Sie sind das Medium der Stunde: An Audio-Angeboten wie Podcasts kommt keiner mehr vorbei. Mittlerweile gibt´s nicht nur von Größen wie Audible oder Spotify etwas auf die Ohren. In Berlin lassen Verlage, Agenturen und Startups in unterschiedlichen Formaten von sich hören.
Wenn Matze Hielscher mit Charlotte Roche spricht, kann das dauern. Zwei Stunden und 36 Minuten, um genau zu sein. Im Podcast Hotel Matze keine Seltenheit. Dennoch – oder gerade deshalb – dringen die Interviews mit prominenten Gästen durchschnittlich 120.000 Menschen an die Ohren. „Das Medium Podcast ist – anders als andere – sehr, sehr langsam. Beim Podcast nimmt man sich Zeit“, meint Hielscher, Mitgründer des Berliner Medienunternehmens „Mit Vergnügen“, „andererseits möchten Menschen Zeit nicht mehr ungenutzt verstreichen lassen, sondern so optimal wie möglich gestalten. Wenn wir Auto fahren hören wir Podcasts statt Musik, weil wir dabei noch etwas lernen können. Das ist der Grund für den Erfolg von Podcasts“.
Matze Hielscher muss es wissen. Seit 2013 beschäftigt er sich mit Podcasts: Zuerst als Konsument, dann als Produzent. Mitte 2016 startete er seinen Interview-Podcast nach dem Vorbild US-amerikanischer Größen wie Joe Rogan. Heute zählen die Gesprächsrunden zu den reichweitenstärksten Podcasts Deutschlands. „Im letzten Jahr haben sich die Abonnentenzahlen verdoppelt“, freut sich der ehemalige Bassist der Indie-Pop-Band „Virginia Jetzt!“.„Wir haben mit Hotel Matze im ersten Jahr 5-stellig verdient, jetzt liegen wir im 6-stelligen Bereich. „Ob das Medium Podcast gerade für Verlage die große Cashcow ist, wage ich zu bezweifeln“, meint der Wahl-Berliner, „dafür ist der Markt zu klein.“ Für ihn liegt das Potenzial eines intimen Mediums eher in der Markenbildung: „Es ist oft die letzte Stimme vor dem Einschlafen. Oder das Erste, das man morgens hört“, meint Hielscher, „das schafft eine Verbindung und Intimität. Es geht um die Community und weniger ums crazy Business.“ Das sollten sich auch Unternehmen vor Augen halten, die Podcasts als Werbefläche nutzen möchten. Im amerikanischen Podcast-Universum werden so ziemlich alle Formate bereits vermarktet, in Deutschland ist dagegen noch viel Platz für Sponsoring.
Matze Hielscher © Mit Vergnügen
Immer mehr Deutsche haben laut Hörkompass 2019 gern viel um die Ohren: Jeder Dritte – etwa 23 Millionen Menschen – lauscht regelmäßig, fast acht Millionen holen sich täglich Hörbücher, Hörspiele oder Podcasts ins Ohr. Doppelt so viele wie 2018. Podcasts gelten dabei als besondere Wachstumstreiber: Mehr als ein Viertel aller Deutschen lädt sich laut Bitcom 2019 zumindest gelegentlich Audio-Dateien herunter. Gemäß einer YouGov-Studie schalten 44 Prozent der 18-30-Jährigen täglich oder wöchentlich ein, bei den über 50-Jährigen sind es 30 Prozent. Ein Ende des „Podcast Booms“ ist nicht in Sicht, so der Goldmedia Trendmonitor, der prognostiziert, dass 2020 ein Drittel aller Deutschen zumindest gelegentlich Podcasts konsumiert. Einerseits erleichtere das Smartphone die Nutzung von Audio-Formaten. Andererseits leiden gerade die unter 40-jährigen unter Bildschirmmüdigkeit. Dazu komme die wachsende Beliebtheit von Sprachsuche, wie etwa Siri oder Alexa, die 2020 schon 50 Prozent ausmachen soll. Dementsprechend möchte auch Google sehr bald Podcasts in seiner Ergebnisliste anzeigen.
Audio ist gekommen um zu bleiben
„Aus Audio-Boom wird Audio-Alltag“, steht für Oliver Daniel, Deutschlandchef der Plattform Audible, fest. Die Amazon-Tochter ist für die steigende Nachfrage gerüstet: Ende 2019 hat das Unternehmen in Berlin Mitte auf 250 Quadratmetern vier neue Studios eröffnet. „Die Audible Studios sollen eine neue Kreativstätte, ein Treffpunkt für die Berliner Kulturszene werden und die Hauptstadt als wichtigsten Audio-Standort in Deutschland stärken“, betont Daniel. Neben Vorträgen und Workshops sollen in den Studios etwa 15 Prozent der für den deutschen Markt geplanten Produktionen stattfinden. Bei 500 Audio-Titeln im Jahr 2020 kann sich das sehen lassen. Darunter befinden sich zunehmend Eigenproduktionen. „Podcasts sind die logische Erweiterung des Programms und im Gegensatz zu Hörbüchern sind sie kürzer und seriell“, verrät Paul Huizing, Senior Director Content Creation EU, im „kressköpfe“-Interview. Die Themen für die On-Demand-Serien kommen nicht nur aus dem eigenen Haus. „Journalisten können ihre Ideen und Kreativität einbringen und haben in uns einen Partner gefunden, der auch mal Neues ausprobiert und Mut zum Risiko zeigt“, nennt Huizing die Vorteile für beide Seiten, „nur so können Formate entstehen, die es noch nicht gibt.“ Formate, wie etwa der investigative Podcast „Im Untergrund“ der Journalistin Patrizia Schlosser über die drei verbleibenden RAF-Terroristen, der den Deutschen Radiopreis gewann – als erster Podcast überhaupt.
Auch Nike Wessel und Isabelle Rogge vom Studio36 (ehemals dasprogramm), einer Berliner Agentur für audiovisuelle Medien, kooperieren bei ihrem Umwelt-Podcast Planet A mit Audible: „Wir haben uns entschieden, so eine aufwendige und rechercheintensive Produktion mit einem Partner zu machen, der eine große Reichweite garantieren kann“, so Geschäftsführerin Wessel. Seit zweieinhalb Jahren entwickelt die Filmexpertin auch Audio-Formate für ihre Kunden. „Komplizierte Inhalte lassen sich gut mit Podcasts vermitteln“, erklärt sie, denn „Podcasts sind technisch nicht aufwendig. Die Herausforderung liegt in der Konzeption. Man hat keine Schrift, keine Farben, keine Bilder. Man muss mehr um die Ecke denken, um etwas zu vermitteln.“ Seit Juni 2018 ist die Berlinerin auch mit eigenem Podcast on air: In „Ideen bewegen“ spricht sie mit inspirierenden Persönlichkeiten über deren Ansätze für eine bessere Zukunft.
Wettbewerb der Plattformen
Ob Gesprächs- und Interviewformate, erzählte Serien oder News: Täglich steigt die Anzahl an Formaten und Portalen. Allein von 2018 auf 2019 stieg die Anzahl an Podcastangeboten laut TechCrunch auf iTunes um 27 Prozent auf 700.000 Podcasts und 28 Millionen Episoden an. Auch die Mediengiganten Apple, Google und Spotify setzen verstärkt auf Podcasts und stecken viel Geld in exklusive Inhalte. Über 500 Millionen US-Dollar hat Spotify 2019 investiert. Ähnlich spannend geht es auf dem deutschen Markt zu: So hat die dänisch-deutsche Plattform Podimo 2019 den Wettbewerber BesserFM, ein Podcastmagazin mit Sitz in Berlin und San Francisco, übernommen und möchte in der Zukunft das „Netflix der Podcasts“ werden.
„Eine Abhängigkeit von US-Plattformen gilt es unbedingt zu vermeiden“, betrachtet Mona Rübsamen, geschäftsführende Gesellschafterin des Sendernetzwerks FluxFM und FluxMusic, die Entwicklung kritisch, „“compete on content und cooperate on technology“ ist die Devise. Davon möchten wir auch andere Radiomacher überzeugen.“ Vor zwei Jahren hat sie deshalb gemeinsam mit ihrem FluxFM-Gründerpartner Markus Kühn 2018 die cloudbasierte technische Plattform „radiosphere.io" an den Start gebracht. Als „digitale Lösung für Medienmacher“ bietet sie Nutzerqualifizierung und Targeting für Werbung, Subscription und gute Frontends, „die mit YouTube und den Streamingdiensten konkurrieren können“, meint Kühn.
Ursprünglich wurde die Technologie für die App „FluxMusic - Next Level Radio“ entwickelt, auf der über 40 digitale Kanäle, on demand Sendungen sowie die Podcasts aus dem Hause FluxFM anzuhören sind. Heute nutzen bereits drei andere Berliner Radiosender die Technologie. „Zahlreiche weitere in Süddeutschland folgen, die auch ihre Podcasts darüber bereitstellen werden“, freut sich Rübsamen. FluxFM ist einen Schritt weiter: „Wir experimentieren mit der Bereitstellung von exklusiven Audio-Features zur On demand Audio Nutzung innerhalb unserer App“, erklärt die Kommunikationswirtschafterin, denn „unser Ziel ist es, unsere Hörerschaft digital zu konvertieren und dadurch adressierbar zu machen. Die Bereitstellung unserer Podcasts auf anderen Plattformen wie iTunes, Spotify und Co. sind Teaser für unser Programm und unsere App.“
Mona Rübsamen und Markus Kühn © FluxFM
Auf Kooperation setzen Podcast-Anbieter in Deutschland auch in anderer Form. Während das Reuters Institut international einen „Konkurrenzkampf“ der Publisher mit Plattformen und Dienstleistern wahrnimmt, machen diese hierzulande gemeinsame Sache: Initiiert von einer Vielzahl an Anbietern und Produzenten aus der Radio-, Audiobook- und Podcast-Szene, werden am 19. März in Berlin-Kreuzberg erstmals die besten Podcast-Macher des Landes beim Deutschen Podcastpreis 2020 ausgezeichnet.
Podcasts scheinen ihren Platz im Medienmix gefunden zu haben: „Die vielfältigen Podcast-Angebote sowie die wachsende Anzahl von Produktionen binden neue Audio-Zielgruppen. Dies schafft für das Audiomarketing ganz neue Möglichkeiten und ist für den Werbemarkt hochinteressant“, sagt Oliver Adrian, Geschäftsführer der Mit-Initiatoren AS&S Radio. In den USA investieren Werbetreibende bereits 670 Millionen Dollar pro Jahr, um in Podcasts aufzutauchen. Bis 2021 soll die Eine-Milliarde-Dollar-Grenze durchbrochen werden. Auch in Deutschland treiben steigende Nutzungszahlen sowie Fortschritte im Targeting die Monetarisierung voran: PWC bezifferte den jährlichen Umsatz des hiesigen Podcast-Marktes in 2019 auf 71 Millionen Euro und erwartet, dass dieser Wert bis zum Jahr 2023 auf 156 Millionen Euro steigen wird.
Auch das Berliner Startup Blinkist, das seit 2012 auf einer kostenpflichtigen App Zusammenfassungen von Sachbüchern anbietet, produziert mit „Simplify“ seinen eigenen Podcast. In sechs Episoden zeigen sechs Autoren sechs einfache Wege, sein Leben zum Besseren zu verändern. „Für Simplify gab es verschiedene Gründe“, erklärt Holger Seim, Mitgründer und CEO, „zum einen wollten wir den Podcast-Boom für uns nutzen, um in den Podcast-Kanälen auf unsere Marke aufmerksam zu machen. Darüber hinaus konnten wir mit Simplify stärkere Beziehungen zu Autoren aufbauen, etwas einfacher mit neuen Content-Formaten experimentieren und gleichzeitig unseren Nutzern tiefere Einblicke in verschiedene Themen ermöglichen.“
Dass Blinkist schon seit 2014 auf Audio setzt, ist sicher ein Vorteil: Die Kernaussagen der Sachbücher sind in 15 Minuten nachzulesen oder nachzuhören. „65 Prozent unserer Nutzer bevorzugen inzwischen die Audiotitel“, weiß Seim. Auch der Podcast kam bei den aktuell drei Millionen Usern in Deutschland, Österreich, der Schweiz, den USA und Großbritannien so gut an, dass weitere Formate folgen. „Eins davon kann man seit letzter Woche in unserer englischsprachigen App sehen: "2 mins with Seth Godin", eine Art Micro-Podcast, in dem Seth Godin zweimal pro Woche für jeweils zwei Minuten ein Insight teilt“, erklärt der Berliner. In wenigen Wochen soll ein weiterer Podcast folgen. Eines ist klar: Aus Berlin gibt’s noch viel Spannendes auf die Ohren!
In der Themenreihe “Deep Dive” gibt Projekt Zukunft regelmäßig Einblick in aktuelle Technologien der Digital-, Medien- und Kreativwirtschaft und informiert über Akteure, Trends und Anwendungen aus Berlin.