Faircado: Der nachhaltige Einkaufsassistent im Browser

Kategorie: Zukunftsköpfe

Gründer:innen von Faircado, Evoléna de Wilde d’Estmael und Ali Nezamolmaleki

© Mario Heller

Gerade online unterwegs, um Buch, Handy oder Fahrrad zu kaufen? Damit dabei nicht gewohnheitsmäßig oder aus Zeitdruck nur neue Produkte mit entsprechendem Ressourcenverbrauch im Warenkorb landen, haben Evoléna de Wilde d’Estmael und Ali Nezamolmaleki 2021 Faircado gegründet. Die Idee des Berliner Startups ist es, mit einer KI-basierten Browsererweiterung beim Online-Shopping simultan Secondhand-Alternativen für das aktuell gesuchte Produkt vorzuschlagen und so das Konsumverhalten zu verändern. Für diese Idee wurden die beiden Sozial- und Umweltaktivist:innen jüngst von der Bundesregierung als „Kultur- und Kreativpilot*innen“ ausgezeichnet.

Im Gespräch mit Projekt Zukunft haben Evoléna und Ali mehr über ihre Visionen und ihre ersten Erfahrungen erzählt, mit ihrem Berliner Startup das Shopping nachhaltiger zu gestalten.

Bahnbrechend und weitere Superlative habe ich gelesen … Eure Idee ist für Verbraucher:innen nicht nur genial einfach umzusetzen, sondern scheint auch gerade den richtigen Nerv zu treffen. Könnt ihr kurz die Vision eures Startups erzählen?

Evoléna: Ja, gerne. Heute werden weltweit pro Sekunde 9.023 Smartphones und das Äquivalent eines Müllwagens voller Kleidung weggeworfen. Das Kerngeschäft unserer Wirtschaft besteht ja nun mal darin, in großem Umfang natürliche Ressourcen in Abfall zu verwandeln. Um das zu ändern, wollen wir mit Faircado die weltweite Müllmenge reduzieren. Und zwar, indem wir den Übergang von unserer bislang linearen Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft beschleunigen. Weg von einer Wirtschaft also, die darin besteht, wertvolle Ressourcen zu entnehmen, zu verarbeiten, zu verwenden und dann einfach zu entsorgen, hin zu einer, die den Menschen und dem Planeten dient. Wir setzen bei Faircado Technologie ein, um unser aller Konsumverhalten zu ändern. Unser Ziel ist es, Secondhand-Produkte zur ersten Wahl der Verbraucher:innen zu machen.

Und wie funktioniert das genau?

Ali: Wir haben den ersten KI-gestützten Secondhand-Einkaufsassistenten entwickelt, der als Browser-Erweiterung funktioniert, für Chrome, Firefox und Edge. Konkret bedeutet das, dass Du ihn nur einmal kostenfrei auf Deinen Computer herunterladen musst. Und dann, wann immer Du online shoppen gehst, wird er auf jeder Website, die neue Produkte verkauft, automatisch in einer Ecke Deines Bildschirms aufpoppen − und die besten Secondhand-Alternativen für genau das vorschlagen, was Du gerade suchst.

Wir verwenden Künstliche Intelligenz (KI) und natürliche Sprachverarbeitung (NLP), um den Namen des Produkts, das Du kaufen möchtest mit allen Secondhand-Angeboten abzugleichen, die wir im Internet finden konnten. Das passiert in Sekundenschnelle.

Wie kam es zur Idee für Faircado? Mut zur Veränderung scheint ihr ja beide zu haben …

Evoléna: Ja, wir beide haben tatsächlich keine Angst vor Veränderungen! Ganz im Gegenteil. Veränderung ist das Einzige, was im Leben konstant ist. Man kann sie also entweder annehmen und die Zukunft aktiv mitgestalten oder die eigene Zeit damit verschwenden dagegen anzukämpfen.

Wir sind beide in ein anderes Land gezogen, haben uns beide in Deutsche verliebt, sind aus der Medien- und Politikbranche in die Startup-Welt gewechselt und haben beide vor Faircado schon unternehmerische Erfahrungen gesammelt …

Ali: Und wir beide kaufen die meisten unserer Sachen Secondhand. Die anfängliche Idee zu Faircado hatten wir, weil wir manchmal echt frustriert waren, dass es so zeitaufwändig, umständlich und unattraktiv war, etwas Bestimmtes aus Secondhand zu finden. In Deutschland gibt es mehr als 70 Plattformen, die ausschließlich Secondhand-Produkte verkaufen – zum Beispiel Elektronik, Bücher, Mode, Schmuck, Fahrräder, Autos, Kindersachen, Möbel.

Diese Vielfalt ist natürlich toll, aber jedes Secondhand-Produkt ist ja einzigartig. Wie findet man also, was man braucht? Bisher hat man sich entweder auf die ein oder zwei Plattformen beschränkt, die man kennt, dadurch aber möglicherweise das beste Angebot verpasst. Oder man hat stundenlang rumgescrollt. Mit Faircado bringen wir Secondhand-Shopping ins 21. Jahrhundert. Und machen nachhaltigen Konsum so einfach und attraktiv wie einen Neukauf.

Und wie hat sich das seit den Anfängen entwickelt?

Evoléna: Gegründet haben wir Faircado anfänglich ja nur zu zweit. Aus gemeinsamer Arbeit bei einem früheren Startup kannten wir die Fähigkeiten des jeweils anderen schon ganz gut und wussten, dass wir uns wunderbar ergänzen würden. Ali ist Softwareentwickler und hat viel Erfahrung in den Bereichen Produkt und Marketing. Er ist echt gut darin, große Ideen zu entwickeln und sich dann zu überlegen, wie man sie technisch umsetzen kann. Deshalb hat er als CTO die Produkt- und Technikentwicklung von Faircado übernommen. Ich habe einen Master in PR und Kommunikation und habe fünf Jahre lang im Bereich Business Intelligence und strategische Entwicklung in schnell wachsenden Startups in Berlin gearbeitet. Ohne es geplant zu haben, war dies eine perfekte Kombination von Erfahrungen, um CEO zu werden.

Manche Leute denken, dass man ein großes Team braucht, um eine Organisation erfolgreich zu machen. Aber unserer Erfahrung nach ist es besser, mit einem kleinen Team zu starten, das von Anfang an hart arbeitet, um wirklich flexibel und effizient zu sein. Seit unserem Start sind wir zu einem Team von zehn Personen gewachsen. Das ist eine aufregende Entwicklung für uns.

Und warum Berlin? 

Evoléna: Berlin ist eine unglaubliche Stadt zum Leben. Ich bin 2016 aus Belgien hierhergekommen, und Ali kam 2015 aus dem Iran. Beide haben wir uns schnell hier zu Hause gefühlt. Und trotz der Bürokratie ist Berlin auch ein guter Ort, um nachhaltige Unternehmen zu gründen. Hier gibt es ein starkes und wachsendes Startup-Ökosystem mit vielen Inkubatoren, Acceleratoren und Co-Working-Spaces, die Zugang zu Ressourcen, Netzwerken und Mentoring bieten. Und viele talentierte und hochqualifizierte Menschen, mit denen man leistungsfähige Teams aufbauen kann, gibt es auch. Außerdem ist Berlin bekannt für seine progressiven Ansichten zu sozialen und Umweltfragen, was ja perfekt zu den Werten der meisten nachhaltigen Startups passt.

Noch immer werden die meisten Waren gekauft, benutzt und entsorgt, ohne recycelt zu werden. Kreislaufwirtschaft soll nach Ansicht der Europäischen Kommission jedoch einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Was könnt ihr mit eurem Tool und damit auch die Verbraucher:innen dazu beitragen?

Evoléna: Die Ressourcen auf unserem Planeten sind nicht unendlich, und um die Zukunft nachhaltig zu gestalten, müssen wir lernen innerhalb seiner Grenzen zu leben. Das bedeutet: Weniger und besser zu konsumieren. Das, was wir bereits produziert haben, wiederzuverwenden und zu reparieren und natürlich, wenn etwas „Neues“ benötigt wird, erst einmal Secondhand zu wählen.

Ali: Mit der Technologie von Faircado bieten wir allen Verbraucher:innen die Möglichkeit, Zeit, Geld und CO2 zu sparen, indem sie ohne größeren Aufwand bessere Kaufentscheidungen treffen können.

Der Download der Software ist kostenlos, sie finanziert sich durch Anteile des vermittelten Kaufpreises. Das scheint bereits jetzt gut zu funktionieren?

Ali: Ja, wir arbeiten bereits mit über 50 Marktplätzen zusammen, darunter Vestiaire Collective, eBay, Rebuy, Back Market, Vinokilo und Refurbed. Gerade haben wir die Kategorie Bekleidung gestartet, sodass Faircado jetzt rund zehn Millionen gebrauchte Artikel zusammenstellen kann. Dazu gehören Elektronik, Bücher, Taschen, Kleidung, Schuhe und Accessoires.

Und was habt ihr im gerade begonnenen 2023 vor?

Evoléna: Eine ganze Menge! Wir sind ja gerade auf dem besten Weg, den Konsum der Zukunft zu verändern, daher steht in diesem Jahr eine Menge auf unserer To-do-Liste. Neue Partner, neue Produktkategorien, neue Märkte, neue Funktionen ... Wir werden alles tun, um unsere Technologie und unsere Community weiterzuentwickeln − und damit unseren positiven Beitrag zu vergrößern. Wenn es zu einfach wäre, würde es ja keinen Spaß machen, oder?

Ali: Genau!

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

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