Walter Palmetshofer über Civic Tech

Kategorie: Zukunftsköpfe

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Civic Tech ist in aller Munde – und viele sehen darin vor allen Dingen die Schaffung von mehr Demokratie und Offenheit in Politik und Verwaltung. Im Prinzip geht es um mehr Bürgerbeteiligung. In Berlin sind momentan ca. 50 Unternehmen der Civic-Tech-Branche ansässig, deren Potenzial sich stetig entfalten soll. Denn die Hauptstadt ist bereits heute ein Knotenpunkt der digitalen Szene und wirkt darüber hinaus anziehend auf innovative Start-ups.

Basis bisher realisierter Civic-Technology-Anwendungen sind offene Verwaltungsdaten aus Bereichen wie Finanzen, Umwelt, Bildung und Statistik. Aus diesen Daten entstehen Anwendungen, wie beispielsweise der Offene Haushalt, ein Visualisierungswerkzeug für Finanzdaten, und Ratsinformationssysteme.

Ein ausgewiesener Fachmann für Civic-Tech-Technologie ist der Ökonom Walter Palmetshofer. Er ist Mitautor einer Studie, die das volkswirtschaftliche Potenzial von Open Data in Deutschland untersucht hat und setzt sich für die Umsetzung dieses Open-Data-Gedankens ein.

Open Data – ein ambitioniertes Ziel oder immer noch Zukunftsmusik. Und was müsste gerade in Berlin dafür aus Ihrer Sicht getan werden?

In vielen Bereichen leider noch immer Zukunftsmusik. Open Data müsste als gesamt-integrativer Ansatz gedacht werden, d. h. bereits bei den Ausschreibungen muss festgelegt werden, dass die Dateninfrastruktur den Bürger*innen dienen sollte – wie das bereits heute in Los Angeles oder Barcelona praktiziert wird. Ganz konkret bräuchte Berlin als ersten Schritt ein Transparenzgesetz, wie beispielsweise in Hamburg.

Wo gibt es bei deutschen Verwaltungen noch Verbesserungsbedarf?

Wo nicht? Nein – ernsthaft: Wo ist die deutsche Verwaltung so gut, dass Däumchen drehen und Teetrinken für die nächsten fünf Jahre angesagt sein könnte? Es ist ein ständiger Prozess und er ist noch lange nicht abgeschlossen. Es gibt bereits einige schöne Leuchtturmprojekte und Lichtpunkte im Bereich Open Data – aber wir haben noch viel zu tun.

Sie haben in einer Studie das volkswirtschaftliche Potenzial von Open Data für Deutschland untersucht – sind Sie bei den richtigen Leuten auf offene Ohren gestoßen?

Die Studie diente damals als Argumentationshilfe für jene Bereiche, wo noch die größten Zweifel gegen ein Open-Data-Gesetz verankert waren. Im aktuellen Koalitionsvertrag wird ein Open-Data-Gesetz 2.0 angekündigt. Das ist auch notwendig. Und aktuell wird in Brüssel die neue „Open Data Directive“ (ehemals „PSI Directive“) verabschiedet. Die Umsetzung soll bis 2021 erfolgen. Aktuell werden Sonntagsreden auf Künstliche Intelligenz gehalten, doch es wird außer Acht gelassen, dass eine verbesserte Verfügbarkeit von nicht personenbezogenen Daten die Voraussetzung für die Erforschung und Entwicklung von AI ist. Keine Daten – keine Künstliche Intelligenz.

Ein weiteres Schlagwort ist „Civic Tech“ – was steckt dahinter?

Der Begriff „Civic Technology“ bedeutet für mich, dass sich Bürger*innen mittels technischer Lösungen aktiv an einer Verbesserung öffentlicher Infrastruktur beteiligen können. Sei es das Aufzeigen und Umsetzen neuer Techniken in den Kommunen – wie das großartige Projekt „Freifunk“ für offenes WLAN – bis zur banalen und mühseligen Verbesserung der Datenlagenansichten. Dieser Aspekt sollte allerdings nicht unterschätzt werden, denn basierend auf jenen Daten, unabhängig von ihrer Qualität, werden Entscheidungen getroffen.

Ein schönes Beispiel für Civic Tech ist das luftdaten.info-Projekt. Hier können Kinder und Erwachsene eine kleine Luftdatensensorstation basteln. Diese funkt die dann Daten übers Netz zum Projektserver, wo diese unter anderem grafisch ausgewertet werden. Mittlerweile gibt es schon über 4.000 dieser Sensorstationen. Hier lässt sich sehr schön der thematische Zugang – Bürgerbeteiligung und Nachwuchsförderung in einem ­– beobachten. Es gibt aber noch weitere Beispiele: die Verkehrsauskunfts-App „Öffi App“ für den Öffentlichen Nahverkehr, die App „bahn.guru“ der Deutschen Bahn für die Ticketpreisabfrage oder die Initiative „RettedeinenNahverkehr“. Alle Projekte wurden von Entwicklern erstellt.

Warum sind Bürgerbeteiligung und Transparenz so wichtig – und wie ist die Berliner Politik hier gefordert?

Ich glaube, Rechenschaftspflicht, Bürgerbeteiligung und Transparenz sind notwendig, um in einer aktiven Beziehung zwischen Bürger*innen und Verwaltung das Vertrauen in eine funktionierende Verwaltung zu gewährleisten. Auch wenn es für manche Politiker immer noch schwer verständlich ist, uns geht es um Verbesserungen für die Bürger*innen und der Verwaltung.

Die Basis bisher realisierter Civic-Technology-Anwendungen sind offene Verwaltungsdaten wie Finanzdaten, Umweltdaten, Daten zu Bildungseinrichtungen und statistische Daten. Sind wir hier auf einem guten Weg?

Wir sind auf dem Weg, wenn auch nur langsam. Häufig fehlen Ressourcen und adäquates Personal. Häufig erwarten die Bürger*innen dann auch einen Service, der mit Google oder Amazon mithalten soll. Da ergeben sich natürlich Diskrepanzen. Es wäre ein sogenanntes „Leapfrogging“ möglich, also der Sprung nach vorn. Hier ist auch die Politik gefragt. Bis zu einem Open Data „by default“ ist es noch ein weiter Weg.

Wo sehen Sie Berlin datentechnisch in zehn Jahren?

Ich bin ja Verwaltungsoptimist. Die Spannbreite reicht vom Verharren im jetzigen Zustand bis zu Berlin schafft noch den richtigen Sprung nach vorne.

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