Deep Dive #14: Berliner Werbemarkt in Coronazeiten

Kategorie: Deep Dive

Werbeanzeige am Bahnhof Berlin Alexanderplatz © imago images / Emmanuele Contini

© imago images / Emmanuele Contini

Verschobene Veranstaltungen, abgesagte Kampagnen, gekürzte Werbebudgets – die Corona-Pandemie hat auch auf dem Berliner Werbemarkt Spuren hinterlassen. Von Stillstand kann aber in der Hauptstadt der Kreativen keine Rede sein.

Noch Mitte Februar versammelten sich über 500 Besucher und 40 Sprecher aus der Kreativ- und AdTech-Branche bei der „Adtrader Conference“ im Berliner Kosmos-Theater, um über aktuelle Entwicklungen der Werbung in digitalen Medien zu diskutieren. Von Connected-TV bis zur Programmatik „Digital out of Home“: 2020 versprach ein erfolgreiches Jahr für die rund 2000 Berliner Digital- und Werbeagenturen und die schnell wachsenden AdTech-Unternehmen zu werden. Die Berliner Agenturlandschaft gehört ohnehin zu den kreativsten in Deutschland, das zeigen die vielen Auszeichnungen. Nahezu jeder dritte Löwe der Cannes Lions geht an eine Agentur aus Berlin, darunter Schwergewichte wie Scholz & Friends, Heimat, MSL und Antoni_. Dass nur einen Monat später die Corona-Pandemie die Branche in Schockstarre versetzen würde, damit hätte niemand gerechnet.

Sven Dörrenbächer © Antoni_ Holding

Bleibt zu Hause, danke!

„Man sah die Gewitterwolken auf einen zukommen, aber niemand hat dieses Ausmaß erwarten können“, bestätigt Digital- und Werbefachmann Sven Dörrenbächer, Managing Director von Antoni_ beim digitalen Salon Kreativ, einem Kooperationsprojekt der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (SenWEB), von Projekt Zukunft sowie dem media:net berlinbrandenburg e.V. Im Rekordtempo wurden bei der Agentur, die 2015 explizit für den Kunden Mercedes-Benz gegründet und in dessen Berliner Nachbarschaft angesiedelt wurde, Prozesse digitalisiert und die rund 170 Mitarbeitenden in Vollbeschäftigung ins Homeoffice geschickt. Die interne Transformation ist geglückt und auch die „enge, intensive Partnerschaft“ mit den Kunden, zu denen mittlerweile Katjes und Kärcher zählen, machte sich in der Krisenzeit bezahlt: So konnte antoni_ gemeinsam mit Mercedes-Benz sehr schnell auf die neue Situation reagieren. Bereits Mitte März, in der ersten Woche des Lockdowns, ging ein YouTube-Spot zu Covid-19 live, kurze Zeit später folgte die Ausstrahlung im TV. Die Botschaft: „Danke, ihr Mediziner und Pflegekräfte, danke an alle, die jetzt nicht stillsitzen. Danke an alle anderen fürs Stehenbleiben“, beschreibt sie der Wahlberliner Dörrenbächer, „Mercedes-Benz war damit eine der ersten Marken, die in ihrer Kommunikation gesagt haben: Bleibt zu Hause, bleibt sicher.“ Die Marke sei damit sehr schnell ihrer Verantwortung gerecht geworden und „hat den richtigen, glaubwürdigen Ton zur richtigen Zeit getroffen“, ist der Werbefachmann überzeugt, „das wird von den Leuten geschätzt. Und weitererzählt.“

Werbebranche geht die Coronakrise kreativ an

Die Krise als Chance für nachhaltige Kommunikation haben auch die Telekommunikationsbranche, Videokonferenzplattformen oder der Konsumgüterbereich ( FMCG-Branche) erkannt und bereits im März knapp 100 Millionen Euro in Corona-Kampagnen investiert, wie Nielsen belegt. Sie sind aber in der Minderheit: „In der Realität erleben die Werbetreibenden, dass ihre Kunden coronabedingt sehr zögerlich Werbeinvestitionen freigeben oder mit Marketing-Askese auf die Ungewissheit reagieren. Diese Zurückhaltung spüren die Werbeagenturen Deutschlands: Bei 81 Prozent wurden schon im März Projekte verschoben, ergab eine Umfrage des Branchenverbands Kommunikationsagenturen GWA unter seinen Mitgliedsunternehmen. Dementsprechend fürchten 54 Prozent der Befragten aufgrund der Covid19 Pandemie einen signifikant negativen Umsatzeffekt für 2020. Auch der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW geht von einer „besorgniserregenden" Entwicklung der Werbeinvestitionen aus. Waren 2019 die Bruttowerbeinvestitionen laut Statista auf den historischen Höchstwert von knapp 32,6 Milliarden Euro gestiegen, seien im laufenden Jahr Verluste im Bereich von zehn bis 20 Prozent zu erwarten.

Corona-Paradoxon: Höhere Nutzung und Reichweite  – geringere Werbeeinnahmen

Insbesondere der Printbereich und die privaten Rundfunkveranstalter verzeichneten erhebliche Einbrüche bei den Werbeeinnahmen. Infolge der Pandemie wurden bei der Mediengruppe RTL Deutschland 4000 Beschäftigte für vier Monate in Kurzarbeit geschickt. Besonders hart sind (lokale) Radiosender betroffen. Branchenkenner vom Portal radioszene.de schätzen den Verlust allein bei lokaler Werbung deutschlandweit auf 50 bis 75 Millionen Euro. „Während die gesellschaftliche Relevanz der privaten Radio- und TV-Programme in der Krise eindrucksvoll sichtbar geworden ist und die Nutzung weiter steigt, stehen die Unternehmen in ihrer Werberefinanzierung gewaltig unter Druck“, zeigt Hans Demmel, der Vorsitzende des Verbands Privater Medien (Vaunet), gegenüber der DPA-afx ein Paradoxon auf: Der erhöhte Informations- und Unterhaltungsbedarf in der Corona-Krise führte Studien zufolge zwar zur höheren Nutzung und mehr Zeit vor dem TV, beim Zeitungslesen oder Radiohören und brachte eine höhere Aufmerksamkeit für Werbung mit sich. Zu Geld machen ließ sich das allerdings kaum. Hoffnung dürfen sich laut ZAW nur Onlinemedien, Social-Media-Plattformen sowie Streaming-Dienste machen: „Wir gehen davon aus, dass die digitalen Werbeträger weniger von der Coronavirus-Krise belastet sein werden und in einem gesamtrückläufigen Markt zulegen können“, meint Nauen. „Digitale Spots kann ich innerhalb von Stunden ausspielen. Ich kann Inhalte ändern, das geht bei Print nicht. Da ist alles von langer Hand geplant“, liegt für Sven Dörrenbächer der Vorteil digitaler Kampagnen auf der Hand. Doch eine langfristige Planung sei aktuell kaum möglich.

Christian Artopé © GUD

Erfolgsrezept Humor mit Haltung

„Wer weiß schon, wie es weitergeht? Ob noch eine zweite große Welle kommt?“, Christian Artopé, Managing Partner der inhabergeführten Agentur „GUD.berlin", kennt die Unsicherheiten nur zu gut, „wir halten uns an die Wissenschaft, die jeden Tag dazulernt. Auch wir bewerten die Lage momentan tagesaktuell“ Das Beobachten sei notwendig, um die „neue Normalität“ zu verstehen und dann „angepasste smarte Kommunikationsangebote zu unterbreiten“, so der Marketing-Experte. Dazu gehört es für ihn auch, dass Unternehmen und Marken Haltung zeigen, sofern es zu ihnen passt. Beim Kunden BVG ist Letzteres der Fall: In neun Social-Media-Posts boten die Berliner Verkehrsbetriebe innerhalb ihrer Kampagne „Weil wir dich lieben“ Corona-Verschwörungstheoretikern mit viel Sarkasmus Paroli. „Das entspricht ja unserer Überzeugung von guter Kommunikation, dass die BVG sich traut, die Dinge beim Namen zu nennen und die Menschen nicht mit belanglosem Werbe-Bla-Bla belästigt“, argumentiert Artopé, der bezüglich GUD.berlin zwar nicht über Etats reden möchte, aber „Veränderungen in beide Richtungen“ erlebt hat, „dazu gehört auch, charmant Kante zu zeigen. Ein Gespür für relevante Themen zu haben. Und Humor hilft, bestimmte Dinge etwas lockerer zu nehmen.

BVG Werbung (Twitter) © BVG

Die Werbung „danach“
Die BVG und GUD.berlin trafen mit der humorvollen Kampagne „frei Schnauze“ den Nerv der Zeit – oder besser gesagt – die Stimmung der Bevölkerung. So launenhaft wie diese war auch die Einstellung zur Werbung: Seit der Corona-Krise hat sie sich laut Analyse des Havas Media Corona Monitor wöchentlich etwas geändert. Lag anfangs Werbung hoch im Kurs, die den Zusammenhalt in der Gesellschaft thematisierte, freuen sich die Menschen jetzt über Ablenkung durch Bundesliga und andere Themen. „Wir beobachten, dass die unmittelbaren Corona-Botschaften zurückgehen. Alle haben sich bedankt“, bestätigt Sven Dörrenbächer von antoni_. „Im Moment sehen wir, dass gut gemachte ’normale’ Werbung auch befreiend sein kann. Das zeigen die Reaktionen auf unsere aktuelle Kampagne für den neuen GLA von Mercedes-Benz.“ Dennoch werde Corona die Werbebranche noch längere Zeit begleiten. Einerseits werde die Krise Botschaften und Tonalität prägen: „Mal ist mehr Ernsthaftigkeit, dann wieder mehr Leichtigkeit gefragt. Da sind Marken nicht anders als Menschen“, so Dörrenbächer. Andererseits werden die Produktionsbedingungen durch Abstandhalten weiterhin erschwert. Doch keine Krise, die nicht gelöst werden kann: „Wir alle haben in den letzten Wochen gelernt, viel schneller auf Änderungen zu reagieren und das in unsere Arbeit einzubauen“, zieht der Kommunikationsprofi Zwischenbilanz. So wurden beispielsweise Prozess-Schritte über Bord geworfen, um schneller und direkter aus Ideen effiziente Kampagnen zu erschaffen. Mehr noch: „Wir haben in den letzten Wochen überall eine Explosion der Kreativität erlebt.“

Solidarität macht kreativ

Dieses kreative Potenzial floss nicht nur in Kampagnen: Innovative Ideen, um Solidarität zu zeigen und insbesondere den kleinen Unternehmen zu helfen, schossen in der Hauptstadt nur so aus dem Boden. Getreu dem Motto „Wir bringen eure Läden, euren Service und eure Idee ins Radio“, greift der Kreuzberger Radiosender FluxFM den kleinen Unternehmen unter die Arme und macht sich seit Mitte April zum Sprachrohr für betroffene Betriebe: Per Sprachnachricht konnten sie über die kostenfreie App FluxMusic ihre Werbebotschaft kreieren, die dann gratis in Werbeblöcken on air ging. Eine weitere Initiative ist die Nonprofit-Plattform Long Live The Block von antoni_, auf der Shopbetreiber und die schwer angeschlagene Gastronomie mit dem Kauf von Gutscheinen unterstützt werden können. Damit entstehen Synergieeffekte zu erfolgreichen Berliner Initiativen, wie etwa HelfenBerlin, Kiezhelfer oder Please Don’t Close, die betroffene Unternehmen über Wasser halten wollen.

Pandemie hin oder her – Berliner Förderung für Kreative geht weiter

Während die Werbebranche hiesige Unternehmen ins Rampenlicht rückt, werden auch die Kreativen selbst in Corona-Zeiten nicht allein gelassen. Mit Soforthilfeprogrammen hat die Wirtschaftsverwaltung die Unternehmen der Kreativ- und Werbewirtschaft (ua. Soforthilfe I Darlehen, Soforthilfe II Zuschüsse für Unternehmen bis 10 Beschäftigte sowie Soforthilfe V Zuschüsse für Unternehmen über 10 Beschäftigte) seit dem Ausbruch der Pandemie unterstützt. Zahlreiche Budgets wurden für Digital- und Hybridveranstaltungen umgewidmet. Neben den virtuellen Kreativsalons betraf dies auch die Präsentation von Berliner Unternehmen bei der Online-Variante der OMR, bei der sich die Unternehmen über Speaker-Videos und via Social Media ihren potentiellen Kunden vorstellten. Musste die OMR noch ins Internet verlegt werden, kann die DMEXCO im September voraussichtlich wie geplant über die Bühne gehen. Auch Berliner Agenturen aus den Bereichen Online- und Mobile-Advertising, Affiliate- und Suchmaschinen-Marketing sowie Targeting werden dort unter dem Motto "berlin.digital" mit einem Gemeinschaftsstand vertreten sein, um Geschäftskontakte zu knüpfen und Business zu machen. Zusätzlich tragen Formate wie das Creative Dinner, Videokampagnen zu „The State of Social Media“, „The Future of Marketing“ oder “Berliner Kreativagenturen – Homestory” sowie das Diskussionsformat „Salon Kreativ“ zur Sichtbarkeit und Vernetzung der Berliner Agenturlandschaft bei.

In der Themenreihe “Deep Dive” gibt Projekt Zukunft regelmäßig Einblick in aktuelle Technologien der Digital-, Medien- und Kreativwirtschaft und informiert über Akteure, Trends und Anwendungen aus Berlin.

Kontakt

Tanja Mühlhans

Leitung Kreativ- und Medienwirtschaft, Digitalwirtschaft, Projekt Zukunft

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