).
Von diesem Moment an ging es nur noch bergauf: Denn wir haben seitdem weitere 59 Millionen US-Dollar in unserer B-Serie einsammeln können – das ist eine der höchsten Finanzierungsrunden für ein Berliner Unternehmen.
Die Runde wird angeführt von Scott Sandell, Chef des US-Risikokapitalgebers New Enterprise Associates, und Anteilseigner hochkarätiger Firmen wie Snapchat, Robinhood und Salesforce. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Verlags Axel Springer, beteiligte sich als Business Angel ebenfalls an der Runde, so wie auch Michael Lynton, Vorsitzender des Snapchat-Boards, und Stefan von Holtzbrinck der VC-Firma Holtzbrinck Digital.
Mit dem frischen Investment wollen wir nun die globale Expansion mit Fokus auf die Vereinigten Staaten vorantreiben, dazu gehört auch die stetige Weiterentwicklung unserer Produkte.
Warum ist Inkitt die Zukunft der Buch- und Verlagsbranche – und wo geht die Reise in den nächsten fünf Jahren hin?
Content ist nur die Spitze des Eisbergs, wir wollen unser Geschäftsmodell immer weiter ausbauen. So legen wir den Fokus auf neue Storytelling-Formate, Pläne für die Publikation von Hörbüchern sind in vollem Gange. Wir wollen irgendwann einer der größten und weltweit bekanntesten Anbieter von Multichannel-Inhalten werden.
Und zu guter Letzt: Was macht Berlin für die Verlags- aber auch die Startup-Szene so interessant?
Berlin ist die Heimat einiger wirklich innovativer und inspirierender Startups, die sich auch international behaupten können. Und hier findet man auch eines der besten Startup-Netzwerke in Europa, das mit 12,6 Milliarden US-Dollar an Investitionen seit 2016 sich auch finanziell, gleich hinter London, an der Spitze bewegt. Für uns ist es ein großes Privileg dieser Szene anzugehören, denn hier können wir uns am besten weiterentwickeln, wachsen und das „nächste große Ding“ präsentieren.