Gülsah Wilke, Gründerin von 2hearts

Kategorie: Zukunftsköpfe

Gülsah Wilke, Gründerin von 2hearts

© Patrycia Lukas

22 Prozent der Gründerinnen und Gründer eines Startups haben einen Migrationshintergrund. Sie sind also entweder selbst im Ausland geboren oder ihre Familie ist in einem anderen Land verwurzelt. Doch trotz hervorragender schulischer und akademischer Leistungen werden viele junge Menschen mit Migrationshintergrund in ihrer Karriere ausgebremst. Oft fehlen ihnen Mentor:innen, die beim Start hilfreich sind, oder das richtige Netzwerk. Ein häufiger Grund: ein andersklingender Name oder das falsche Aussehen.

Um Studierende, Job-Anfänger:innen oder Gründer:innen zu unterstützen und gerade am Anfang aktiv zu begleiten, haben Gülsah Wilke, Business Angel und Chief Operating Officer bei Ada Health, Iskender Dirik, Business Angel und Venture Partner bei EQT Ventures, Oktay Erciyaz, früherer M&A-Chef bei Bertelsmann, sowie Min-Sung Sean Kim, Managing Partner beim neuen Fonds Digital Health Ventures, im Februar 2021 die Organisation 2hearts gegründet. Der gemeinnützige Verein bietet vor allen Dingen ein umfangreiches Mentor:innenprogramm an, dessen Herzstück die Slack Community ist. In der Gruppe tauschen sich die Mitglieder aus, geben Feedback und informieren sich gegenseitig über Jobs.

Am 31. Mai feiert der Deutsche Diversity-Tag sein zehnjähriges Jubiläum und ist unter dem Motto „Let’s celebrate Diversity“ angetreten. An diesem Tag werden Organisationen dazu aufgerufen, sich für Vielfalt einzusetzen und ein gesellschaftliches Bewusstsein für Vielfalt zu schaffen. Bereits 4.600 Unternehmen und Institutionen haben die Charta der Vielfalt unterzeichnet und bekennen somit #FlaggeFürVielfalt im Arbeitsumfeld.

Wir haben mit Gülsah Wilke anlässlich des Deutschen Diversity-Tags über die nach wie vor vorhandenen Stolpersteine von Menschen mit Migrationshintergrund in der Tech-Szene gesprochen und wie 2hearts eben diese Diversität innerhalb der Technologiebranche vorantreiben möchte.  

Warum haben es Frauen – und vor allen Dingen Frauen mit Migrationshintergrund – nach wie vor schwer in der Tech-Szene?

Obwohl Frauen ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, spiegelt sich dies noch immer nicht annähernd in der Tech-Szene wider. Nach wie vor machen Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund eine Minderheit aus. Dies führt dazu, dass sie es in vielen Schlüsselsituationen, wie beispielsweise bei der Jobsuche, bei der Gründung und/oder beim Fundraising, schwerer haben, als ihre männlichen Counterparts.

Studien besagen, dass wir Menschen gerne Menschen einstellen, zusammenarbeiten oder (finanziell) unterstützen, die uns ähnlich sind in Bezug auf Herkunft, Geschlecht oder Aussehen. Wenn dies nicht der Fall ist, tritt der sog. „Unconscious Bias“ ein. Diese unterbewussten Vorurteile machen es Menschen, die einer Minderheit in einem gewissen Bereich entsprechen (z.B. Frauen und oder Menschen mit Migrationshintergrund in der Tech-Szene) schwerer gleiche und faire Startchancen zu haben.

Welche sind Ihrer Meinung nach die größten Stolpersteine?

Es sind die Schlüsselsituationen, wie die Jobsuche, Gründung eines Startups, Fundraising und Partnership-Verhandlungen, bei denen es bereits die Startschwierigkeiten gibt. Selbst wenn man ein Super-Studium abgeschlossen hat, öffnen sich nicht automatisch Türen. Und das nur, weil die Absolvierenden ein anderes Aussehen, einen fremd klingenden Namen oder eine andere Herkunft haben. Frauen haben es hier noch einmal doppelt so schwer.

Vielen fehlt das richtige Netzwerk und Mentor:innen, die einen gerade zu Beginn unterstützen und Mut machen.


Wie hoch sehen Sie generell die Aufstiegs- und Karrierechancen von Migrant:innen? Oder kann man das gar nicht so pauschal beantworten?

Es wird immer besser, da sehr viele Unternehmen und die Regierung das Potential von Migrant:innen immer mehr erkennen und entsprechend strukturell und finanziell unterstützen – durch spezielle Initiativen und Programme.

Und es wird Zeit, denn: Laut einer OECD-Studie hat jedes dritte Kind unter 18 Jahren einen Migrationshintergrund. Das sind knapp 20 Millionen Menschen. Diese kommen jedoch wiederum überdurchschnittlich oft aus sozialen Unterschichten. Und hier muss man ansetzen. Denn wir können es uns als Deutschland einfach nicht leisten, dieses große Potenzial zu ignorieren und „auf der Straße liegen zu lassen“.

Wie wollen/können Sie das mit 2hearts ändern?

Es braucht immer mehr Netzwerke, um diesen Jugendlichen und Talenten zu helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen. Genau da setzt 2hearts an. Die Vision ist: “Building Tomorrow’s Tech Society in Europe with Cultural Diversity”. Dies gelingt durch ein Mentoring Programm, wo diesen Talenten mit Migrationshintergrund erfahrene und erfolgreiche Mentor:innen aus der Tech-Szene zugeordnet werden. Diese haben häufig ebenfalls einen Migrationshintergrund und ähnliche Erfahrungen am Anfang ihrer Karriere gemacht – sie können praktisch aus erster Hand helfen. Zudem steht den Gründer:innen ein Netzwerk (Slack Community) von über 1.000 Mitglieder:innen und Gleichgesinnten zur Verfügung, wo sie sich gegenseitig unterstützen, helfen und austauschen können.

Jeder/jede fünfte Gründer:in in Deutschland hat einen Migrationshintergrund – dennoch scheitern viele an der Bürokratie und anderen Barrieren, wie beispielsweise bei der Finanzierung. Auch in der Startup-Metropole Berlin. Was muss sich hier dringend ändern? Und wo können Sie hier Schützenhilfe leisten?

Angesichts des aktuellen Krieges in Europa ist es wichtiger denn je, über die Möglichkeiten der Migration und ihre wirtschaftliche und kulturelle Relevanz zu sprechen. Unternehmer:innen mit Migrationshintergrund spielen in Deutschland und Europa eine zentrale Rolle – denn wie Sie schon sagten: Jeder/jede fünfte Gründer:in in Deutschland hat einen Migrationshintergrund.

Was diese Menschen so einzigartig und attraktiv macht, ist ihr hervorragender Bildungshintergrund, ihre Belastbarkeit und ihr hoher Ehrgeiz. Die größte Herausforderung für #migrantfounders bleibt jedoch das häufig fehlende Netzwerk und der Zugang zu Kapital sowie die Bürokratie bei Visa- und Unternehmensverwaltungsprozessen.

Sie wollen junge Talente fördern und haben ein Mentorship Program ins Leben gerufen – können Sie mehr darüber erzählen?

Das Mentorship Program ist das Herzstück der 2hearts Community. Studien bestätigen, dass eine Mentorin oder ein Mentor das Leben eines Menschen verändern, bzw. positiv beeinflussen kann. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung, da ich in meinem Leben Vorbilder und Mentor:innen hatte, die mich auf meinem Weg begleitet und ermutigt haben.

Für mich persönlich war und ist meine Mutter mein größtes Vorbild, Inspirationsquelle und Mentorin. Warum? Weil sie eine der stärksten Frauen ist, die ich kenne. Mit nur neun Jahren hat sie fünf Jahre lang in der Türkei auf ihre Geschwister aufgepasst, während ihre Eltern (meine Großeltern) als Gastarbeiter in Deutschland arbeiteten und ihre Kinder nicht mitbringen durften. Während dieser Zeit sah sie nur einmal im Jahr ihre Eltern und kam dann mit 14 Jahren nach Deutschland – ohne Deutschkenntnisse. Sie selbst konnte gerade einmal ihren Hauptschulabschluss machen. Trotzdem tat sie alles, um ihre Töchter zu unterstützen und zu betreuen: „Eines Tages werdet ihr es besser haben, studieren und erfolgreiche, unabhängige Frauen werden“, hat sie immer gesagt.

Im Laufe meines beruflichen Werdegangs begegnete ich dann einigen weiteren Mentor:innen, die mir sehr geholfen haben. Dafür bin ich bis heute sehr dankbar.

Genau hier setzt 2hearts an: Wir wollen Talenten mit Migrationshintergrund sowohl Mentor:innen und Vorbilder mit Migrationshintergrund an die Seite geben, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und viele Gemeinsamkeiten haben, aber auch Mentor:innen ohne Migrationshintergrund, die ihnen Zugang zu Netzwerken geben können.

Am 31. Mai findet zum zehnten Mal der Deutsche Diversity-Tag statt. Sind Sie dort ebenfalls vertreten? Warum ist eine solche Veranstaltung wichtig? Was erwarten Sie von einem solchen Event?

Ich bin fest davon überzeugt, dass solche Veranstaltungen und Tage sehr wichtig sind, um noch mehr Bewusstsein für das Thema Diversity, die Herausforderungen und Chancen zu schaffen. Dennoch sollte dies über solche Tage hinausgehen und mehr als selbstverständlich angesehen werden. Wir haben Gleichberechtigung erreicht, wenn solche speziellen Tage nicht mehr notwendig sind.

Berlin nimmt einen immer höheren Stellenwert in der Tech-Szene ein. Was macht die Stadt für Gründer:innen so attraktiv?

Zum einen ist es natürlich die Internationalität und Offenheit der Stadt und, dass mit Englisch als erster Sprache eine niedrige Eintrittsbarriere geschaffen wird. Und auch wenn es sich langsam wandelt, Berlin hat im Gegensatz zu anderen Großstädten immer noch verhältnismäßig niedrige Lebenshaltungskosten. Zum anderen hat Berlin bereits eine sehr starke Tech- und Start-up-Szene vorzuweisen, die Erstgründer:innen hilft, Zugang zu Netzwerken, Expert:innen und Kapital zu erhalten. Nicht zu vergessen: die Regierungsnähe.

Wo sehen Sie 2hearts in fünf Jahren? Was wünschen Sie sich von der Politik?

Ich sehe Europas größte Tech Community, die sichtbar die Startvoraussetzungen und Zugänge für Talente und Gründer:innen mit Migrationshintergrund in ganz Europa verbessert hat und ihre Aktivitäten global ausbaut. Von der Politik wünsche ich mir eine enge Zusammenarbeit und gemeinsame Maßnahmen zur Förderung von Talenten und Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

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