Adriana Groh, Head of Civic Tech bei Open Knowledge Foundation

Kategorie: Zukunftsköpfe

Adriana Groh, Head of Civic Tech bei Open Knowledge Foundation © Privat

Adriana Groh, Head of Civic Tech bei Open Knowledge Foundation

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Seit 2011 setzt sich die Open Knowledge Foundation Deutschland e. V. (OKF) für offenes Wissen, digitale Mündigkeit und den ethischen Umgang mit Technologien ein. Soeben hat der gemeinnützige Berliner Verein sein 10-jähriges Bestehen gefeiert. Wir haben mit Adriana Groh, Head of Civic Tech bei der Open Knowledge Foundation, über die spannenden Projekte der OKF, die Bedeutung von Open Data und das demokratische Potenzial von Technologien gesprochen.

Seit mittlerweile zehn Jahren setzt sich die OKF für offenes Wissen und demokratische Teilhabe ein. Mit Technologien und diversen Instrumenten, alles auf Open Source Basis. Wie hat sich die Organisation in dieser Zeit entwickelt?

DieOpen Knowledge Foundation ist komplett bottom-up gestartet. Zu Beginn gab es einfach eine Gruppe von Leuten, die tief in der sehr aktiven und auch aktivistischen Tech-Szene in Deutschland verwurzelt waren, also viel im Bereich Open Data gearbeitet und eigene Projekte losgetreten haben. Diese haben sich über ihr gesellschaftliches Engagement zusammengeschlossen und anfangs ehrenamtlich gearbeitet. Die OKF erwuchs dann peu à peu daraus. Das sagt viel darüber aus, wie unsere Organisation auch heute noch funktioniert, nämlich als ein Dach für viele spannende einzelne Projekte, die aus ihren jeweiligen Communities erwachsen sind.

Haben Sie ein Beispiel für solche Projekte?

Eigentlich sind alle Projekte der OKF Community-Projekte. „Jugend hackt“ ist z. B. ein Bildungsprojekt für Kinder und Jugendliche, die Interesse am Coden und schon erste Fähigkeiten darin haben. In diesem Jahr wird der „jugend hackt“ hackathon von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe im Rahmen der Open Data Berlin Strategie finanziell gefördert. Wir bringen sie über gemeinsame Events und Lern-Sessions zusammen, in denen sie nicht nur das Coden technisch erlernen, sondern auch, welche Möglichkeiten und Verantwortungen damit einhergehen. Unser Slogan ist „Mit Code die Welt verändern“. Wir möchten den jungen Technologieschaffenden von morgen schon ganz früh so eine Art Hacker-Ethik mitgeben.

Eines Ihrer Hauptziele ist Open Data. Welche Arten von offenen Daten gibt es denn? Und was zeichnet sie aus?

Häufig genutzt sind beispielsweise Geodaten, um Karten herzustellen, mit der Lage von Straßen, Gebäuden, Topographien etc. Da gibt es so tolle Anwendungen wie „OpenStreetMap“, die auch für die individuelle Nutzung bearbeitet werden können. Wenn ich zum Beispiel Rollstuhlfahrerin bin oder einen Kinderwagen schiebe oder mit dem Fahrrad darauf angewiesen bin, sehr gut und sicher von A nach B zu kommen, kann ich das auch individuell anpassen, wenn diese Daten offen zur Verfügung stehen.

Dann gibt es natürlich Finanz- und Haushaltsdaten der öffentlichen Hand mit Ausgaben und Einnahmen. Oder Informationen zu Finanzmärkten, oder wissenschaftliche Daten, die bei der Forschung entstehen. Wetterdaten, Kulturdaten mit Informationen über kulturelle Werke in Galerien, Bibliotheken, Museen, Archiven etc., oder auch Ratsinformationssysteme mit Daten aus lokalpolitischer Arbeit, aus Gremien oder aus der Gemeinde.

Und was ist die Idee hinter Open Data? Welche Bedeutung und Chancen sehen Sie darin für die Zukunft?

Kurz gesagt, ist Open Data in unserer digitalen Lebensrealität die Grundlage für ein funktionierendes politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches System. Wir müssen als demokratische Gesellschaft verstehen und wissen, was unsere Regierung tut und wie unsere Verwaltung arbeitet, damit Transparenz und demokratische Kontrolle gewährleistet werden. Aber auch, um Partizipationsmöglichkeiten zu geben und gute politische Entscheidungsfindung nachvollziehen zu können.

Das Gleiche gilt für die Wirtschaft und für andere gesellschaftliche Aktivitäten. Daten sind auch hier Schlüsselressourcen für ein gutes und erfolgversprechendes Wirtschaften. Sie treiben Innovationen maßgeblich voran und bilden die Grundlage für zukunftsfähige Unternehmen und Dienstleistungen. Wenn die Daten nicht offen sind, dann packen wir all diese Informationen und damit unsere Zukunftschancen in Silos und lassen sie darin verkümmern.

„Daten-Befreier*innen“ nennen sich viele bei uns in der Organisation. Wir arbeiten aktiv darauf hin, dass mehr Open Data zur Verfügung steht und es eine bessere Nachvollziehbarkeit gibt. Dass Daten zum Beispiel nicht als PDF bereitgestellt werden, weil man damit die Barrieren der Weiternutzung erhöht. Momentan befindet sich Deutschland im sogenannten Open Data Index erst bei 51 von 100 Punkten. Da ist also noch ein bisschen Luft nach oben, um es mal positiv zu formulieren.

Und was bewirkt Ihre Arbeit in der OKF im Hinblick auf Digitalisierung allgemein?

Dadurch, dass die OKF so divers in ihren Projekten ist, ist das schwierig zu beantworten. Aber ich kann ja mal ein paar Teilbereiche nennen. Wofür wir uns generell einsetzen, ist eine höhere Rechenschaftspflicht und Korruptionsvermeidung, indem wir ein offenes, transparentes und nachvollziehbares Regierungshandeln anregen.

Über das große Netzwerk von Code for Germany wurden mehr Möglichkeiten für Partizipation geschaffen, auch in der Vernetzung zwischen Mitarbeitenden von Verwaltungen und den aktiven digital affinen Communities vor Ort. Mit dem „Prototype Fund“ möchten wir aufzeigen, dass es auch in der Zivilgesellschaft viel Potenzial, Talent und Kompetenzen für digitale Innovationen gibt. Meist wird ja der Tisch nur besetzt mit Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Aber nicht selten ist es die Zivilgesellschaft, die den noch fehlenden Part mitbringt, um eine Entscheidung oder eine Innovation wirklich rund zu machen. Mit unseren sehr diversen Projekten zeigen wir, warum die Zivilgesellschaft für die Digitalisierung und die Zukunftsfähigkeit des Landes ein unabdingbarer Partner ist.

Und das von Ihnen geleitete Förderprogramm „Prototype Fund“, das Selbstständige und Freiberufler*innen dabei unterstützt, freie und offen verfügbare Open-Source-Software zu entwickeln. Können Sie kurz ein Beispiel für ein interessantes daraus entstandenes Berliner Projekt geben?

Die Idee für das Projekt kommt aus der „Code for Germany-Community“. Dort hat man erlebt, wie viele wahnsinnig innovative Civic-Tech-Ideen entstanden sind, dann aber auf einem GitHub-Repositorial liegen blieben, weil die Ressourcen fehlten. Mit dem „Prototype Fund“ verband sich die Idee, diese innovativen Open-Source-Technologieentwicklungen im Bereich Civic Tech, Data Literacy, Security und Infrastruktur zu fördern.

Das hat super funktioniert, gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, das mit dem Programm lernen möchte, wie sich mit öffentlichen Geldern Innovations-Förderprogramme bauen lassen, mit denen man ganz neue, hoch innovative Zielgruppen erreicht. Da wir das jetzt schon seit vier Jahren erfolgreich umsetzen, wurde das Projekt um vier weitere Jahre verlängert. Mit dem Gelernten können wir auch andere Förderprogramme in Deutschland beraten, wie man Tekkies am besten erreicht.

Ist dabei auch ein schönes Projekt für Berlin herausgekommen?

Da sind einige Sachen dabei. Eines wäre FixMyBerlin. Das Projekt kümmert sich mit cleveren digitalen Methoden um eine bessere Radinfrastruktur in Berlin. Das ist wichtig für Mobilitätswende und Klimaschutz, aber auch, weil Berlin für Fahrradfahrer ja nicht ungefährlich ist. Das Projekt wurde anschließend auch mit Mitteln des Bundesverkehrsministeriums, der Berliner Senatskanzlei und dem Berliner Startup-Stipendium gefördert.

Ein anderes Projekt, das nicht nur für Berlin funktioniert, heißt Pretix. Das ist ein datensparsamer Ticketshop für die Online-Organisation von Events. Damit haben zum Beispiel die Berliner Bäder im letzten Jahr ihren Ticketkauf gemanaged, als man wegen der Corona-Schutzmaßnahmen nicht mehr einfach so ins Schwimmbad gehen konnte.

Und schließlich haben Sie gemeinsam mit der Bundesregierung den Online-Hackathon „#WirVsVirus initiiert, an dem sich im März letzten Jahres zigtausend Menschen beteiligt haben, um virtuell Lösungen gegen das Corona-Virus zu erarbeiten. Wie ist das gelaufen?

Man kann eigentlich nichts anderes sagen, als dass es völlig irrwitzig war. Gleich nach dem ersten Lockdown haben wir am Sonntagabend miteinander gechattet. Dann von Sonntagabend bis Freitag eine Website gebaut, verschiedene Plattformen aufgesetzt, die Bundesregierung an Bord geholt und ein Konsortium von sechs Organisationen gebildet. Und dann eben diese 40.000 Anmeldungen von Mittwoch auf Donnerstagabend bewältigt. Das war natürlich ein ganz klares Zeichen von: zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtige Idee gehabt.

Natürlich macht man dann auch Fehler, und Sachen laufen schief. Normalerweise gibt's in solchen Fällen schnell den ersten Shitstorm oder Probleme mit einigen Teilnehmer*innen. Aber über dieses Wochenende war echt tolle Stimmung. Für viele war es eine Möglichkeit, aus einer Lethargie rauszukommen. Man fühlte sich ja so ein bisschen ins Passive versetzt. In der Situation anzubieten, mit kreativen digitalen Lösungen gegenzusteuern, war für viele auch psychologisch motivierend und hat ein bisschen Empowerment ausgedrückt.

War das eine einmalige Sache oder sehen Sie Chancen, so etwas noch einmal aufleben zu lassen?

Ich glaube, man kann das immer mal wieder super einbetten. Aber nicht alle Probleme lassen sich mit den gleichen Methoden lösen. So ein Hackathon ist kein Format, mit dem man wirklich Produkte entwickelt oder Veränderungen vorantreibt, weil man sonst das Rad wieder neu erfindet. Aber zu Beginn von Corona war das anders. Da konnte man wirklich innovativ sein, mal was ganz Neues erfinden.

Auch wenn wir die Verwaltungsdigitalisierung voranbringen oder das Gesundheitswesen verbessern wollen, kann man einen Hackathon einbinden. Aber eher, indem man in einem ersten Schritt tolle Ideen sammelt und die Menschen dann zusammenzubringt, um weiter daran zu arbeiten, anstatt mit einem weißen Blatt Papier anzufangen.

Sie arbeiten generell im Austausch mit einer großen Community. Wie läuft so eine Zusammenarbeit ab?

Eine solche Community ist dezentral. Das macht es teilweise schwierig für Verwaltung oder Politik, die Zivilgesellschaft bzw. diese digitale Community einzubeziehen. Weil sie nicht ganz genau wissen, an wen sie sich wenden sollen. Die OKF versucht daher auch, eine Art Kommunikationsbrücke zu sein, zwischen den verschiedenen Seiten. Unser Anspruch ist es, gezielt Angebote mit und für die Community zu schaffen sowie ihre Aktivitäten bestmöglich zu unterstützen, ohne großen Einfluss zu nehmen. Und natürlich die Vernetzung zu ermöglichen, zum Beispiel mit Code for Germany. Für uns ist die Community ein Riesenmehrwert, da sie uns einen Wissenspool an praktischer Erfahrung zu Open-Data-Projekten und zu Verwaltungsprojekten bietet. Das versuchen wir, über unsere Arbeit in die Community zurückzugeben.

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft. Was steht als nächstes Ziel bei Ihnen an?

Wir arbeiten gerade daran, ein Stück wegzukommen – vom reinen Fokus auf Innovationen und hinzudenken auf die Grundlagen. Wenn wir ein funktionierendes digitales Innovations-Ökosystem haben wollen, dann brauchen wir dafür auch eine gut funktionierende Infrastruktur. Dazu gehören gepflegte Protokolle, Bibliotheken und sichere Anwendungen. Denn offene Software wird oft zigfach verbaut und weiter genutzt, in großen wirtschaftlichen Dienstleistungen oder Produkten, aber auch von der Community, um darauf aufzubauen.

Bei offener Software muss man aufpassen, dass da nicht nur von unten nach oben gegeben wird, sondern auch von oben nach unten wieder etwas zurückkommt. Wenn Dinge frei verfügbar sind, dann werden sie natürlich weiter genutzt. Aber, wenn man das dann nicht pflegt und wartet, höhlt man sich von unten aus, um das einmal zu versinnbildlichen.

Es gibt da wunderbare Anekdoten von Menschen, die über Jahrzehnte mehr oder weniger unbezahlt zu Hause an ihrem privaten Laptop Sicherheitsprotokolle pflegen, von denen riesige E-Mail-Clients abhängig sind. Denn die müssen ja auch mal geupdated und weiterentwickelt werden. Wenn da etwas kaputt geht, sind die großen E-Mail-Programme, die wir alle nutzen, mehr oder weniger direkt betroffen. Das ist eine offene Software-Komponente, für die niemand so richtig zuständig ist. Ein tönerner Fuß, auf dem wahnsinnig viel draufsteht.

Neues zu machen, Innovatives zu entwickeln, macht natürlich immer Spaß. Das Alte in Kleinstarbeit zu pflegen, ist dagegen eine eher undankbare Fleißarbeit. Und gerade deswegen muss man dafür Ressourcen bereitstellen. Zeit, Personen und auch langfristig Mittel, weil einem sonst irgendwann alles auf die Füße fällt. Das ist Daseinsvorsorge für unsere digitale, damit aber auch sehr reale Welt.

Kontakt

Betül Özdemir

IKT-Wirtschaft, Open Data und Deep Tech Berlin

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