
Zukunftsköpfe: Matthias Strobel von MusicTech Germany
Eine transparente Wertschöpfungskette, tieferer Austausch untereinander und Technologie als Enabler – so wünscht sich Matthias Strobel die Musikbranche der Zukunft.
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Anika Wiest
E-mail: anika.wiest@senweb.berlin.de
Telefon: (030) 90138423
Psychische Gesundheit ist in der Modebranche noch immer ein Tabuthema – genau hier setzt die Initiative Mental Health in Fashion an. Gründer Florian Müller möchte das Bewusstsein für mentale Belastungen entlang der gesamten Lieferkette schärfen und neue Bildungs- und Dialogräume schaffen. Im Interview spricht er darüber, warum psychische Gesundheit ein Nachhaltigkeitsthema ist – und wie sich die Branche verändern kann.
Dich bewegt Mental Health in der Fashion Industrie: Wie kamst du zu diesem Thema?
Seit über zwanzig Jahren arbeite ich in der Modewelt und habe immer wieder erlebt, dass psychische Belastungen entweder bagatellisiert oder gar ignoriert wurden. Arbeitsdruck, unsichere Verträge, fehlende Bezahlung oder destruktive Schönheitsideale – Probleme entlang der gesamten Lieferkette bleiben meist unsichtbar. Für mich war klar: Dieses Schweigen muss gebrochen werden. Mit meinem Studium der Psychologie erhielt ich zusätzlich fundierte Einblicke, die ich mit meiner langjährigen Arbeit im Bereich Nachhaltigkeit verband. Als ich meine Arbeit bei einer BNE*-Veranstaltung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie dem Deutschen UNESCO-Komitee präsentierte, stand danach endgültig fest, das Thema öffentlich zu verankern.
*Bildung für nachhaltige Entwicklung
Gab es einen Moment in deiner Karriere, der dir besonders deutlich gezeigt hat, wie dringend das Thema mentale Gesundheit in der Modebranche ist?
Eigentlich war mir die Dringlichkeit von Beginn an bewusst. Schon meine Diplomarbeit beschäftigte sich mit der Frage, warum Menschen trotz schwieriger Bedingungen in dieser Branche arbeiten. Verwunderlich war für mich, dass viele die Probleme kannten, aber nicht offen ansprachen. Ich wollte jenen eine Stimme geben, die aus Angst oder Abhängigkeit schweigen mussten. Besonders deutlich wurde mir die Notwendigkeit allerdings nach meiner öffentlichen Positionierung: Unzählige Betroffene aus verschiedenen Ländern meldeten sich vertraulich bei mir. Ihre Offenheit bestätigte nicht nur die Relevanz, sondern zeigte mir auch, dass die Thematik weit über die Branche hinaus gesellschaftlich tabuisiert bleibt.
Wie misst du den Erfolg deiner Initiative jenseits von Zahlen und Reichweite?
Für mich ist Erfolg, wenn Betroffene mir schreiben, dass sie sich endlich gesehen fühlen, beginnen offen über ihre Situation zu sprechen oder Veränderungen in ihrem Umfeld anstoßen. Wenn Modewochen mich zu Podiumsdiskussionen einladen, Universitäten internationale Vorträge ermöglichen oder Unternehmen ihre Strukturen hinterfragen, dann zeigt sich Wirkung. Es geht nicht um digitale Kennzahlen, sondern um gelebte Veränderungen. Mit jedem Projekt wächst das Interesse und die Bereitschaft zur Kooperation. Besonders wertvoll ist es, wenn Menschen zuhören, die früher das Thema ignorierten und sich mir nun Plattformen öffnen, um eine lange verdrängte Diskussion in Bewegung zu bringen. Ein großer Moment war zudem, dass ich von der UNESCO für meine Bildungsarbeit im Bereich Nachhaltigkeit als BNE-Akteur gelistet bin.
Was macht psychische Gesundheit in der Fashion-Industrie so besonders?
Die Modebranche lebt von Inszenierung, Perfektion und Geschwindigkeit. Dieses Umfeld erzeugt enormen Druck, stets reibungslos funktionieren zu müssen. Gleichzeitig sind Arbeitsverhältnisse unsicher, Schutzräume für offene Gespräche kaum vorhanden. Von der Produktion bis zum Endkonsum bleiben viele Beteiligte unsichtbar, während Werbebilder häufig Signale aussenden, nicht schön oder ausreichend zu sein. Dadurch verstärkt sich gesellschaftlich das Gefühl der Unzulänglichkeit. Die Ironie liegt darin, dass Konsum selten das gewünschte Zugehörigkeitsgefühl schafft – im Gegenteil, er hält Abhängigkeiten aufrecht. Diese Mischung aus äußerem Glanz und inneren Brüchen macht die Modewelt besonders anfällig für mentale Belastungen.
Wo siehst du die größten systemischen Ursachen für mentale Belastungen in der Fashion-Industrie?
Die Ursachen sind strukturell tief verankert. Unsichere Beschäftigungsverhältnisse, instabile Einkommensmodelle und fehlende psychologische Unterstützung gehören dazu. Hinzu kommen toxische Wettbewerbsdynamiken und eine Kultur, die kurzfristige Gewinne über langfristige Stabilität stellt. Besonders problematisch ist die Verherrlichung des sogenannten „kreativen Leidens“, die psychische Probleme romantisiert und verharmlost. Machtgefälle und Missbrauchsstrukturen verstärken diesen Druck zusätzlich. Es bedarf klarer Veränderungen im Fundament der Branche, um diesen Kreislauf zu durchbrechen. Nur wenn wirklich nachhaltige Rahmenbedingungen geschaffen werden, lässt sich verhindern, dass mentale Gesundheit systematisch untergraben wird.
Wen siehst du in der Verantwortung für Verbesserungen?
Verantwortung tragen viele Akteur:innen gleichzeitig. Große Marken müssen faire Strukturen schaffen, Ausbildungsstätten künftige Generationen entsprechend sensibilisieren, und Gesetzgeber klare Rahmenbedingungen setzen. Führungskräfte stehen in der Pflicht, gesunde Arbeitskulturen zu etablieren, anstatt ausschließlich auf Leistung zu achten. Ebenso spielen Medien eine zentrale Rolle, da sie Narrative prägen, während Investoren über ihre Entscheidungen Wandel beschleunigen oder blockieren können. Nicht zuletzt haben auch Konsument:innen Einfluss, indem sie Transparenz einfordern und bewusster konsumieren. Nur durch gemeinsames Handeln kann mentale Gesundheit zu einer echten Priorität werden – nicht zu einer nachrangigen Begleiterscheinung.
Wie kann man in einer Industrie, die oft von kurzfristigen Trends lebt, langfristig eine gesunde Unternehmenskultur etablieren?
Dauerhafte Veränderung gelingt nur, wenn seelisches Wohlbefinden fester Bestandteil der Unternehmensstrategie wird. Es braucht klare Werte, transparente Kommunikation und sichere Räume für Austausch. Berlin bietet hier interessante Möglichkeiten: eine junge, mutige Szene, die bereit ist, neue Modelle zu erproben. Mit meiner Bildungsarbeit knüpfe ich daran an, indem ich konkrete Maßnahmen für strukturellen Wandel vermittle. Wichtig ist, dass mentale Gesundheit nicht zum oberflächlichen Modephänomen degradiert wird – sonst drohen ähnliche Entwicklungen wie beim Greenwashing. Entscheidend ist, eine echte Kultur des Respekts und der Menschlichkeit aufzubauen, die unabhängig von Trends Bestand hat.
Wo liegen die Grenzen individueller Resilienz – und wo beginnt die Verantwortung von Arbeitgebern und Institutionen?
Resilienz darf nicht zum alleinigen Rezept erklärt werden. Kein Mensch kann dauerhaft gegen ein krankhaftes System bestehen, ohne Schaden zu nehmen. Unternehmen sind verpflichtet, faire, sichere und unterstützende Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu gehört auch, Belastungen ernst zu nehmen und präventiv zu handeln. Institutionen sollten Themen wie psychische Gesundheit systematisch in Ausbildung, Weiterbildung und Förderprogramme integrieren. Verantwortung ausschließlich bei Einzelpersonen abzuladen, ist nicht nur unfair, sondern führt in Sackgassen. Erst wenn Strukturen verändert werden, können individuelle Stärken sinnvoll zum Tragen kommen, ohne dass sie zur Kompensation für Missstände missbraucht werden.
Was können andere Branchen von der Modeindustrie im Umgang mit mentaler Gesundheit lernen – und umgekehrt?
Mode besitzt eine außergewöhnliche visuelle Kraft und erreicht Menschen auf emotionale Weise. Wenn sie Themen wie mentale Gesundheit sichtbar und verantwortungsvoll kommuniziert, kann sie Impulse weit über die Branche hinaus setzen. Gleichzeitig kann die Industrie von anderen Sektoren lernen, wie man gesunde Führungsmodelle etabliert, psychologische Sicherheit schafft oder konstruktiv mit Fehlern umgeht. Essenziell ist ein interdisziplinärer Austausch: Nur durch gegenseitiges Lernen lassen sich wirksame Lösungsansätze entwickeln, die sowohl den Menschen in kreativen Berufen zugutekommen, als auch in andere Arbeitswelten übertragen werden können.
Was macht die Fashion-Branche in Berlin aus?
Berlin ist roh, kreativ und politisch geprägt – eine Stadt, die Freiraum für Experimente und neue Erzählungen bietet. Die Szene ist vielfältig und weniger von alten Modehierarchien bestimmt, wodurch innovative Konzepte leichter entstehen können. Damit könnte Berlin ein geeigneter Ort werden, um neue Standards für eine gesündere Modewelt zu setzen. Gleichzeitig reicht lokales Engagement allein nicht aus. Mentale Gesundheit in der Mode ist ein globales Thema, das nur mit starken internationalen Partner:innen nachhaltig vorangetrieben werden kann. Deshalb positioniere ich meine Initiative bewusst weltweit, um Strukturen sichtbar zu machen, die je nach Land und Bereich unterschiedliche Auswirkungen auf Menschen haben.
Was sind deine nächsten Vorhaben?
Wir arbeiten an Workshops für Modeunternehmen, Trainings zur Sensibilisierung und am Ausbau der Kampagne. Ziel ist es, nicht nur Aufmerksamkeit zu schaffen, sondern konkrete Werkzeuge bereitzustellen. Berlin bleibt derzeit unser Ausgangspunkt und Resonanzraum. Die Bildungsarbeit an deutschen und internationalen Universitäten wird fortgeführt, und die Mental-Health-in-Fashion-Kategorie bei Diane Pernets ASVOFF Festival im Dover Street Market in Paris startet nach einem erfolgreichen Auftakt in die zweite Runde. Wo passende Worte fehlen, können Menschen Filme zum Thema einreichen, die auf dem renommierten Modefilmfestival gezeigt werden und so Impulse setzen. Außerdem finalisieren wir das von Projekt Zukunft geförderte Fotoprojekt „One person. One voice.“, bei dem während der Berlin Fashion Week Menschen fotografiert wurden und persönliche Statements zu Mental Health in Fashion abgeben. Parallel suche ich starke Partner:innen, da das Thema aus unterschiedlichen Ebenen angegangen werden muss und die Projekte entsprechende Ressourcen erfordern.
Was wünschst du dir für die Zukunft (bezogen auf das Thema – und auf dich und deine Arbeit)?
Ich wünsche mir, dass mentale Gesundheit nicht nur in Krisen Aufmerksamkeit erhält, sondern als fundamentaler Bestandteil von kreativer Arbeit, Innovation und verantwortungsvoller Führung verstanden wird. Persönlich möchte ich weiterhin Räume schaffen, in denen Menschen aufblühen, anstatt auszubrennen. Dabei setze ich bewusst auf kleine, kontinuierliche Schritte, die nachhaltigen Wandel ermöglichen. Besonders wichtig sind mir Kooperationen mit Partnerinnen und Partnern, die dieselben Werte teilen und ein echtes Interesse am Wohl von Menschen haben. Mit geeigneter Unterstützung – auch finanziell – lassen sich Projekte langfristig verankern und wirksam weiterentwickeln.
Wenn du drei konkrete Veränderungen in den Strukturen der Branche sofort umsetzen könntest – welche wären das?
Erstens: Verbindliche Standards für den Umgang mit psychischer Gesundheit in Unternehmen. Zweitens: Schutzmaßnahmen, um unbezahlte Arbeit von Freischaffenden zu verhindern und weltweit generell faire Löhne sicherzustellen. Drittens: Schulungen für Führungskräfte, die gesunde Teamführung fördern und achtsame Arbeitsweisen verankern. Diese drei Schritte würden unmittelbar spürbare Verbesserungen bringen – sowohl für Einzelpersonen als auch für die gesamte Kultur innerhalb der Branche. Sie schaffen nicht nur kurzfristige Erleichterung, sondern legen auch das Fundament für eine nachhaltig gesündere Arbeitswelt, die Kreativität und Menschlichkeit gleichermaßen ermöglicht.
Wenn wir in 10 Jahren auf die Branche blicken – wie sieht deine ideale „mentally healthy fashion industry” aus?
In einer idealen Welt sehe ich in zehn Jahren eine Modebranche, in der psychische Gesundheit selbstverständlich in allen Bereichen berücksichtigt wird. Arbeitszeiten werden respektiert, Vielfalt wertgeschätzt und Fehler nicht bestraft, sondern als Lernchancen genutzt. Menschen fühlen sich in ihrem Tun gestützt und geschätzt – sie arbeiten gern, weil sie als ganze Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Eine solche Kultur würde nicht nur das individuelle Wohlbefinden fördern, sondern auch Innovation und Kreativität nachhaltig stärken. Mir ist bewusst, dass der Weg in der Realität dorthin anspruchsvoll ist. Dennoch bin ich überzeugt, dass wir diesen Wandel gemeinsam erreichen können.

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