Zukunftskopf: Co-Gründerin und CEO Aimie-Sarah Carstensen von ArtNight
Die Mission der Gründerin Aimie-Sarah Carstensen ist Kreativität zu einer Routine zu machen, die alle lieben. Wie sie das mit ArtNight schafft, erzählt sie uns im Interview. Mehr
Anika Wiest
E-mail: anika.wiest@senweb.berlin.de
Telefon: (030) 90138423
Text schreiben“ zählt laut Experten zu den unbeliebtesten Arbeiten im Marketing. Zwei Stunden braucht ein Unternehmen durchschnittlich, um einen informativen Post für Social Media zu erstellen. Ein Blogpost dauert noch länger.
Bei dieser ungeliebten Arbeit greift das Berliner Unternehmen Fyrfeed unter die Arme, das Thomas Lindemann, Benjamin Zengler und Ehud Alexander Avner Anfang 2020 gegründet haben: Auf der Fyrfeed-Plattform kommen verschiedene künstliche Intelligenzen zum Einsatz, die Informationen recherchieren, segmentieren und auswerten und daraus Blogposts oder textliche, beziehungsweise visuelle Beiträge für LinkedIn, XING, Facebook und Instagram erstellen. Unterstützt werden diese Automatismen von sogenannten Content Engineers, die die Vorschläge der KI bewerten und auswählen, teilweise auch Fakten recherchieren und Qualitätskontrollen durchführen. Human-in-the-Loop nennt sich dieses effiziente Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine.
Dass darin die Zukunft der Künstlichen Intelligenz liegt, davon ist Thomas Lindemann überzeugt. Welche Rolle Fyrfeed dabei spielen soll und warum ChatGPT keine Konkurrenz darstellt, das verrät der Experte, der schon als 18-Jähriger sein erstes Unternehmen gegründet hat, im Interview:
Wie kam es zu der Idee von Fyrfeed?
Es gab nicht den „einen“ Moment, in dem die Idee plötzlich entstanden ist. Ich glaube, den gibt es nie. Es gab natürlich Indizien, die letztlich dazu geführt haben, dass wir uns das Thema näher angesehen haben. Zum Beispiel unsere eigenen Erfahrungen: Wir wussten, dass das Erstellen von hochwertigem Content unheimlich zeitaufwendig ist. Und dass es in Unternehmen immer irgendjemand aufgedrückt bekommt, nach dem Motto: „Social Media, das macht der Praktikant“. Das ist natürlich fatal, denn für viele Unternehmen sind ihre Content-Kanäle inzwischen eine der wichtigsten Quellen für neue Kunden und neue Mitarbeiter. Aber all das deckt man erst nach und nach auf. Das ist ein bisschen so, als lese man ein wirklich gutes Buch. Der Titel klingt erstmal spannend. Und dann blättert man Seite für Seite immer weiter. Jedes Gespräch mit einem potenziellen Kunden, jede Iteration des Produkts, jeder Irrweg, jede Erkenntnis – immer eine Seite weiter. Und am Ende kam dann Fyrfeed dabei heraus. Das Spannende dabei ist aber: Die Geschichte ist noch nicht fertig.
Ein Kapitel in diesem Buch war sicher der Launch von ChatGPT: Was hat dieser für Fyrfeed bedeutet?
Tatsächlich hat ChatGPT dazu geführt, dass die Nachfrage nach unserem Service schneller gestiegen ist als ursprünglich erwartet. Viele Unternehmen haben versucht, mit ChatGPT Marketinginhalte zu erstellen – und schnell gemerkt: Das funktioniert nicht. Künstliche Intelligenz mag manchmal so aussehen, aber eines ist sie definitiv nicht: Magie. ChatGPT ist ein Werkzeug – es kann bei der Erstellung von Inhalten helfen, aber es kann mir nicht alle Aufgaben abnehmen. Das ist übrigens bei fast allen Dingen so. Es gibt einen Spruch, der ist etwas abgedroschen, aber im Kern absolut richtig: KI wird meinen Job nicht ersetzen, aber jemand, der KI intelligent einsetzt, wird es tun. Das gilt auch für Content Marketing. Um auf die Frage zurückzukommen: Viele Unternehmen haben versucht, ihre Content-Probleme mit ChatGPT zu lösen. Als das nicht geklappt hat, haben sie sich nach echten Experten umgesehen, die ihnen das abnehmen können. Und da sind viele bei Fyrfeed gelandet, weil Fyrfeed schneller, besser und günstiger ist als die vielen Agenturen, die auch Content Marketing anbieten.
In einem LinkedIn Posting meinten Sie: „ChatGPT macht Marketing nicht einfacher, sondern komplizierter.” Warum ist dem so, was meinen Sie damit?
ChatGPT habe ich in diesem Zusammenhang als Beispiel für Künstliche Intelligenz verwendet. Denn sie fügt zusätzliche Komplexitätsebenen für Marketer hinzu: KI kann mir helfen, meine Inhalte besser zu personalisieren, besser zu tracken, besser zu testen, besser zu analysieren und bessere Vorhersagen für die Zukunft zu treffen. Aber dafür brauche ich das richtige Setup – und die richtigen Partner. Fyrfeed nimmt seinen Kunden diese Arbeit bei der Content-Erstellung komplett ab. Aber der Marketing-Kosmos ist noch viel größer. Und bei jedem Puzzleteil des Marketings müssen sich Marketer künftig fragen: Wie kann ich das mit KI effizienter lösen? Denn wenn sie es nicht machen, werden es andere tun.
Bleiben wir bei der Content-Erstellung: Was macht Fyrfeed anders als ChatGPT?
Die beiden haben eigentlich nicht viel miteinander zu tun. ChatGPT ist ein ziemlich universeller Chatbot. Fyrfeed hingegen ist eine Plattform, die speziell für die Erstellung von Inhalten entwickelt wurde und bei der Mensch und Maschine Hand in Hand arbeiten. Dieses Zusammenspiel von Mensch und Maschine nennt man Human-in-the-Loop. Das ist die Zukunft der Künstlichen Intelligenz. Sie ersetzt den Menschen nicht vollständig, aber sie macht ihn unglaublich effizient. Eine Besonderheit von Fyrfeed ist, dass der Kunde sich nicht um den Erstellungsprozess kümmern muss. Alles läuft im Hintergrund ab. Der Kunde muss nur einmal festlegen, welche Art von Inhalten er für welche Zielgruppe benötigt. Den Rest erledigt Fyrfeed. Wir haben damit eine Art Betriebssystem für die Agentur der Zukunft geschaffen. Nach innen funktioniert Fyrfeed fast wie ein SaaS-Unternehmen, nach außen bietet es die Qualität einer Premium-Agentur. Ich denke, dass in Zukunft viele Agenturen und Dienstleister auf genau solche Modelle umsteigen wollen.
Sie haben „Human-in-the-Loop” erwähnt: Wie genau funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine?
Jeder einzelne Beitrag, den Fyrfeed für seine Kunden erstellt, ist vollständig individuell und auf die Bedürfnisse des Kunden und die Spezifika seiner Zielgruppe angepasst. Mit Künstlicher Intelligenz können Teile der Erstellung von guten Inhalten vereinfacht werden. Man kann sich das so vorstellen: Einen Blogbeitrag, zum Beispiel, den schreibt man ja nicht einfach so. Es gibt eine ganze Menge an „Problemen“, die es zu lösen gilt: Wer schreibt den Beitrag? Worüber schreibe ich? Wo finde ich passende Quellen? Wie strukturiere ich den Beitrag? Wie formuliere ich treffend und spannend? Wie bügel‘ ich Grammatikfehler aus? Wie erstelle ich ein passendes Bild? Wie finde ich einen knackigen Titel? Wie veröffentliche ich den Beitrag und wo? Das ist nur die Oberfläche. Bei jeder Frage kann man natürlich tiefer gehen. Manche dieser Dinge kann man automatisch lösen (beispielsweise die Grammatik), andere Dinge kann der Mensch am besten (beispielsweise dem Beitrag einen solchen Spin zu geben, dass ich mich als Leser wirklich angesprochen fühle). Und bei manchen Themen müssen beide, Mensch und Maschine, wirklich zusammenarbeiten: Zum Beispiel bei der Frage nach geeigneten Quellen. Da kann die KI eine Vorauswahl treffen, Recherchearbeit abnehmen, aber letztlich entscheiden muss der Mensch.
Der Automatisierungsgrad hängt immer auch stark vom Thema ab. Aber eines ist klar: Der Mensch ist immer mit dabei, und das wird und soll sich auch gar nicht ändern. Denn beide zusammen sind nun mal deutlich besser, als jeweils allein. Das macht Fyrfeed so stark: Die Technik hilft uns, eine Menge Zeit zu sparen, was dann in günstigeren Kosten für die Kunden resultiert. Aber die Technik hilft auch, die Qualität noch weiter zu verbessern. Wir bringen da einfach das Beste aus beiden Welten zusammen.
Wie haben Sie Ihre KI trainiert, schließlich ist eine hohe Datenqualität ausschlaggebend für den Erfolg solcher Systeme?
Die Datenqualität spielt eine enorm große Rolle, aber das ist eigentlich bei allen KI-Unternehmen so. Wir haben viele Beiträge analysiert und machen das immer noch, das läuft parallel permanent mit. Inzwischen sind so mehrere zehntausend Beiträge ausgewertet worden. Das Ziel dabei ist es, Muster und Strukturen zu erkennen. Eine gute Struktur macht einen Beitrag zwar nicht automatisch gut, aber sie ist ein Teil davon. Generell ist das Thema „Qualität“ ein ziemlich vielschichtiges Phänomen. Denn verschiedene Kunden haben auch ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, was für sie ein „qualitativ hochwertiger“ Beitrag ist. Übrigens ein weiterer Grund dafür, warum das Erstellen richtig guter Texte nur mit Human-in-the-Loop und nicht ausschließlich mit KI geht. Fragen Sie mal eine KI, wann ein Beitrag eine hohe Qualität hat! Sie werden lachen, was da für ein Mist kommt.
Eine Besonderheit von Fyrfeed ist, dass jede Interaktion mit dem System – z. B. zwischen den Content Engineers und der Künstlichen Intelligenz – aber auch die realen Leistungsdaten der erstellten Inhalte in das System zurückfließen und es intelligenter machen. Auf diese Weise lernt Fyrfeed ständig dazu. Man kann sich das ein bisschen so vorstellen, als würden wir für jeden Kunden ein eigenes KI-Modell trainieren. Nach einer gewissen Zeit weiß Fyrfeed besser, welche Inhalte für den Kunden am besten funktionieren, als er es selbst formulieren könnte.
Wie stellen Sie sicher, dass ein Beitrag gut performt und wird nachgebessert, optimiert?
Das ist tatsächlich ein ziemlich kompliziertes Thema. Denn es beginnt ja schon mit der Frage: Was ist überhaupt Performance? Dazu mal ein kleines Beispiel von LinkedIn: Da publiziert jemand ein lustiges Video, das viral geht. Das Video hat nichts mit der professionellen Arbeit des Veröffentlichers zu tun, es ist eben einfach nur witzig und hat deswegen viel Aufmerksamkeit generiert. Hat der Beitrag jetzt gut performt – oder nicht? Einerseits natürlich schon, denn er hat ja viele Likes, Ansichten und Kommentare produziert. Andererseits auch nicht, denn er hat den Beitragsersteller kein Stück weitergebracht. Niemand kauft sein Produkt, nur weil er ein lustiges Video publiziert hat. Es ist leere Reichweite.
Die meisten Nutzer von Social Media beispielsweise sind sogenannte Lurker. Das sind passive Mitleser, die niemals mit einem Beitrag interagieren würden, egal wie gut oder schlecht sie ihn finden. Die machen – je nach Studie – 95 bis 99 Prozent aus. Also auch hier die Frage: Was ist Performance? Ist es, wenn jemand auf den Like-Button klickt? Oder ist es die Tatsache, dass ein Abschluss zwischen zwei Unternehmen zustande kommt, weil die involvierten Personen regelmäßige Beiträge auf LinkedIn gesehen haben und sukzessive Vertrauen aufbauen konnten – ohne auch nur einen einzigen dieser Beiträge zu liken? Dazu kommt: Nicht alle Themen sind gleich. Der Hersteller von Sexspielzeugen wird auf LinkedIn kein Engagement erzielen. Das Thema ist sozial unerwünscht. Das heißt aber nicht, dass die Beiträge nicht aufmerksam gelesen werden und einen großen Einfluss auf die Vertriebs- und Markenbildung haben können. Also auch hier – was ist Performance?
Um die Frage zu beantworten: Bei uns entscheidet der Kunde, was gut ist. Denn jeder Kunde hat jederzeit die Möglichkeit, einen Beitrag von Fyrfeed zurückgehen zu lassen. Dann wird dieser überarbeitet, und zwar so lange, bis der Kunde vollständig zufrieden ist. Das kostet den Kunden keinen einzigen Cent extra. Für mich ist das aber sehr wichtig: Dass Kunden das Gefühl haben, dass sie sich mit den Beiträgen, die sie bekommen, vollständig identifizieren können. Dieses Feedback der Kunden ist daher unser Gradmesser für Performance.
Sie haben den Fokus auf B2B-Unternehmen gesetzt. Warum, und was ist der Unterschied zu B2C-Kommunikation?
Es gibt einen großen Unterschied zwischen B2B- und B2C-Kommunikation. Im B2C-Kontext liegt oft ein Fokus auf Infotainment, wobei das Entertainment, das ja im Begriff steckt, den größten Anteil hat. Mit anderen Worten: Die Inhalte sollen in erster Linie Spaß machen und lustig und klamaukig sein. Bei der B2B-Kommunikation hingegen stehen konkrete Inhalte im Vordergrund: Informationen, Daten, Zahlen, Fakten, Wissen. Content im B2B-Bereich versucht über konkrete Mehrwerte den Kompetenzbeweis zu erbringen und Aufmerksamkeit zu generieren. Das ist einfach eine völlig andere Ebene der Kommunikation. Für Fyrfeed haben wir uns früh entschieden, einen klaren B2B-Fokus aufzubauen, und das ganze Unternehmen ist darauf ausgerichtet, genau diese Art von Beiträgen richtig gut hinzubekommen. Wenn wir beides miteinander vermischten, dann würde sicherlich die Qualität darunter leiden, weil das Unternehmen ständig zwischen diesen beiden Stilen hin- und herspringen müsste.
Unternehmen gibt es ja in Berlin jede Menge. Inwiefern profitieren Sie sonst vom Standort?
Berlin beherbergt das größte und aktivste Startup-Netzwerk Deutschlands. Das ist ein unschätzbarer Vorteil: Weil sich die Unternehmer – gerade in Berlin – gegenseitig unterstützen, findet ein reger Erfahrungsaustausch statt. Davon profitieren alle. Wer will, kann in Berlin jeden Tag auf Events und Meetups andere Startup-Unternehmerinnen und -Unternehmer treffen. Ich kann das nur jedem empfehlen – ich lerne hier ständig unglaublich spannende Menschen kennen.
Was sind die Pläne von Fyrfeed für das weitere Jahr 2024?
Wir haben in den letzten Jahren vor allem an der Technologie gearbeitet und sind jetzt bereit, Fyrfeed einer viel größeren Gruppe von Unternehmen zugänglich zu machen. Wir haben auch etwas sehr Spannendes und Aufregendes geplant – aber mehr kann ich leider noch nicht verraten.
Und wo wollen Sie in fünf Jahren stehen?
Der Markt für B2B Content Marketing wächst rasant. Unser Ziel ist es, der De-facto-Standard für Content Marketing zu werden. Statt teurer Agenturen oder aufwendiger Inhouse-Teams ist Fyrfeed die viel bessere Lösung.
Klingt so, als wäre das Buch noch lange nicht fertig. Viel Erfolg und herzlichen Dank für das Gespräch!
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