TRANSIT Verlag: „Wir wollen Schubladen aufbrechen.”
Der TRANSIT Verlag ist Preisträger des Berliner Verlagspreises 2024. Ein Gespräch mit Verleger Rainer Nitsche. Mehr
Anika Wiest
E-mail: anika.wiest@senweb.berlin.de
Telefon: (030) 90138423
Wissen, was in Büchern steht, ohne diese zu lesen? Hört sich fast zu schön an, um wahr zu sein. Funktioniert aber: Das Berliner Startup Blinkist bietet Zusammenfassungen von Büchern an. Statt sich tagelang mit dicken Wälzern abzuquälen, erhalten Leser innerhalb von 15 Minuten die wesentlichen Informationen. Nachdem Blinkist kürzlich eine weitere Finanzierungsrunde bekannt gegeben hat, darf man in diesem Jahr auf weitere “Blinks” gespannt sein. Projekt Zukunft sprach mit Holger Seim über kommende Entwicklungen des Unternehmens und die neue Leserschaft.
Guten Tag Herr Seim, erlauben Sie anfangs eine Frage, die Sie wahrscheinlich etwas häufiger hören: Wann haben Sie denn zuletzt ein ganzes Buch mit über 200 Seiten gelesen?
Die Frage wird mir in der Tat häufiger gestellt und zeigt, dass viele die Idee hinter Blinkist falsch verstehen: Uns geht es nicht darum, das Lesen von Büchern zu ersetzen. Wir wollen vielmehr ein Format bieten, das es Nutzern ermöglicht, lebenslanges Lernen besser in ihren Alltag zu integrieren – unabhängig davon, ob sie die Zeit finden, ganze Bücher zu lesen. Vielleser nutzen Blinkist zum Beispiel vor allem als Medium für zwischendurch, wenn sie gerade kein Buch zur Hand haben, oder zum Entdecken neuer Sachbücher.
Dementsprechend lese auch ich neben blinks noch viele komplette Bücher, zugegeben aber lieber Belletristik. Das letzte Buch habe ich am vergangenen Wochenende fertig gelesen – „Die weiteren Aussichten“ von Robert Seethaler. Als nächstes Buch steht „Leading“ von Alex Ferguson auf meiner Liste.
Sie haben soeben erst eine erfolgreiche Investitionsrunde in Höhe von vier Millionen Euro bekannt gegeben. Beteiligt hat sich mit Greycroft Partners unter anderem auch ein Investor aus den USA. Können Sie uns kurz auf den neuesten Stand bringen: Wo steht Ihr Unternehmen heute und auf welche Neuigkeiten aus dem Hause Blinkist dürfen wir uns in diesem Jahr freuen?
Wir konnten unsere Nutzerbasis im vergangenen Jahr verfünffachen und sind insbesondere in den USA sehr stark gewachsen. Verglichen mit dem weltweiten Marktpotential für unseren Service stehen wir mit rund 30.000 zahlenden Kunden aber noch am Anfang und freuen uns sehr, dass wir nun mit einem frischen Investment und neuen, starken Partnern wie Greycroft und e.ventures die nächsten Schritte gehen können, um unsere Nutzerbasis global zu skalieren.
Neben deutlich größeren Nutzerzahlen werden wir 2016 auch mit innovativen Weiterentwicklungen unseres Produktes überraschen und können hoffentlich die ein oder andere Partnerschaft mit namhaften Verlagen aus Europa und den USA verkünden.
Wie schaffen Sie es eigentlich, den Inhalt langer Bücher auf wenigen Seiten zu komprimieren? Können Buch-Autoren schlichtweg nicht auf den Punkt kommen oder haben Sie ein besonderes Geheimnis für gute Zusammenfassung?
Selbstverständlich können auch Buch-Autoren auf den Punkt kommen, aber das ist ja nicht immer das Ziel beim Schreiben eines Buchs. Hier geht es meistens auch darum, den Leser mit auf eine Reise zu nehmen und ihn die Gedankengänge, die zu gewissen Schlussfolgerungen führen, nachvollziehen zu lassen. Um ein Thema ausgiebig zu vertiefen, bedarf es meistens einer etwas ausführlicheren Herleitung dieser Gedankengänge, der Abwägung von Argumenten und der Veranschaulichung durch viele Beispiele und Anekdoten.
Da allerdings kein Leser jedes Thema ausgiebig vertiefen kann und es schade wäre, alle anderen Themen daher komplett auszublenden und sich gar nicht damit zu befassen, gibt es neben ganzen Büchern auch einen großen Bedarf für das, was wir anbieten.
Um für diesen Bedarf möglichst objektiv die wichtigsten Aussagen eines Buches wiederzugeben und dabei die anschaulichsten Anekdoten und Beispiele herauszuarbeiten, arbeiten wir mit einem sehr großen Netzwerk an Fachexperten, die eben genau das übernehmen. Außer geballtes Fachwissen und die Fähigkeit, abstrahieren zu können, steckt da kein weiteres Geheimnis dahinter.
In den vergangenen Monaten sind Entschleunigungs-Bewegungen wie “Slow-Food” populärer geworden. Fürchten Sie sich davor, dass auch Ihre Leserschaft unserer schnelllebigen Welt und des permanenten Informationsflusses überdrüssig wird?
Nein, davor haben wir keine Angst, denn der Kern unseres Services ist es ja gerade nicht, unsere Leser jeden Tag mit kurzlebigen Informationen zu überschütten.
Im Gegenteil: Es geht uns darum, auf mobilen Geräten neben den vielen kurzlebigen Informationen in Nachrichten und sozialen Medien auch längerfristig brauchbare Informationen, also Wissen, zu bieten, und unseren Lesern damit die Möglichkeit zu geben, Lernen in ihren Alltag zu integrieren. Im Übrigen wählt unsere Redaktion die Titel, die wir veröffentlichen, sehr sorgfältig aus der Masse an Neuveröffentlichungen aus und mindert somit genau diesen spezifischen Informationsfluss für unsere Nutzer.
Gibt es eigentlich auch Bücher, die sich partout nicht zusammenfassen lassen, ohne dass wichtiger Inhalt verloren geht?
Natürlich bleiben bei einer Zusammenfassung immer Inhalte auf der Strecke, die aber meistens für einen ersten Überblick nicht entscheidend sind. Selbstverständlich gibt es aber sehr komplexe Bücher, bei denen die Verdichtung der Kernaussagen auf eine Länge, die noch als Zusammenfassung durchgeht, besonders schwerfällt.
Das anspruchsvollste Buch für uns war bisher „Schnelles Denken, Langsames Denken“ von Daniel Kahneman – wir sind mit dem Endergebnis aber sehr zufrieden.
Haben Sie kontrolliert, wann sich Leser besser erinnern: Nach der Lektüre eines dicken Ratgebers oder nach Ihrer 15-minütigen Zusammenfassung?
Das haben wir bisher nicht kontrolliert, weil es wie gesagt nicht unser Ziel ist, Bücher auszustechen. Ohne wissenschaftliches Experiment können wir aber mit großer Sicherheit sagen, dass sich Leser dann am besten erinnern, wenn sie vor der Lektüre eines Buches die blinks zum Buch vorbereitend lesen, da sie hierdurch für die relevanten oder interessanten Aspekte des Buches sensibilisiert werden und das Buch im Anschluss viel zielgerichteter und aktiver lesen. Wir hören darüber hinaus auch immer wieder von Lesern, die ihr Wissen zu einem gelesenen Buch nach zwei bis drei Monaten mit Hilfe unserer blinks auffrischen.
Können Sie Ihren typischen Leser beschreiben?
Wir haben grob gesagt zwei Nutzergruppen bei Blinkist: Die erste Gruppe integriert Blinkist in ihre tägliche Routine und nutzt unseren Service mehrmals in der Woche, beispielsweise täglich auf dem Arbeitsweg oder in kurzen Wartezeiten, um sich kontinuierlich weiterzubilden, teilweise mit konkretem Ziel und inhaltlicher Ausrichtung, oft aber auch einfach „Querbeet“, um das Allgemeinwissen zu erweitern. Die zweite Gruppe nutzt Blinkist eher sporadisch und problembezogen, um spezifische Fragestellungen oder Herausforderungen anzugehen.
Herr Seim, zu guter Letzt: Können Sie diesen Satz bitte vervollständigen: Berlin ist…
... die perfekte Stadt, um in Europa ein Tech-Startup zu gründen.
Holger Seim ist Geschäftsführer und einer von vier Gründern von Blinkist aus Berlin. Bei Blinkist ist er als CEO zuständig für Business Development, Marketing und Kommunikation. Gemeinsam mit Tobias Balling, Niklas Jansen und Sebastian Klein gründete er 2012 Blinkist, um Menschen mit wenig Zeit einen einfacheren Zugang zu neuem Wissen und lebenslangem Lernen zu ermöglichen.
Holger Seim war nach seinem Studium der BWL in Marburg und Mexiko für 15 Monate Management-Trainee im Inhouse Consulting der Deutschen Telekom und im Anschluss Commercial Manager für ein digitales Wachstumsfeld des Konzerns.
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