Vreni Jäckle und Nina Lorenzen, Co-Founder der „Fashion Changers”

Kategorie: Zukunftsköpfe

Co-Gründerinnen Nina Lorenzen, Vreni Jäckle und Jana Braumüller von Fashion Changers

©️ Emilie Elizabeth

80 Prozent aller Erwerbstätigen in der Modeindustrie sind Frauen. Sie sind in allen Sektoren der Wertschöpfungskette zu finden: Sie bauen die Materialien an, ernten sie, verarbeiten sie, stellen sie zu und verkaufen sie. Auf allen Ebenen erleben sie bis heute enorme Unterschiede zu und Diskriminierung gegenüber ihren männlichen Kollegen: Sie haben keine richtigen Arbeitsverträge, arbeiten unter prekären Bedingungen, werden Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt, werden beschimpft oder belästigt. Beschwerdemechanismen gibt es kaum. Eine Besserung scheint nicht in Sicht, im Gegenteil: Laut eines aktuellen Berichtes von Amnesty International hat sich deren Lage weltweit eher verschlechtert. Strengere Abtreibungsgesetze in vielen Ländern, die Machtergreifung der Taliban und nicht zuletzt die gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie haben überproportionale Auswirkungen auf die Rechte von Frauen* und Mädchen*. Und auch in Deutschland ist die Liste der Missstände 2022 lang. Sie reicht von unbezahlter Care-Arbeit bis zur mentalen Belastung (mental load). Wir haben mit Vreni Jäckle und Nina Lorenzen, Co-Founder der Fashion Changers”, anlässlich des Equal Pay Day und des Weltfrauentags über den Status von Frauen* und Mädchen* in der Modeindustrie gesprochen und auch darüber, wie dieser zu verbessern ist.

Der Equal Pay Day fiel dieses Jahr in Deutschland auf den 7. März, also auf den Tag vor dem Internationalen Frauentag. In der Modeindustrie arbeiten zu etwa 80 Prozent Frauen. Wie nehmt ihr deren Bedingungen wahr – oder anders gefragt, wann wäre denn deren Equal Pay Day?

Berechnungen zu einem Equal Pay Day in der Modeindustrie kennen wir so nicht. Die 80 Prozent Frauen teilen sich ja auch auf viele Länder auf, mit unterschiedlichen Lohnstrukturen – und der Equal Pay Day, sofern es ihn gibt, ist ja in jedem Land zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt. Dazu können wir keine Aussage treffen. Aber Niedriglöhne betreffen vor allen Dingen Teile der Lieferketten, in denen Frauen arbeiten, wie in Nähereien am Anfang der Lieferkette oder zum Beispiel auch im Einzelhandel (knapp 70 Prozent in Deutschland) auf der anderen Seite der Kette.

Die Arbeitsbedingungen in der Modebranche – vor allem am Anfang der Lieferkette –, die mehrheitlich Frauen betreffen, entwickeln sich leider nicht zum Guten. Mit der Pandemie lag mit einem Mal sehr viel Aufmerksamkeit auf den sozialen Bedingungen in der Modebranche – die ist inzwischen wieder etwas abgeklungen, aber die Probleme sind noch da. Und sie wurden durch die Pandemie noch verstärkt. Dass Unternehmen zum Beispiel ihre Auftragsvolumen schnell hoch und schnell runter fahren ist ein schon länger bekanntes Problem. Mit der Pandemie gab es Auftragskündigungen, aber in einem neuen, viel größeren Ausmaß. Manche Textilarbeiterin wurde bis heute nicht bezahlt. Die Kampagne #PayYourWorkers macht auf diesen Missstand andauernd aufmerksam. Allen, die sich zur konstanten Unterbezahlung von Textilarbeiter:innen und die Zusammenhänge mit der Corona-Pandemie informieren möchten, empfehlen wir außerdem gerne den Report „Still Un(der)paid“ der Clean Clothes Campaign.

Was wir ebenfalls immer wieder mit Aktivist:innen oder NGOs besprechen: Was wir vom Equal Pay Day in Deutschland kennen, trifft auch auf die Modebranche zu. Hier werden Machtpositionen häufig an Männer vergeben. Sie verdienen dann mehr, die Frauen, die ihnen unterstellt sind, weniger. Das kann zum Beispiel bedeuten: eine Näherin ist einem Aufseher in der Fabrik unterstellt. Dazu kommt, dass Machtpositionen natürlich auch zu Machtmissbrauch führen können – es gibt nach wie vor das dringende Bedürfnis, Textilarbeiter:innen vor sexueller Belästigung und Übergriffen zu schützen. Außerdem sind die meisten Frauen in diesen Positionen nicht rechtlich abgesichert, weil sie keine richtigen Arbeitsverträge haben.

Gibt es auch positive Entwicklungen in Richtung Feminismus und Gleichberechtigung in der Branche?

Feminismus spielte in den letzten Jahren insofern eine Rolle, als dass eine Art Druck entstanden ist, sich zu äußern – ein neues gesellschaftliches Klima, in dem Feminismus einfach kein Randthema mehr war. Mehr und mehr Unternehmen verstehen, dass sie sich bei Diskussionen um Gleichstellung und Inklusion nicht rausnehmen können oder sich rechtfertigen müssen, wenn sie es doch tun. Zalando hat 2021 zum Beispiel einen Diversitäts- und Inklusionsbericht veröffentlicht. Im Vorstand sitzen bisher trotzdem nur zwei Frauen und vier Männer. Davor hatte Zalando 13 Jahre lang einen rein männlichen Vorstand. Es geht also sehr langsam voran und meistens nur mit vorangegangenem (externen) Druck. Dass Feminismus in der Modebranche oft immer noch relativ oberflächlich behandelt wird, sieht man auch daran, dass sehr viele Fast-Fashion-Unternehmen feministische Statement-Shirts rausgebracht haben, gleichzeitig aber kein feministisches Leadership oder auf Gleichberechtigung ausgelegte Strukturen haben. Wenn am Ende die Menschen in der Lieferkette immer noch nicht ordentlich bezahlt werden, nützt ein feministisches Statement wenig. Wir würden also sagen: die Modebranche muss sich inzwischen viel mehr zu Themen rund um Gleichberechtigung und Feminismus verhalten, ist aber nach wie vor sehr inkonsequent, wenn es darum geht, feministisches Denken wirklich zu etablieren. Ein weiteres, noch relatives junges Beispiel ist da auch H&M, die immer wieder empowernde Marketing-Kampagnen haben, aber erst kürzlich Schlagzeilen gemacht haben, weil sie in größerer Zahl Mütter entlassen haben, da diese nicht bis abends um 21 Uhr noch in den Läden stehen konnten.

Als positives Beispiel, was die Besetzung mit Frauen angeht, ließe sich der Fashion Council Germany nennen, die ihr Präsidium mit mehr Frauen als Männern besetzt haben.
Es gibt in der Branche insgesamt allerdings nach wie vor die Diskrepanz, dass zwar circa 80 Prozent der Konsumgüter von Frauen gekauft werden, sie aber weniger als ein Viertel der Führungspositionen besetzen.

Bei unserer Fashion Changers Konferenz waren viele überrascht, dass wir „so eine hohe Frauenquote“ bei den Speaker:innen haben. Das wird immer wieder mal bemerkt. Dabei arbeiten ja so viele Frauen in der Mode und haben die entsprechenden Expertisen. Und, das will an dieser Stelle auch gesagt sein: Wenn wir immer noch andauernd über die Verteilung von Männern und Frauen reden, kommen wir gleichzeitig nicht darüber hinaus. Das Ziel sollte ja nicht nur eine hohe Frauenquote sein, sondern generell Diversität. Feminismus sollte auch immer intersektional sein.

„Richtig eingesetzt kann Mode für besseren Klimaschutz stehen, für mehr Inklusion, Diversität, soziale Teilhabe und Gerechtigkeit für alle“, heißt es auf eurer Website. Wie sieht für euch dieser „richtige Einsatz” aus – im Hinblick auf die Gleichstellung und Inklusion von Frauen*?

Mode hat so viele Ebenen. Es gibt also auch viele Stellschrauben. Essentiell finden wir den Existenzlohn in der Modebranche, der bisher noch in zu wenigen Fällen wirklich erreicht wird. Ein Lohn muss aber zum Leben reichen. Das bedeutet, dass Textilarbeiter:innen nicht nur ihren unmittelbaren eigenen Unterhalt verdienen können müssen, sondern auch ihre Kinder oder weitere Familie versorgen können und Geld zur Seite legen können sollten. Das muss aus unserer Sicht konsequent in der ganzen Lieferkette sichergestellt werden, um einer gerechteren Modeindustrie näher zu kommen.

Und dann fallen uns da noch so viele Dinge ein. Die Modeindustrie ist zum Beispiel sehr binär aufgebaut – Männer- und Frauenmode. Was ist mit all den anderen Menschen? Mode kann starre Gendernormen visuell aufbrechen und Menschen in ihrem Körpergefühl befreien. Dann kann sie uns auch gesellschaftlich näher zusammenbringen. Stellen wir uns mal eine Welt vor, in der es keine Männer- und Frauenkleidung gibt, sondern einfach nur Kleidung. Das könnte einen großen Unterschied für das Verständnis von non-binären Identitäten machen und mehr Teilhabe ermöglichen. In den letzten Jahren beobachten wir auch immer mehr Modemacher:innen, die in diese Richtung gehen, sie gelten bisher aber noch als Vorreiter:innen.

In der öffentlichen Wahrnehmung übt die Modebranche hinsichtlich des (weiblichen) Schönheitsideals aber immer noch einen enormen Druck aus…

Frauen sind sehr oft einem enormen Schönheits- und Schlankheitsdruck ausgesetzt. Das zieht sich durch die ganze Branche. Model kann nur werden, wer sehr spezielle körperliche Features hat, die zudem auch noch rassistisch geprägt sind. Hat man es geschafft, wird man in der Regel von Männern beäugt, bewertet und – auch das ist oft Realität – abgewertet und sexualisiert. Das zieht sich durch viele Bereiche. Was ist zum Beispiel mit Mode für Menschen mit Behinderungen oder „größeren“ Größen? Es gibt ganze Marktsegmente, die beinahe ignoriert werden. Das „größer“ setzen wir in Anführungszeichen, weil diese Größen einfach nicht ungewöhnlich sind. Eine 42 ist eine absolute Durchschnittsgröße, gilt in der Modebranche oft aber schon als L, obwohl es realistischerweise eher eine M sein müsste. Die Größentabellen müssten sich eigentlich verschieben, um die Realität abzubilden. Das wird übrigens dann als „Schmeichelgröße“ bezeichnet. Es geht dabei aber nicht ums Schmeicheln, sondern schlicht darum, dass Mode auch immer den praktischen Zweck erfüllen sollte, dass sie uns als Menschen kleidet. Und nicht etwa, dass Menschen in bestimmte Größen passen müssen. Wenn Mode, wie oft behauptet wird, wirklich für alle da sein möchte, dann müssen Unternehmen die Vielfalt der Gesellschaft stärker in den Blick nehmen und sich so aufstellen, dass sie niemanden ausschließen.

Und dann haben wir noch nicht einmal über Klassismus oder aktiven Anti-Rassismus gesprochen. Mode wird bei diesen Diskussionen oft ausgenommen, aber natürlich gibt es auch im Modebereich zum Beispiel kolonialistische Handelsbeziehungen.

In unserem Fashion-Changers-Magazin und auf unseren Events besprechen wir viele dieser Themen und plädieren immer wieder dafür, die Wirkungsmacht von Mode wahrzunehmen und zu nutzen. Uns ist natürlich bewusst, dass diese Dinge Zeit brauchen. Oft gibt es allerdings viel mehr Möglichkeiten, als man denkt.

Welche Ansätze und Stellschrauben sind notwendig, damit der Equal Pay Day in der Modeindustrie künftig auf den 1. Januar fällt?

Das ist eine sehr große Frage, es gibt viele Ansätze. Wir sehen politische Lösungen als notwendig und denken auch, dass wir die Angst davor verlieren sollten. Die Branche hängt immer noch am Narrativ, dass der Markt sich selbst reguliert, aber wir sehen ja, dass das nicht ausreicht. Unternehmen unterschätzen die Risiken in ihren Lieferketten immer noch. Wir brauchen außerdem konsequente Offenlegung von Lohnstrukturen und mehr Bewusstsein dafür, innerhalb von Unternehmen.

Es braucht Einkaufspraktiken, die auf Langfristigkeit und Partnerschaften auf Augenhöhe angelegt sind. Ständiger Preisdruck und die Gefahr einen Auftrag zu verlieren, führt immer dazu, dass die Schwächsten in einer Lieferkette das kompensieren müssen. Damit verbunden also auch: eine Stärkung von Gewerkschaften, funktionierendes Beschwerdemanagement, sichere Arbeitsverträge, familienfreundlichere Strukturen, barrierefreie Arbeitsplätze – das sind alles Stellschrauben, die Gleichstellung fördern.

Auf welche Maßnahmen setzt ihr als Fashion Changers?

Wir planen gerade unsere Teilnahme an der Kampagne „Good Clothes, Fair Pay“, die eine Millionen Unterschriften von EU-Bürger:innen für existenzsichernde Löhne erreichen will. Das wird 2022 voraussichtlich ein großes Thema für uns werden. Gerade diese Woche organisieren wir außerdem einen Diversitätsworkshop für einige Modeunternehmen und nehmen auch selbst an diesem Workshop teil.

Bei unserer Fashion Changers Konferenz, die sich an Professionals in der (Fair) Fashion Branche richtet, stellen wir das Programm außerdem immer so zusammen, dass Diversität und Inklusion selbstverständlicher Teil davon sind. Es gehört einfach dazu, dass man sich zum Beispiel auch damit auseinandersetzt, wie „fair“ das Produzieren in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen ist, wenn man sich Fairness auf die Fahnen schreiben möchte. Oder wie globale Partnerschaften aufgebaut sein sollten, damit sie auf Augenhöhe stattfinden. Das sind alles Themen, die man nicht trennen sollte, wenn man die Branche ganzheitlich betrachten will.

Ihr seid hauptsächlich in Berlin aktiv. Wie nehmt ihr die Fashion-Industrie hier wahr – insbesondere hinsichtlich Gleichstellung und Feminismus?

Wir treffen in Berlin immer ganz großartige Menschen, die sich mit Mode befassen und sehen so viel Innovationskraft und tolle Ideen – gerade auch, wenn es darum geht, Mode nachhaltiger und inklusiver zu denken. Viele schauen in unserer Wahrnehmung nach Berlin, wenn sie innovative Ideen suchen. Es gibt hier viele „kleine“, unabhängige Modemacher:innen, die viel agiler sind, als größere Modeunternehmen, sehr viel ausprobieren und sich mehr trauen. Und was auch gesagt sein will: Will man interessante Streetstyles sehen, gibt es für uns auch keinen besseren Ort – zumindest in Deutschland – als Berlin.

Was wir allerdings immer wieder feststellen: Ein erfolgreiches Modelabel zu gründen, ist nicht nur sehr harte Arbeit, sondern erfordert aktuell auch einen sehr langen Atem. Wir haben bereits sehr viele Designer:innen getroffen, die nebenbei noch andere Jobs haben und oft mehrere Jahre mit sehr wenig Geld auskommen müssen. Das prägt die Modeszene hier natürlich auch.

In eurem Buch „Fashion Changers – Wie wir mit fairer Mode die Welt verändern können“  gebt ihr Tipps, wie wir hier in Deutschland gegen verschiedene Herausforderungen der Branche vorgehen können. Was können wir tun?

  • Organisationen unterstützen, zum Beispiel FEMNET e.V., Fashion Revolution und Clean Clothes Campaign und etwa einen bestimmten Prozentsatz im Jahr spenden
  • Für ein starkes EU-Lieferkettengesetz einsetzen, das unbedingt geschlechtergerecht sein sollte. Dazu gibt es auch einen offenen Brief von 60 NGOs. Solche Informationen weiterzuverbreiten und dafür zu sensibilisieren, können wir alle.
  • Aufmerksam sein und hinterfragen: Wo kommt etwas her, wie wurde es gemacht, wie viele Stunden Arbeit stecken darin?
  • Nicht auf die Greenwashing- oder Femwashing-Kampagnen reinfallen, die man überall sieht. Ein bisschen Recyclinganteil klingt gut, hat aber wenig mit Nachhaltigkeit und rein gar nichts mit fairen Arbeitsbedinungen zu tun. In diesem Kontext auch: kritisch nachfragen und signalisieren, dass eine faire Bezahlung keine Verhandlungssache ist, sondern Common Sense sein sollte.
  • Kleidung wertschätzen, gut behandeln, reparieren und nicht über-konsumieren
  • Sich bewusst werden, wie viel Arbeit in Kleidung steckt und Macher:innen hinter Kleidung unterstützen – es gibt in Berlin so viele schöne kleine Modelabels, die in ihren Ateliers tolle Arbeit machen.
  • Bewusst durch die Stadt gehen und das unterstützen, was man Tolles um sich hat, finden wir wichtig. Mit der Platte Berlin ist da ein toller neuer Ort entstanden, der es allen ermöglicht, Mode neu kennenzulernen.

Das klingt nach jeder Menge spannender Möglichkeiten. Vielen Dank für das Gespräch!

Kontakt

Stephanie Feser

Designwirtschaft, Kunstmarkt und Women Empowerment

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