Der Kunstmarkt will nachhaltiger werden. Vor allen Dingen Reisen zu Messen und Ausstellungen, Transporte, Verpackungen und Energie sorgen seit vielen Jahren für eine schlechte Klimabilanz. Die „Gallery Climate Coalition“, in der sich verschiedene Kunstschaffende zusammengeschlossen haben, wurde zunächst 2020 in London ins Leben gerufen. Vor einem Jahr gründete sich in Berlin eine Untergruppe. Ihr Anliegen ist es, den CO2-Verbrauch im Kunstbetrieb um 50 Prozent zu reduzieren.
Wie das gelingen soll und welche Projekte konkret geplant sind, erzählen die Gründungsmitglieder Carolin Leistenschneider von der Haverkampf Leistenschneider, Franziska von Hasselbach von der Galerie Sprüth Magers und Anne Schwanz von Office Impart im Interview mit Projekt Zukunft.
Seit gut einem Jahr gibt es nun die „Gallery Climate Coalition“ in Berlin – was haben Sie bisher erreichen können?
Carolin Leistenschneider: Wir haben Anfang letzten Jahres mit der Gruppe eine Berliner Unterseite zur GCC-Seite erstellt, auf der wir für den lokalen Kunstmarkt Tipps und Informationen geben – zu Themen wie Transport, Verpackungen, Energie und dem CO2-Rechner. Ende des Jahres haben mit diesem Calculator unseren CO2-Verbrauch des Jahres 2019 errechnet und auf der Website veröffentlicht.
Die Website wird bezüglich neuer Materialien mit Links zu Seiten, auf denen man Verpackungsmaterialien bestellen kann etc., gerade wieder aktualisiert. Und am 6. Mai werden wir gemeinsam mit „GCC London“ einen Informationstag veranstalten, mit Panels, Workshops und einer Art „Sprechstunde“, zu der jede/jeder nachmittags kommen und alle Fragen zu allen Themen stellen kann. Dazu gibt es bald mehr Infos in unserem Newsletter!
Was waren Ihre persönlichen Beweggründe, die Initiative mitzugründen?
Franziska von Hasselbach: Die ersten Monate der Corona-Pandemie vor zwei Jahren haben in der Kunstwelt nicht nur zu einem Stillstand geführt, sondern auch sehr grundsätzliche Fragen aufgeworfen: Welche Bedeutung kann die Kunst in den Zeiten einer Pandemie haben und was ist unsere Rolle? Diese Fragen haben Künstler:innen beschäftigt, aber natürlich auch uns alle, die wir diese Kunstwelt gemeinsam gestalten. Das Thema Nachhaltigkeit war vielen bewusst, aber aus meiner eigenen Erfahrung kann ich berichten, dass sich jede/jeder eher einzeln bemüht hat, sich richtig zu verhalten.
Als Jenny Chert von der Galerie Chert Lüdde die Idee der „Londoner GCC“ aufgegriffen und sich dann schnell eine Berliner Untergruppe zusammengefunden hatte, war dies eine großartige Gelegenheit, das Thema Nachhaltigkeit gemeinsam anzugehen. Wir haben schnell gemerkt, dass wir mehr bewegen können, wenn wir uns zusammentun. Seitdem arbeiten wir in dieser offenen und sehr produktiven Gruppe zusammen, deren kollaborativer Geist mich sehr begeistert.
Frau Schwanz, Sie experimentieren mit Ihrer Co-Founderin Johanna Neuschäffer längst jenseits des klassischen Galeriemodells. War die „GCC Berlin“ nur der nächste logische Schritt?
Anne Schwanz: Wenn man über die Zukunft der Kunstbranche und Kreativwirtschaft nachdenkt, kommt man um das Thema der Nachhaltigkeit nicht mehr herum. Zukunftsfähigkeit von Unternehmen und Institutionen ist in jeder Branche sehr eng verbunden mit nachhaltigem Denken und dafür entwickelten Strategien. Und ja, somit war es für uns selbstverständlich diese Themen auch in unserer Unternehmenskultur mitzudenken und mit Gründung von „GCC“ hier in Berlin auch aktiv mitzuarbeiten.
Wir freuen uns dabei zu sein, ein aktives Netzwerk zwischen den Galerien, Institutionen und Künstler:innen hier in der Stadt zu entwickeln und uns gemeinsam für nachhaltigere Produktions- und Logistikverfahren in der Kunstbranche einzusetzen.
Warum ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um über die Klimabilanz des Kunstbetriebes nachzudenken?
Carolin Leistenschneider: Als die Corona-Krise begann, standen die Räder etwas stiller als sonst. Veränderungen, die sonst im hektischen Tagesgeschäft nicht so leicht umsetzbar waren, konnte man leichter erproben und einführen. Das war eine gute Gelegenheit, Transport- und Reisewege neu zu überdenken. „GCC London“ hat da einen großen und hilfreichen Impuls gegeben. Nun heißt es aber auch: dranbleiben und die propagierten Veränderungen konsequent praktizieren. Angesichts neuer Krisen, die uns alle berechtigterweise beschäftigen, darf man den Kampf für das Klima nicht vergessen.
Bis 2030 wollen Sie gemeinsam mithelfen, die CO2-Emissionen im Kunstbetrieb um 50 Prozent zu reduzieren. Wie sieht das genau aus? Und welche praktischen Schritte sind Sie in Berlin bereits gegangen?
Anne Schwanz: Begonnen hat unser Engagement mit dem Launch der „GCC Berlin“ Website und der Förderung eines Austausches zwischen aller Beteiligten, um somit aktiv ein Bewusstsein für die Verantwortung der Branche zu schärfen und zusammen konkrete Lösungen zu entwickeln. Mit Hilfe des CO2-Kalkulators kann jede Galerie oder Institution genau schauen, wie der CO2-Verbrauch sich verteilt und kann dann individuell an den jeweiligen Zielen arbeiten. Nach Fertigstellung bekommt man ein Carbon Report Badge, das man auf seiner Website o. ä. integrieren kann. Eine Möglichkeit, die getroffenen Maßnahmen, die man ergriffen hat, auszuweisen und positiv zu würdigen.
Die größten Faktoren des CO2-Verbrauches entstehen zumeist durch Transporte, national und international, Verpackungen und die Reisen zu Messen und Ausstellungen. Hierfür bieten wir sowohl auf der Website als auch durch Talks und Diskussionsrunden sowie in geplanten Workshops konkrete Möglichkeiten an, um den Verbrauch zu reduzieren und langfristig an einer Umstellung zu arbeiten.
Ein großes Projekt, an dem gearbeitet wird, ist ein CO2-freies Kunstlager am Rande Berlins, die Galerie Sprüth Magers hat dies initiiert und die Planungen dafür gehen gut voran.
Daneben sind wir im konkreten Austausch mit verschiedenen Transportunternehmen, auch in der Stadt in diese Richtung zu denken.
Hat Corona diesen Prozess beschleunigt – musste/konnte sich dadurch die Kunstszene neu erfinden?
Alle: Wir sehen die Initiative um „GCC“ unabhängig von Corona. Sicherlich hat die Situation der letzten Jahre einiges beschleunigt oder in einen anderen Fokus gerückt. Doch unser Engagement über Leitlinien zur ökologischen Nachhaltigkeit im Kunstsektor nachzudenken, hätte sich aber ohne Frage auch ohne Corona so entwickelt.
Wie nachhaltig ist der Berliner Kunstmarkt momentan – oder provokant gefragt – dürfen Künstler:innen nun nie mehr reisen? Finden Ausstellungen nur noch online statt?
Franziska von Hasselbach: Wir können in jedem Falle immer mehr machen, der Kunstmarkt allgemein ist sicher noch nicht so nachhaltig strukturiert, wie er sein könnte. In den letzten Jahren hat sich jedoch schon viel verändert und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist ausgeprägter. Im Hinblick auf Reisen sind es oft die Künstler:innen, die sich für den nachhaltigeren Weg entscheiden oder z. B. auch auf nachhaltige Transportwege bestehen.
Wir haben unter anderem eine Galerie in Los Angeles und die meisten Künstler:innen fordern ganz konkret, die Transporte auf dem nachhaltigeren Seeweg durchzuführen.
Online-Ausstellungen und die Möglichkeit, Kunstwerke auch virtuell zu vermitteln, haben unsere Arbeit in den letzten Jahren grundlegend verändert. Gleichzeitig haben wir jedoch auch festgestellt, dass das Erlebnis einer Ausstellung nicht wirklich ersetzt werden kann.
Ich glaube, dass wir von beiden Möglichkeiten profitieren werden: von der Vermittlung von Kunst im virtuellen Raum, die losgelöst von Standorten und Zeitzonen stattfinden kann, sowie von der Wertschätzung des realen Erlebnisses von Kunst. Im Hinblick auf Nachhaltigkeit ist die Konsequenz eine sehr bewusste Entscheidung, welche Reisen notwendig und sinnvoll sind, sodass sich das Reisevolumen insgesamt sicher reduziert.
Der Klimawandel ist ein globales, ein gesamtgesellschaftliches Problem – was kann die lokale Kunstszene hier ausrichten?
Carolin Leistenschneider: Diese Frage habe ich mir anfangs auch gestellt. Aber dann hörte ich die Rede von Booker-Preisträger und Autor Ben Okri, der bei der „Londoner GCC“-Konferenz im November eine Rede gehalten hat und der die Kunstwelt dazu aufrief, ihren Beitrag nicht zu unterschätzen: „Sie sind die Kunstwelt, und Sie halten sich für einen kleinen Teil des größeren Problems, aber Sie sind ein extrem wichtiger Teil“, sagte er.
Und weiter: „Die Macht dessen, was Sie tun, ist symbolisch größer, als Ihr Anteil an der Branche. Das liegt daran, dass Sie mit Visionen zu tun haben. Sie haben mit dem Image zu tun. Sie beschäftigen sich damit, wie Menschen sehen. Sie haben damit zu tun, wie die Menschen ihre Wahrnehmung der Welt durch das, was sie sehen und als Kunst erleben. (…) Ich denke, dass die Kunstwelt einen großen Einfluss auf die Möglichkeiten des Klimawandels haben kann und eigentlich eine Vorreiterrolle einnehmen sollte, also redet euch nicht klein.“ Diese Rede fand ich sehr beeindruckend.
Das ist in der Tat sehr eindrucksvoll. Auf Ihrer Website ist auch ein eigens entwickelter Rechner integriert, mit dem die CO2-Ausstöße berechnet werden können. Wie sieht das in der Praxis aus?
Carolin Leistenschneider: In diesen Rechner gibt man für jeweils ein Jahr alle Reisen, Transportwege sowie Verpackungsmaterialien und den Stromanbieter ein. Das ist teilweise etwas aufwändig – je nach Größe der Galerie – aber wenn man es einmal gemacht hat, kann man es anschließend als ständiges Tool verwenden, in das nach abgeschlossenen Reisen und Transporten regelmäßig die Werte eingetragen werden.
Wichtig ist am Ende, dass man hauptsächlich die großen Hebel ausfindig macht, an denen man Veränderungen erwirken kann. Beispielsweise sind Flüge und Luftfracht die größten Verursacher. Die gilt es damit sichtbar zu machen.
Und wie ist die Resonanz bei den Käufer:innen von Kunst? Müssen diese nun länger auf ihre Kunstwerke warten?
Anne Schwanz: Die Resonanz ist von allen Beteiligten sehr positiv und durch transparente Kommunikation öffnet sich immer mehr eine Bereitschaft dort auch im Einzelnen aktiv mitzuwirken. Für die Transporte zu den Sammler:innen oder in Ausstellungskontexten werden Beiladungen die Regel, d. h. man koordiniert die Transporte in die gleichen Richtungen und eine Auslieferung kann dadurch schon mal etwas länger dauern. Aber sowohl Transportunternehmen als auch die Empfänger:innen stellen sich darauf ein und versuchen dies möglich zu machen.
Sie haben Partnerschaften in aller Welt – arbeiten auch eng zusammen. Wie findet der Austausch statt und warum ist die Zusammenarbeit so wichtig?
Anne Schwanz: Ohne eine Zusammenarbeit sowohl national als auch international wird es nicht möglich sein die Ziele zu erreichen. Das Thema ist global und vielschichtig und kann nur in einem gemeinsamen Verständnis und für alle gedacht werden.
Durch ein Zusammenschließen der Netzwerke und den aktiven Austausch potenziert sich die Reichweite und die Themen der Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung werden in allen Bereichen der Kunstbranche wahrgenommen. Der Austausch dazu findet in kleinen Gruppen statt, die lokal agieren, und dann in größeren Treffen oder Symposien, die von „GCC London“ aus organisiert werden. Wir können nur jeden dazu einzuladen, den Aktivitäten zu folgen und sich mit daran zu beteiligen.