Zukunftsköpfe: Barbara Kalender und Richard Stoiber vom MÄRZ Verlag

Kategorie: Zukunftsköpfe

© Christian Werner

Der MÄRZ Verlag steht für literarische Avantgarde, politische Haltung und den Mut zum Risiko. Nach der Neuausrichtung 2022 knüpft der Berliner Traditionsverlag an sein diskursives Erbe an und richtet den Blick zugleich konsequent nach vorn. Mit einem kuratierten Programm, enger Autor:innenbindung und großer Experimentierfreude behauptet sich MÄRZ jenseits des Mainstreams. Der Gewinn des Großen Berliner Verlagspreises unterstreicht diesen Weg. Im Interview sprechen Barbara Kalender und Richard Stoiber  über Neuanfang und Kontinuität, digitale Chancen, neue Räume für Literatur in Kreuzberg – und über Berlin als unverzichtbaren Resonanzraum ihres Verlags.

Was war der entscheidende Impuls, der zur erneuten Gründung 2022 bzw. zur heutigen Ausrichtung Ihres Verlags geführt hat?
Die Möglichkeit, wieder Bücher bei MÄRZ machen zu können, ergab sich nach dem Tod des Verlegers Jörg Schröder. Da suchte Barbara Kalender nach einem neuen Geschäftspartner und fand Richard Stoiber. Zusammen entwickelten wir die heutige Ausrichtung und gleichzeitig führen wir die MÄRZ-Tradition fort.

Skandale, Kontroversen, Experimente – MÄRZ Verlag war und ist einer, der sich etwas traut, der Gegenkultur, der politischen sowie gesellschaftlichen Fragen. Was unterscheidet Ihr verlegerisches Konzept von anderen Verlagen – sei es im Programm, im Umgang mit Autor:innen oder in Ihrer inhaltlichen Haltung?
Wir sind noch immer Avantgarde, mit Gespür und Freude am Wagnis. Wir suchen Bücher, die im Zentrum des literarischen Geschehens stehen – seien es Übersetzungen oder deutschsprachige Texte – und die sich nicht scheuen, die politische Gegenwart mit all ihren Widersprüchen, Zumutungen und unabgeschlossenen Fragen hereinzuholen. Gleichzeitig bieten wir ein kuratiertes literarisches Programm und bleiben dem politisch-diskursiven Erbe des Verlags treu.

Gibt es Kooperationen, Autor:innen oder besondere Partnerschaften, die Ihr Programm aktuell prägen?
Ja, was wäre ein Verlag ohne seine Treue zu Autor:innen? Wir möchten sie aufbauen, unterstützen und fördern. So erscheint bei MÄRZ im Frühjahr das vierte Buch von Hendrik Otremba, sein Roman ›Der Gräber‹. Von der dänischen Autorin Olga Ravn konnten wir bereits drei Romane veröffentlichen, zuletzt ›Wachskind‹. Und nachdem Thea Mantwills Debüt ›Glühfarbe‹ erschienen ist, kommt nun ihr zweiter Roman ›Gescheiterte Sterne‹. Natürlich könnten wir noch weitere Autor:innen und Titel aufzählen, die Auswahl ist groß, die Freude daran noch größer.

Was die Kooperationen angeht, so ist der Korbinian Verlag seit 2025 ein Imprint des MÄRZ Verlags. Katharina Holzmann und David Rabolt sind Herausgeber:innen des Korbinian Verlags. Wir schätzen außerdem die Zusammenarbeit mit Kolleg:innen aus unabhängigen Verlagen und wissen, wie wertvoll der Austausch in unserer Branche ist.

Der Gewinn des Berliner Verlagspreises ist eine besondere Auszeichnung – was bedeutet Ihnen diese Anerkennung persönlich und für den MÄRZ Verlag?
Sehr viel! Die Anerkennung tut gut und hilft uns als Goodwill bei den Buchhändler:innen und Journalist:innen. Das Preisgeld gibt uns Planungssicherheit, einen Teil der Summe verwenden wir auch, um offene Rechnungen zu begleichen. 

Welche nächsten Meilensteine stehen für den MÄRZ Verlag an, insbesondere nach dem Gewinn des Berliner Verlagspreises?
Der Berliner Verlagspreis entlastet uns finanziell und ermöglicht es uns, unsere Arbeit im neuen Jahr auf die Planung und Produktion neuer Bücher zu fokussieren. Wenn man einmal Glück hat, läuft es weiter. Unabhängig von den Preisen haben wir endlich das perfekte Verlagsbüro gefunden. Mit unseren neuen Verlagsräumen in der Reichenberger Straße in Kreuzberg wollen wir einen Ort schaffen für Begegnungen mit unseren Leser:innen, Autor:innen und Kolleg:innen, zum konzentrierten Arbeiten und für literarische Veranstaltungen. So können wir der Stadt auch etwas zurückgeben.

Welche Herausforderungen erleben Sie derzeit im Literatur- bzw. Medienbetrieb, und welche Chancen ergeben sich daraus?
Verlage stehen im neuen Jahr vor mehreren zentralen Herausforderungen: Erstens zwingt die fortschreitende Digitalisierung Verlage dazu, Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln: durch E-Books, Podcasts, Newsletter oder Plattformstrategien. Zweitens wächst der wirtschaftliche Druck: Steigende Produktions- und Vertriebskosten treffen auf eine sinkende Zahlungsbereitschaft und eine fragmentierte Aufmerksamkeit der Leser:innen. Drittens müssen Verlage neue Wege finden, um Reichweite und Relevanz zu sichern, insbesondere bei jüngeren Zielgruppen, ohne literarische Qualität zu verlieren. 

Unsere Chancen liegen in unserer Wendigkeit, da wir schneller auf neue Trends, Themen und Autor:innen aufmerksam reagieren können. Die verlegerische Unabhängigkeit erlaubt uns, mutige Entscheidungen zu treffen und mehr Raum für Experimente, also mit einem außerordentlichen Programm. Zudem profitieren wir von klaren, schlanken Abläufen, die eine zügige Zusammenarbeit ermöglichen – oft verbunden mit engerem Autor:innen-Kontakt.

Die Digitalisierung verändert sowohl das Leseverhalten als auch die Produktionsprozesse: Welche Haltung hat Ihr Verlag dazu? Und wo sehen Sie Chancen oder Grenzen digitaler Formate, auch mit Blick auf die bisherige Geschichte des Verlags?
Die Digitalisierung ist für uns eine sinnvolle Erweiterung unserer verlegerischen Arbeit. Sie eröffnet neue Zugänge zu unseren Inhalten, erleichtert Produktionsprozesse und schafft, etwa über Social Media, zusätzliche Vermittlungsformen für unsere Autor:innen. 

Gleichzeitig bleibt das gedruckte Buch für uns ein unverzichtbares kulturelles Objekt, dessen ästhetische und haptische Qualität digitale Formate nicht vollständig abbilden können. Wir nutzen digitale Möglichkeiten dort, wo sie unsere programmatische Haltung unterstützen – und bewahren das Gedruckte dort, wo es unersetzlich ist.

Welches Learning aus Ihrer bisherigen Arbeit hat Sie über all die Jahre am stärksten geprägt?
Nicht immer ist ein Scheitern schlecht, oft birgt es neue Möglichkeiten durch einen Neuanfang. Unser Motto ist: immer radikal, niemals konsequent.

Wo sehen Sie den MÄRZ Verlag langfristig – und welche Rolle möchten Sie im kulturellen Diskurs der nächsten Jahre spielen?
Wir bleiben weiterhin auf der Suche nach neuen literarischen Strömungen und ungewöhnlichen Perspektiven. Wir wollen für unsere Autor:innen ideale Bedingungen schaffen und sie darin unterstützen, ihrer Arbeit möglichst kompromisslos nachgehen zu können. Unser Wunsch ist es, irritierende, kritische und überraschende Stimmen zu stärken und damit produktiv Unruhe zu stiften und zum eigenständigen Denken anzuregen.

Was macht Berlin als Standort für Ihren Verlag besonders spannend und warum sind Sie hier genau richtig
Zwei Menschen, zwei Antworten: 

Richard Stoiber: Berlin ist für uns ein idealer Standort, weil hier historische Avantgarde, politische Reibung und künstlerische Gegenwart besonders intensiv ineinandergreifen. Die Stadt bietet uns Zugang zu einer vielfältigen Szene aus Autor:innen, Künstler:innen und Leser:innen. 

Barbara Kalender: Ich bin Berlinerin und möchte nirgendwo anders leben! Jörg Schröder war Berliner, März ist ein Berliner Verlag und deshalb sind wir genau richtig hier. Richard hat recht, natürlich ist Berlin als Verlagssitz besonders spannend, weil die Stadt ein kreatives und internationales Umfeld bietet, das Innovation und Experimentierfreude fördert. Die hohe Dichte an Autor:innen, Künstler:innen und Startups erleichtert das Arbeiten. Es gibt ein vielfältiges kulturelles Publikum, das offen für neue Formate und Nischeninhalte ist. Berlin ist außerdem ein Medien- und Technologiezentrum, was digitale Projekte und innovative Geschäftsmodelle begünstigt.

Kontakt

Sylvia Fiedler

Buch- und Pressemarkt

Email

Das könnte Sie auch interessieren

  • Zukunftsköpfe: Leon Rückert von GovIntel

    Kategorie: Zukunftsköpfe

    Lest in unserem neuen „Zukunftsköpfe”-Interview, wie das Berliner Startup GovIntel um Gründer Leon Rückert KI nutzt, um Quellen wie Vergabevermerke oder Haushaltsinformationen auszuwerten und geplante Beschaffungen schon Monate vor der Ausschreibung… Mehr

  • Zukunftsköpfe: Florian Müller von Mental Health in Fashion

    Kategorie: Zukunftsköpfe

    Psychische Gesundheit ist in der Modebranche noch immer ein Tabuthema – genau hier setzt die Initiative Mental Health in Fashion an. Gründer Florian Müller möchte das Bewusstsein für mentale Belastungen entlang der gesamten Lieferkette schärfen und… Mehr

  • Das sind die Gewinner:innen des Berliner Verlagspreises 2025

    Kategorie: Buch- und Pressemarkt

    Die Gewinner:innen des Berliner Verlagspreises 2025 stehen fest: Den Großen Berliner Verlagspreis erhielt in diesem Jahr der MÄRZ Verlag. Die beiden Berliner Verlagspreise gingen an den BeBra Verlag und den Kraus Verlag. Mehr