Der Mensch ist ein hoch intelligentes Wesen, doch seine Intelligenz hat ihre Grenzen. Man kennt das von sich selbst: Merken kann man sich nur eine bestimmte Menge an Informationen. Auf einer Veranstaltung mit hundert Teilnehmern ist nach zehn Namen und zwanzig, dreißig Gesichtern Schluss. Ähnlich sieht das beim Erlernen einer Fremdsprache aus: Egal wie fleißig und motiviert jemand ist, es gibt einen Zeitpunkt, da wollen einfach keine neuen Vokabeln mehr in den Kopf.
An der Stelle kommen Maschinen ins Spiel. Computer hantieren mit einer Unmenge an Daten, die sie in Nanosekunden verarbeiten und für User aufbereiten. Es überrascht daher kaum, dass sie einige Dinge besser können als Menschen: schneller, zuverlässiger und mit einer geringeren Fehlerquote. Das Forschungsgebiet der schwachen künstlichen Intelligenz, kurz KI, beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit technische Geräte menschlich-kognitive Fähigkeiten ergänzen und verbessern können.
Im Unterschied steht die starke KI, welche in der Lage ist selbständig intelligente Entscheidungen zu treffen, diese generell anzuwenden und sich selber optimiert. Diese befeuert die Diskussion, dass sie dem Menschen irgendwann in allen Belangen überlegen sein könnte. Solche Systeme existieren bisher nicht und es ist momentan kein Entwicklungsweg zu solchen Systemen sichtbar.
Computer können bereits Schach spielen, Auto fahren, Zeitungsartikel schreiben oder Gesichter erkennen. Kritiker bemängeln oft, das koste viele Arbeitsplätze. Falsch ist das nicht. Der Berliner Start-Up-Investor Fabian Westerheide vergleicht diese Entwicklung mit einem Tsunami und sieht die Entwicklung jedoch positiv und mit vielen Chancen: „Wenn ich ihn nicht abwenden kann, dann gestalte ich ihn doch lieber.“
Im Idealfall werden Stellen nicht gestrichen, sondern neu ausgerichtet. So hat ein Mitarbeiter mehr Zeit für Kunden, wenn weniger Zeit für Papierkram draufgeht. Zum anderen entstehen auch neue Arbeitsplätze, allen voran in der Entwicklung intelligenter Systeme.
Standort Deutschland wird immer schlauer und dadurch attraktiver
Noch immer sind die meisten Unternehmen, die sich mit KI beschäftigen, in den USA und Asien angesiedelt. Doch auch Deutschland beschäftigt sich intensiver mit dem Thema. So hat die Bundesregierung im Juli 2018 die ersten Schritte beschrieben, wie Deutschland zum weltweit führenden Standort für KI werden soll.
Zusätzlich wurde eine Enquete-Kommission des Bundestages gebildet, der 19 Bundestagsabgeordnete angehören. Der Auftrag besteht darin Handlungsempfehlungen für den Umgang mit KI zu formulieren. Ergebnisse sollen im Herbst 2020 veröffentlicht werden.
Nicht ganz unwichtig für Berlin, da über die Hälfte aller deutschen Start-Ups laut Westerheide in Berlin ansässig ist, was grob fünfzig Firmen entspricht.
Prof. Dr. Christoph Igel, Sprecher des in Berlin ansässigen Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), warnt jedoch vor allzu optimistischen Schätzungen, was die Zahlen anbelangt. „Nicht jedes Unternehmen, das angibt, KI in seinem Produkt- oder Dienstleistungs-Portfolio zu haben, hat diese selbst entwickelt oder gar erforscht. Viele Unternehmen, gerade auch Spin-Offs und Start-Ups, nutzen KI-Dienste, die von Dritten im Internet zur Verfügung gestellt werden und veredeln damit ihre Angebote. Beide Varianten unterscheiden sich hinsichtlich KI grundlegend." Wie viele Start-Ups in Berlin KI-Anwendungen aktiv entwickeln oder zur Veredelung von Produkten nutzen, ist kaum zu quantifizieren. „Mir ist dazu keine Statistik bekannt. In der dreißigjährigen Geschichte des DFKI wurden über 80 Startups ausgegründet, die KI entwickelt haben - allerdings auf ganz Deutschland bezogen."
Eine Antwort darauf wird die Studie „Künstliche Intelligenz in Berlin und Brandenburg ausgeführt im Auftrag Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, geben. Am 6. September im Rahmen des Events „Künstliche Intelligenz – Perspektiven und Potenziale“ , veranstaltet von log. in. berlin. wird die Studie von Nicolas Zimmer, Vorstandsvorsitzender der Technologie Stiftung Berlin, vorgestellt. Inhalte sind zum einen die Entwicklung am Standort aber auch Einblicke in die Anzahl der Unternehmen, den Umsatz und die Arbeitsplätze im Bereich der Künstlichen Intelligenz.
Berlins Attraktivität liegt zu allererst in der Stadt selbst begründet
Die Attraktivität Berlins liegt laut Igel vor allem an den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Stadt. Die Berliner Wissenschafts- und Forschungslandschaft ist ebenfalls ein positiver Faktor. So wird beispielsweise an FU, TU und HU zu KI geforscht.
Investoren loben oft die vergleichsweise niedrigen Mieten, die hohe Verfügbarkeit von hochqualifiziertem, mehrsprachigem Personal und die Nähe zu Politik, Wirtschaftsverbänden und anderen Technologieunternehmen. Kein Wunder, dass Facebook, Google, Apple und Soundcloud alle in Berlin vertreten sind.
Laut Westerheide ist Berlin weltweit der viertattraktivste Standort für KI-Startups, nach dem Silicon Valley, London und Paris. Hier gebe es die stärkste Gründungskultur, die Investoren und die Multiplikatoren. „Das ist ein Netzwerk, das sich gegenseitig befruchtet.“ Igel sagt jedoch, um international mithalten zu können, müssten Schüler in Deutschland in den MINT-Fächern stärker und früher gefördert werden – so wie in China. Außerdem müsse ihnen – wie in den USA – von Kindesbeinen ein unternehmerisches Denken mit auf den Weg gegeben werden.
KI-Best-Practice-Beispiele „made in Berlin“
Die Berliner KI-Start-Ups sind in den unterschiedlichsten Bereichen angesiedelt: Finanzwesen, Gesundheit, Reisen, Unterhaltung und vielen mehr. Mit das bekannteste heißt Leverton und zählt sogar die Deutsche Bank zu seinen Kunden. Die Firma hat eine Software entwickelt, die Verträge automatisch ausliest und in Sekundenschnelle auf für Bankmitarbeiter wichtige Eckdaten aufzeigt. Dabei übersetzt sie in Fremdsprachen verfasste Verträge gleich ins Deutsche. Bei Hunderte Seiten langen Verträgen spart das viel Zeit.
Erleichterung für Diabetiker durch smarte Software
XBird will Diabetiker rechtzeitig vor Unterzuckerung warnen. Die App erfasst alle Bewegungen und registriert durch Armbewegungen sogar die Häufigkeit der Nahrungsaufnahme. Diabetiker müssen nicht mehr selbst Buch führen, und die Ergebnisse können direkt an einen Arzt übermittelt werden. Eine Million Leben will das Start-Up bis 2020 auf diese Weise retten, schreibt es selbstbewusst auf seiner Website.
Solvemate hilft, lästige Computer-Probleme von Geschäftsleuten zu lösen, indem es dem Anwender so viele Fragen zu seinem Problem stellt, bis sich eine Ursache und damit eine Lösung abzeichnet. Ein entnervter Anruf seines Vaters, der mit PC-Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt habe, habe den Gründer auf seine Geschäftsidee gebracht, berichtet dieser.
Parlamind ist für Online-Shops attraktiv, die mit Kunden-Anfragen zu tun haben. Die Gründerin sagt: „Nur 40 Prozent der Kundenanfragen sind so individuell, dass sie menschliche Empathie und Kreativität verlangen.“ Der Rest könne von Maschinen erledigt werden, womit man Mitarbeiter von monotonen Tätigkeiten entbinde. Zur Anwendung kämen auch Tracking-Systeme anderer Anbieter, beispielsweise von Kurierdiensten.
KI wird hoch gelobt und kontovers diskutiert – ein Thema das in naher Zukunft noch mehr Bedeutung bekommen wird. Der Präsident des Branchenverbandes Bitkom, Achim Berg, betont sogar, dass künstliche Intelligenz eine neue Stunde Null in der Weltwirtschaft einläuten wird. In Berlin stehen die ersten Unternehmen bereits in den Startlöchern. Umso mehr weckt der der soeben erfolgte Beschluss der Regierung, Deutschland zum weltweit führenden Standort für KI zu machen, Erwartungen hinsichtlich der Maßnahmen zur Umsetzung dieses Ziels.
In der Themenreihe “Deep Dive” gibt Projekt Zukunft regelmäßig Einblick in aktuelle Technologien der Digital-, Medien- und Kreativwirtschaft und informiert über Akteure, Trends und Anwendungen aus Berlin.