The Changency: Musik und Klimaschutz im Herzen

Kategorie: Digitalwirtschaft

The Changency Gründerinnen Katrin Wipper und Sarah Lüngen

© Nadine Kunath

Die Anreise Tausender Fans, Energieverbrauch für Wasser, Catering und Technik und teils gigantische Müllberge: Der ökologische Fußabdruck auf Konzerten und Festivals kann enorm sein. Wo das meiste Verbesserungspotenzial für Bands, Veranstalter und Konzertbesucher:innen steckt, sozial und ökologisch nachhaltiger zu agieren, zeigen Katrin Wipper und Sarah Lüngen mit ihrer Berliner Agentur The Changency, die sich als Katalysator für den Wandel hin zu einer klimafreundlichen und nachhaltigen Live-Musikindustrie versteht.

„Unsere Herzen schlagen für Musik und Klimaschutz”, erzählt Katrin Wipper gleich zu Beginn unseres Gesprächs, denn diese Kombination hat die beiden Gründerinnen zusammengebracht. In der Corona-Pandemie, als die Musikbranche in Zwangspause darniederlag, lernten sie sich bei einer Weiterbildung im Nachhaltigkeitsmanagement kennen. Online, versteht sich. „Das war Freundschaft auf den ersten Blick“, sagt Sarah Lüngen. „Und als gemeinsames Abschlusskonzept haben wir uns das wissenschaftliche Experiment ‚Plant a Seeed‘ ausgedacht.“ Diese Idee, für den Klimaschutz die CO2-Abdrücke von Großevents zu erfassen, stellten sie dann der Berliner Band vor. Die war begeistert. Und schon war der Grundstein für The Changency gelegt.

Seitdem arbeiten Katrin und Sarah in diversen Projekten konkret daran, wie Konzerte und Festivals klima- und ressourcenschonender umgesetzt werden können. Dazu gehören CO2-Bilanzen, Konzepte, individuelle Beratung und Kommunikationskampagnen. Know-how und Kontakte bringen sie aus ihrer langjährigen Arbeit in der Musikbranche mit. Katrin kommt aus Booking, Produktion und Tourmanagement. Sarah machte Kommunikationskampagnen und Pressearbeit unter anderem für Melt Festival, Splash Festival, Meltbooking, Rolling Stone, Musikexpress und Virgin Records.

Pionierarbeit: Erstmals Zahlen, Daten und Fakten zu Nachhaltigkeit von Musikevents

Dennoch ist für die beiden Musikbranchen-Profis Vieles, was sie heute bewegen, echte Pionierarbeit. Denn als sie 2021 mit The Changency begannen, gab es keine Erfahrungswerte, was in der Branche sozial und ökologisch wirklich nachhaltig funktioniert. Zahlen, Daten und Fakten zu den größten Umweltsünden schon gar nicht. 

Die wissenschaftliche Studie „Plant a Seeed“ im Sommer 2022 in der Berliner Wuhlheide, in Zusammenarbeit mit der Berliner Hochschule für Technik (BHT) und gefördert von der Initiative Musik, war tatsächlich Neuland. Fünf Tage lang wurden auf ausverkauften Seeed-Konzerten Daten erfasst und das Besucher:innen-Verhalten von je rund 17.000 Menschen dokumentiert. „Wir wollten konkret aufzeigen, in welchen Bereichen welche CO2-Mengen entstehen. Und auch, welche Hebelwirkung Konzerte haben können“, erklärt Sarah. 

Klimaschutz bei Anreise und auf dem Teller

Nach diesem Auftakt, zack, ging es los mit enorm viel Resonanz, sowohl in den Medien als auch bei Musiker:innen, Booking-Agenturen, Veranstaltenden, Labels und Managements. „Sehr schnell hatten wir viele Aufträge aus der Musikbranche“, erzählt Sarah. Ob es eine Klimabilanz war, eine Berechnung der CO2-Produktion des Orchester des Wandels, eine Zusammenarbeit mit dem PULS Open Air oder mit der Produktionsfirma und dem Management hinter den beiden Bands Die Toten Hosen und Die Ärzte beim Labor Tempelhof in Berlin. Auch bei Konferenzen waren sie eingeladen, beispielsweise als Impulsgeberinnen bei Musikdialog im Hamburger Rathaus, beim Reeperbahn Festival oder beim Verband Deutscher Musikverleger. 

Deutlich zeichnet sich aus den bisherigen Erfahrungen ab, dass das Gros von Ressourcenverbrauch und schädlichen Emissionen mit insgesamt rund 80 Prozent in den Bereichen Gastronomie, Energie und Mobilität anfällt. Ergo gehören zu den Maßnahmen, die The Changency bei sämtlichen Veranstaltungen durchdekliniert, eine klimafreundlichere Anreise der Fans, ein Umstieg auf Ökostrom und mehr Energieeffizient bei den Veranstaltern, ökologisches Merchandise sowie eine Umstellung der Gastroangebote hin zu mehr pflanzlichen Speisen.

Klimabilanz besser greifbar machen

Dabei plädieren die beiden aber statt mahnenden Zeigefingern für Motivation und das Aufzeigen von Chancen durch kreative Ideen und Lösungen. „Die Klimakrise ist ja alles andere als ein leicht verdauliches Problem“, sagt Katrin. „Die meisten Menschen sind dankbar dafür, zu sehen, dass sich etwas bewegt, dass es Lösungen gibt. Und das mit einem positiven Ansatz von Empowerment und Inspiration.“ Das kann auch sehr kleinteilig werden. So haben sie auf Konzerten beispielsweise die Klimabilanzen der einzelnen angebotenen Gerichte ausgerechnet und das klimafreundlichste ausgezeichnet. „Wichtig ist es uns auch, die Klimabilanz besser greifbar zu machen. Daher haben wir konkret umgerechnet: Wenn ein Essen 1,5 Kilogramm CO2 verursacht hat, dann wäre das zum Beispiel äquivalent mit 120 Kilometern mit dem Zug, zum Beispiel von München nach Regensburg.“

Erste Zahlen der „Plant a Seeed“-Studie belegen, dass für mehr als zwei Drittel der befragten Besucher:innen ein rein vegetarisches und für die Mehrheit auch ein rein veganes Angebot auf Konzerten in Frage kommt. Auch die Bereitschaft für nachhaltiges Essen mehr zu zahlen scheint da zu sein. Zukunftsweisende Veranstaltungen, die das Catering zu 100 Prozent vegan-vegetarisch anbieten, gibt es bereits. „Auch bei den Gastroanbieter:innen ist Offenheit dafür da“, sagt Katrin. „Und wer es gut macht, hat nicht nur keine Umsatzeinbußen, sondern kann vielleicht sogar höheren Umsatz generieren.“

„Nicht mehr viel Zeit, um das Ruder herumzureißen.“

Auch für 2023 haben Sarah und Katrin mit The Changency größere Projekte in Planung. „Ein wichtiger Teil unserer Vision ist ein systemischer Wandel der Gesellschaft. Relativ schnell haben wir festgestellt, dass es neben individueller Nachhaltigkeitsberatung wichtig ist, mit Leuchtturmprojekten andere zu inspirieren, um einen Schneeballeffekt loszutreten“, sagt Sarah. „Das schafft man natürlich eher mit wirklich großen Projekten, die Strahlkraft besitzen. Nicht, weil wir größenwahnsinnig sind, sondern einfach, weil wir im Zuge der Klimakrise nicht mehr viel Zeit haben, das Ruder herumzureißen.“

Auf Gleichgesinnte und Unterstützung für ihr Engagement treffen sie glücklicherweise oft. Im letzten Jahr beispielsweise haben sie die Auszeichnung „Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland” der Bundesregierung bekommen. Das brachte nicht nur mediale Beachtung, sondern auch ein Jahr lang professionelle Coaching-Begleitung mit sich. „Dadurch sind wir auch mit den 31 anderen Start-ups und deren inspirierenden Projekten in Kontakt und kommen an Workshop Wochenenden zusammen. Es hilft total, zu merken, dass wir mit unseren Konzepten nicht allein auf weiter Flur sind, sondern andere Menschen in die gleiche Richtung arbeiten“, sagt Katrin und ergänzt: „Das hat sich am letzten Wochenende so angefühlt, als ob wir alle noch irgendwie Punks im Herzen sind – aber No Future war gestern, heute sehen wir die Zukunft grün.“

Changency-Website: https://www.the-changency.de/

Website zum Projekt „Plant a Seeed“, auch mit Studienergebnissen: https://www.plantaseeed.de/

Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland: https://kultur-kreativpiloten.de/titeltraeger/the-changency/

Kontakt

Nadja Clarus

Musikwirtschaft

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