Deep Dive #20: Open Data als Erfolgsfaktor für Innovationen „made in Berlin“

Kategorie: Deep Dive

© Chris Liverani / Unsplash

Die BVG liebt ihre ÖPNV-Kund*innen und deren Vorliebe, sich tief in der Nacht durch Berlin fahren zu lassen – ganz Hauptstadt halt.Im Mai 2021 waren in Berlin 1,23 Millionen PKWs auf Privatpersonen zugelassen. Ein Rekordwert, der mit der Entwicklung der „Jelbi App“ zugunsten eines verringerten Verkehrsaufkommens in der Stadt geändert werden soll. Seit dem Start von „Jelbi“ im Juni 2019 bündelt die App Berlins ÖPNV- und Sharing-Angebote. Berliner*innen sollen durch effizientere Nutzung von ÖPNV- und Sharing-Diensten die Möglichkeiten klimafreundlicher Mobilität noch attraktiver gemacht werden.

Die „Jelbi App“ basiert auf den Fahrplan- und Echtzeitdaten des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB), die auf dem Open-Data-Portal des Landes Berlin zur kommerziellen Nutzung frei zur Verfügung gestellt werden. Als „Open Data“ bezeichnen Expert*innen Daten, die von jedermann/-frau genutzt, weiterverbreitet und weiterverwendet werden dürfen. „Mit ‚Jelbi‘ stellen wir immer das Mobilitätsangebot zur Verfügung, das man im Moment gerade benötigt, das sogenannte „multimodale Verkehrsangebot“: Mit der Bahn quer durch die Stadt, dann umsteigen auf das Rad durch den Kiez, später ein Auto mieten, für die Einkäufe oder aber auch einen Fahrdienst abends bestellen, auf dem Weg nach Hause“,erklärt Michael Bartnik, Projektleiter der „Jelbi-Stationen“ bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), die die App zur Verfügung stellen.

Über 30.000 Fahrzeuge von acht Mobilitätspartnern – Miles, Nextbike, Tier, Voi, Emmy, Taxi Berlin, BerlKönig und Mobileeee – können die aktuell 110.000 registrierten Nutzenden unkompliziert über die App buchen. Das Angebot von Jelbi stellt somit eine komfortable Alternative zum eigenen Auto dar. Nicht nur die 2019 mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichnete „Jelbi App“ greift auf die aktuellen Bus- und Bahn Fahrplandaten des VBB zu. Diese offenen Verkehrsdaten stehen allen Interessierten auf der VBB-Seite sowie der Open-Data-Plattform „daten.berlin.de“ des Landes Berlin zur Verfügung.

Open Data Berlin auf einen Blick

Seit der Veröffentlichung der „Berliner Open-Data-Strategie“ und dem Launch des Berliner Datenportals im Jahr 2011 ist der Bestand offener Daten in Berlin kontinuierlich gewachsen – u. a. auch, weil seit der Verabschiedung des Berliner E-Government-Gesetzes im Jahr 2016 Behörden der Berliner Verwaltung verpflichtet sind, ihre Daten auf dem Datenportal öffentlich zu machen.

Im Rahmen ihrer „Open-Data-Strategie“ wird die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (SenWEB) weiterhin die Nutzung der Daten der Verwaltung durch Akteur*innen der Berliner Wirtschaft fördern. Viele dieser Daten wurden bereits von lokalen Startups für innovative Produkte und Anwendungen verwendet. Das Potenzial der sich im Wachstum befindlichen Datenwirtschaft für die Ökonomie der Hauptstadt ist hierbei noch lange nicht vollständig erschlossen.

Unternehmen, Verbände und Startups bedürfen der Unterstützung bei der effektiven Nutzung der vom Land Berlin bereitgestellten Daten. Demgegenüber steht die Bereitschaft der Wirtschaft, eigene Daten als Open Data (auch „Open Corporate Data“ genannt) zur Verfügung zu stellen, etwa um Produkte bekannter zu machen oder ein digitales System passender Angebote zu erzeugen.

Zur Verdeutlichung: Bei geschätzt 30 Millionen Euro im Jahr liegt der volkswirtschaftliche Wert offener Daten für das Land Berlin. Für ganz Deutschland beziffert das Bundesministerium für Wirtschaft das Wertschöpfungspotential der Open-Data-Strategie auf mindestens 12 Milliarden Euro im Jahr und für die EU auf rund 140 Milliarden Euro pro Jahr.

Innovationstreiber Open Data

So sollen in der geplanten EU-Datenwirtschaft Daten frei fließen können, ähnlich einer fünften Binnenmarktfreiheit neben freiem Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. Dabei spielt die Überzeugung, dass Daten Quelle für Innovationen, höheren Wettbewerb, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze sind, eine herausragende Rolle.

Dass Unternehmen von größerer Datentransparenz profitieren und diese Offenheit den gesellschaftlichen Wohlstand steigern kann, davon sind mittlerweile nicht nur Expert*innen überzeugt: Von einer direkten Wirkung auf die regionale Wirtschaft, wie beispielsweise durch Sharing-Anbieter, gehen auch die Initiatoren der „Jelbi App“ aus.

Nicht nur zum Wohle der Bürger*innen gilt es die Bereitstellung sogenannter „Open-Government-Daten“ auszubauen, denn das Nutzungsrecht für offene Daten gilt ebenso für gemeinnützige Organisationen wie für Wirtschaftsakteur*innen. Einige Städte und Kommunen setzen Open Data als Instrument zur regionalen Wirtschaftsförderung ein. Vor allem Startups und Unternehmen der Digital-Wirtschaft entwickeln vielfach neue Dienste und Geschäftsmodelle auf Basis offener Verwaltungsdaten. Diese beziehen sich auf Daten, denen nicht nur ein hoher volkswirtschaftlicher Wert beigemessen wird, sondern die auch der Informationsfreiheit unterliegen. Diese Daten der öffentlichen Hand sind z. B. Geodaten und Landkarten, Wetterdaten, Satellitenbilder oder auch statistische Daten. Besonders sensible Daten wie personenbezogene Daten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden gesondert geschützt.

Umweltdaten beispielsweise werden für den Natur- und Artenschutz eingesetzt. Und unter Zuhilfenahme soziodemografischer Daten können Lösungen für spezifische Interessengruppen entwickelt werden. Im Folgenden ein paar herausragende Beispiele erfolgreich umgesetzter Open Data-Strategien:

„Gieß den Kiez“

Die „OpenStreetMap“ ist auch eine der Datenquellen, die bei der App „Gieß den Kiez“ im Einsatz ist: Trockene, heiße Sommer bedeuten nicht nur für Stadtbewohner*innen Anstrengungen, sondern lassen Bäume vertrocknen und verursachen langfristige Schäden. Um diesem Umstand entgegenzuwirken, ermutigt die Plattform Bürger*innen dazu, Patenschaften für Bäume zu übernehmen und diese zu gießen. Eine Aufforderung, der seit dem Start der App im Mai 2020 24.010 Bürger*innen nachkamen und 6.048 Bäume mit 716.400 l Wasser versorgten. Darüber hinaus adoptierten sie bis Ende Juli 4.735 Bäume.

„Wir zeigen, wie man aktiv etwas für seine unmittelbare Umgebung tun kann und genau das wollen viele Menschen auch gerne in einem Netzwerk, wie wir es bieten“,ist für Frauke Nippel, Pressesprecherin der Technologiestiftung Berlin, der Erfolg der App erklärbar. „Wir haben für dieses Herzensthema außerdem eine niedrigschwellige Anwendung geschaffen, die jede*r schnell verstehen kann.“, so Nippel.Möglich machen das neben Daten über Standorte öffentlicher Wasserpumpen aus der „OpenStreetMap“ allen voran Straßen- und Grünflächenämter (SGA), die Berliner Bäume erfassen und an das Grünflächeninformationssystem (GRIS), eine Geschäftsstelle der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Berlin (SenUVK) melden. Diese veröffentlicht die Daten jährlich in einem Baumkataster.

„Wann die Daten vollständig erfasst sein werden, lässt sich nur sehr schwer einschätzen, weil die Erfassung aller Straßen-Anlagenbäume extrem von den Kapazitäten der SGA abhängig sind“, so Nippel, fügt aber hinzu: „Das Berliner Baumkataster ist bereits eines der größten und vollständigsten Deutschlands!“

Die Anwendung lebt vom Engagement der Bürger*innen, die ihre Bäume gießen und darüber informieren, welcher Baum versorgt wurde. Das Grundprinzip der App ist so effektiv, dass am Tag des Baumes mit „Leipzig gießt“ das Grundprinzip der Berliner App in Sachsen adaptiert wurde. Mit Sicherheit nicht das letzte Mal, denn der Code steht auf Github Interessierten frei zur Verfügung.

Solarpotenziale erkennen – ein Energieatlas für die Hauptstadt

Die Verfügbarkeit energiebezogener Daten spielt für die ehrgeizigen Berliner Klimaschutz- und Energiepläne eine wichtige Rolle. Mit dem Energieatlas wird der Ist-Zustand der Berliner Energieversorgungsstrukturen abgebildet.Der „Energieatlas“ bietet Unternehmen unter Zuhilfenahme für Photovoltaik- und Solarthermieanlagen die Möglichkeit, Gebiete zu identifizieren, in denen sich der Aufbau von Photovoltaikanlagen aufgrund von Lage, Dachneigung und Sonneneinstrahlung lohnt. Die Daten werden in einer nutzerfreundlichen Oberfläche visualisiert und jeder/jedem zugänglich gemacht, wobei sie zukunftsperspektivisch ergänzt, gegenübergestellt und ausgewertet werden können.

Innovationen für den Immobilienmarkt

 „GeoMap“ kombiniert auf höchst effiziente Weise Verkehrs- und Immobiliendaten und vereinfacht die häufig herausfordernde Wohnungssuche. Durch die Angabe von bis zu drei Orten, die für den Alltag Wohnungssuchender wichtig sind, wie Arbeitsplatz, Wohnort oder Kindergarten, wählen Nutzer*innen noch die zumutbarste Pendlerzeit und die App berechnet die optimalen Wohnungsstandorte. Selbstverständlich können Nutzer*innen ihre Suche unter der Angabe von Preis, Zimmerzahl oder anderen Suchaspekten erweitern.

Die Anwendung mit Verknüpfungen von „OpenStreetMap“, Daten, Nahverkehrsdaten und Immobiliendaten von Immobilienscout24 ist ein gelungenes Beispiel für das Potenzial offener Daten aus Wirtschaft und Verwaltung.

Wheelmap – Barrierefreiheit für alle

Ein „Oldie“ unter den auf Open Data basierten Anwendungen ist seit elf Jahren „wheelmap.org“. Offen und frei – nach diesen Prinzipien agiert das Berliner Vorzeige-Projekt: „wheelmap.org“ ist eine interaktive Karte und kostenlose App zugleich. Sie basiert auf GeoDaten der „OpenStreetMap“, in der jede*r barrierefreie Orte finden, eintragen und über ein Ampelsystem die tatsächliche Barrierefreiheit bewerten kann. „Wir verstehen uns nicht als Monopolist*innen, sondern als Lobbyist*innen für freie, offene Daten und wollen so wenige personenbezogene Daten wie möglich von unseren User*innen. Insofern kann und soll jede*r ohne Registrierung auf der Plattform mitmachen können“, erklärte Gründer Raul Krauthausen gegenüber dem Enorm Magazin.

Das Konzept geht auf: Schon ein halbes Jahr nach ihrem Launch hatten Freiwillige über 40.000 Orte auf der Plattform bezüglich der Barrierefreiheit eingetragen. Täglich kommen über 300 neue Orte hinzu. Mittlerweile sind über eine Million Cafés, Bibliotheken, Schwimmbäder und andere Orte in aller Welt erfasst. „Als Berliner*in kann ich jetzt herausfinden, wo ich während eines Aufenthaltes in München meine Brezel essen kann, ohne draußen vor der Tür mit meinem Rollwagen kehrt machen zu müssen”, bringt es Krauthausen in einer Pressemitteilung auf den Punkt.

Ausblick

Aufgaben wie diese werden in Zukunft nur gelöst werden können, wenn „sie für jedefrau/jedermann kostenfrei über öffentliche Netze zugänglich und leicht auffindbar sind“, schreibt die deutsche Bundesregierung in der „Open-Data-Strategie“. Die aktive Weiterentwicklung des nationalen Metadatenportals „GovData“ und die Gewinnung weiterer Nutzer*innen sei dafür entscheidend.

Neben der Konkretisierung rechtlicher Rahmenbedingungen, der Etablierung von Fortbildungsangeboten und Plattformen, auf denen Lerninhalte zu Datenkompetenzen zur Verfügung stehen, sollen auch Best Practices entwickelt werden, wie Open Data zur Lösung sozialer, wirtschaftlicher und umweltpolitischer Herausforderungen beitragen kann.

Der Blick auf Berlin wird sich auf der Suche nach solchen Anwendungsbeispielen lohnen – auf Anwendungsbeispiele, wie sie in Berlin bereits heute zu finden sind.

In der Themenreihe “Deep Dive” gibt Projekt Zukunft regelmäßig Einblicke in aktuelle Technologien der Digital-, Medien- und Kreativwirtschaft und informiert über Akteure, Trends und Anwendungen aus Berlin.

Kontakt

Betül Özdemir

IKT-Wirtschaft, Open Data und Deep Tech Berlin

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