Berlin in Frauenhänden?
Mehr Gehör und ein besseres Standing der Frauen, woran Maxi Matthiessen in der Medizin arbeitet, das rückt auch in der Wirtschaft verstärkt ins Zentrum. „Seit 2011 bin ich in der Gründerszene aktiv“, meint die Seriengründerin, „die Entwicklung und Auffassung von FemTech hat sich seither grundlegend geändert. Damals war eine Gründung in dem Bereich der Periode ein Tabu und es war sehr schwer, an Investorengelder ranzukommen. Inzwischen ist das Thema weitgehend im Mainstream angekommen.“ Vorbilder wie Matthiessen oder Ida Tin haben dazu einen wertvollen Beitrag geleistet. Stärkung finden die Frauen auch untereinander. „Wir Gründerinnen im FemTech-Bereich unterstützen uns gegenseitig und die meisten von uns kennen sich untereinander.“, erklärt Matthiessen, „auch bei den Venture Ladies habe ich Unterstützung erfahren. Dort tauschen wir uns über Finanzierungsfragen aus. Auch in den Female Founder Coworking Spaces können wir Frauen uns vernetzen.“ An Möglichkeiten, sichtbar zu werden und sich zu verbinden, mangelt es in Berlin nicht mehr: Ob Berlin Geekettes, die Karriereplattform FEMTEC, das Netzwerk International Women's Connection, WeHubs oder Womenize! – über 170 Initiativen engagieren sich in der Bundeshauptstadt dafür, Frauen in der Digital-, Medien- und Kreativwirtschaft zu unterstützen. Mit der Auszeichnung "Berliner Unternehmerinnen des Jahres" werden seit 2004 engagierte Frauen gewürdigt, die als Vorbild für weibliches Unternehmertum agieren. Auch das Inkubationsförderprogramm "Berliner Startup Stipendium" legt im Jahr 2021 zum ersten Mal einen Fokus auf „Women in Tech“. „Dennoch werden bundesweit nur 15,7 Prozent (!) der Startups in Deutschland von Frauen gegründet. Gründerinnen erhalten deutlich weniger Startkapital als Männer und der Zugang zu Venture Capital und Business Angels ist schwieriger“, schreibt Ramona Pop, Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe in der Bestandsaufnahme "Berlin: Women Empowerment" 2021. Dabei erzielen Startups von Gründerinnen laut Boston Consulting Group 2018 mehr als doppelt so hohe Umsätze pro in sie investiertem Euro, als die Unternehmen ihrer männlichen Kollegen. Bereits 2013 führte das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in einem Bericht aus, dass die sozioökonomischen Rahmenbedingungen für Gründerinnen direkt mit dem Wirtschaftswachstum korrelieren: Mit mehr Gründerinnen wären vier Prozent Wirtschaftswachstum mehr möglich.
Berlin, das sexuelle Silicon Valley?
Dafür braucht es nicht nur Gründungen in der Gesundheitsbranche. Der Begriff FemTech wird immer öfter auch für andere Bereiche verwendet, in denen Unternehmerinnen, Entwicklerinnen oder Programmiererinnen technologischen Fortschritt machen. So werden auch die Berliner Erfolgsstartups FinMarie oder Madame Moneypenny dazu gezählt, die Frauen auf dem Weg zur finanziellen Unabhängigkeit helfen. Einem anderen wichtigen Bereich hat sich die Modality Group verschrieben: „Als ich 2017 bei einer Asia Adult Expo in Hong Kong war, fiel mir auf, dass die Mehrheit der Käufer weiße Männer waren“, erzählt Lex Gillon, eine der drei Gründerinnen. „Das ist problematisch, denn sie kaufen Produkte, die für Vulvas und vaginale Penetration designt sind und entscheiden für Bevölkerungsgruppen, denen sie gar nicht angehören.“ Studien und Daten hätten das Potenzial, den Bedarf verschiedener Zielgruppen zu zeigen und dadurch ganz neue Arten von sinnlichen Erfahrungen auf den Markt zu bringen. Genau das ist die Aufgabe, der sich Lex und ihr inzwischen achtköpfiges Team verschrieben haben. „Unsere Untersuchungen ermächtigen dabei Unternehmen in Frauenhand genauso, wie die dritte Welle, bei der es um Diversität und Inklusion im Sex Business geht“, so die Wahl-Berlinerin, deren Kunden vor allem in den USA und in Großbritannien sitzen. „Wir haben zum Beispiel auch Untersuchungen für den Bedarf an einem LGBTQIA-Sexprodukt in den USA durchgeführt und tauchen gleichermaßen tief in die Bedürfnisse von Trans-Männern, Non-Binary-Menschen und lesbischen Frauen ein.“ Dass die Modality Group ihre Basis in Berlin hat, war übrigens Zufall. „Das Leben hat mich hierher geführt, und es hat sich als der perfekte Ort herausgestellt“, meint Gillon. Das liegt nicht nur an der Zeitzone, die Kommunizieren mit Europa, den Asia-Pazifik-Region und Nordamerika ermöglicht, „ohne Schlaf opfern zu müssen“. „Berlin hat eine reiche sexuelle Geschichte, und Deutschland hat generell ein paar große Player in der sexuellen Wellness-Industrie“, schwärmt die Geschäftsführerin des Startups, „in dieser Community zu sein, gibt Modality Zugang zu einigen Größen in dem Bereich. Vielleicht wird Berlin ja zum sexuellen Silicon Valley?“