Corona macht der Filmbranche zu schaffen – die Gewinner der Pandemie sind die Streamingdienste. Doch viele Cineasten haben sich an den Blockbuster-Angeboten von Amazon, Netflix und Co. sattgesehen und suchen nach Alternativen.
Der Independent-Streaming-Dienst Behind The Tree ist die Antwort auf den üblichen Hollywood-Stoff und bietet wahre Perlen der Indie- und Arthouse-Filme. Ein Grund könnte sein, dass dahinter echte Filmliebhaber- und Macher stehen: der Schauspieler und Filmpreisträger Frederick Lau, Andreas Schanzenbach, Gründer der Agentur Cromatics, Schauspieler und Regisseur Nicolás Solar Lozier und Schauspieler Kida Khodr Ramadan. Sie alle haben 2017 gemeinsam die Plattform Behind The Tree gegründet: „Bei den Streaming-Diensten liegt der Fokus häufig auf Mainstream-Produktionen. Auch wenn sie Arthouse-Filme anbieten, bekommen diese auf den großen Plattformen nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Wir wollen dem Mainstream-Publikum gute Arthouse-Filme näherbringen und den Arthouse-Fans einen Background bieten, der der Qualität der Filme gerecht wird“, sagt Nicolas Solar Lozier über die Beweggründe.
Dennoch sei das Portal nicht als eine Alternative zu den Kinos zu verstehen, betont Lozier. „Doch aufgrund von Corona müssen leider viele Programmkinos auch in den großen Städten dichtmachen. Umso wichtiger ist es, dass Arthouse Filme eine Plattform haben und gesehen werden. Dabei achten wir natürlich auch auf Qualität. Unser Katalog besticht durch Einreichungen von Filmemachern, Empfehlungen von Zuschauern, Klassikern, die wir gerne aufnehmen wollten und vergessenen Perlen.“ Das sei das Erfolgsrezept von Behind The Tree.
Die Filme werden bei Behind The Tree direkt von den Machern hochgeladen und diese werden dann mit 75 Prozent am Erfolg ihrer Kunstwerke beteiligt. Das Besondere ist: Jeder kann Filme hochladen und soll die Chance erhalten, diese einem breiten Publikum präsentieren zu können. Darunter sind auch viele herausragende Filme, die auf den Festivals gezeigt wurden, dann aber schnell in die Archive verschwanden: „Als wir Behind The Tree gegründet haben, wollten wir auch etwas dafür tun, dass Filmemacher wieder Geld an ihren Filmen verdienen können. Bei Abo-Modellen ist dies nicht möglich. Deshalb haben wir uns für einen fairen Share entschieden“, so Lozier.
Die Bandbreite der verschiedenen Genres ist groß: Horror, Komödie, Romantik, verschiedene Arthouse-Klassiker und aktuelle Filme. Viele Streifen sind auf Deutsch und haben englische Untertitel, aber die Website zeigt auch einige internationale Produktionen, wie den Film “The Invisible Frame”, in dem Tilda Swinton die jüngere Geschichte Berlins erforscht. Die Preise der Streaming-Abrufe bewegen sich recht moderat zwischen € 1,50 und € 3,-. Momentan bietet Behind The Tree etwas mehr als 500 Filme an.
Nicolas Solar Lozier © Carsten Beier
Kuratierte Filme von Filmliebhabern für Fans
Einmalig ist aber auch der Empfehlungscharakter der Filme für Filmliebhaber, denen es schwerfällt, eine Auswahl zu treffen. Zu den Kuratoren gehören Hochkaräter der Branche, wie Frederick Lau, Jan Köppen, Jessica Schwarz, Christoph Letkowski oder Trystan Pütter. Das Modell sei einfach: „Wenn man Jessica Schwarz mag, dann sieht man das auch ganz klar in ihrer Filmauswahl. Diese steht für die Art von Filmen, die sie selber macht. Dasselbe gilt für Frederick Lau oder Jan Köppen. Die Idee dahinter ist, dass User nicht 20 Minuten nach dem richtigen Film suchen müssen, sondern sich auf die Empfehlungen unserer Künstler verlassen.“
Behind The Tree hat auch einen eigenen Podcast: Behind The Tresen. Jede Episode ist ein entspanntes Gespräch mit einem Profi aus der Filmindustrie – aufgenommen in ihrer Lieblingskneipe. Zu hören sind unter anderem Clemens Schick, Lisa-Marie Koroll, Tim Sander und Jan Köppen: „Das Ambiente in einer Bar oder in einem Restaurant soll für den Gast ein Umfeld schaffen, indem er sich wohlfühlt und lockerer erzählt“, so Nicolas Solar Lozier.
Als gemeinsames Projekt zwischen dem First Steps Awardund Behind The Tree entstand ein weiteres Podcast-Format namens Wood Talks. Die künstlerische Leiterin Andrea Hohen spaziert dabei im monatlichen Rhythmus mit Filmgrößen durch die Berliner Parks. Die Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Mayam Zaree, die den deutschen Fairnesspreis gewonnen hat, erzählt in dem Podcast über ihre Heimat, die iranische Revolution und ihre Kindheit in Frankfurt am Main.
Die VOD-Szene in Berlin ist inspirierend
Berlin ist für Medienunternehmen einer der wichtigsten Standorte in Europa. Nicht nur für Entrepreneure und Startups, sondern auch für aufsteigende Unternehmen. So haben einige der weltweit größten und wichtigsten Player in Berlin ihre Standorte, wie beispielsweise Apple, Google, Twitter, Netflix oder Spotify. Auch die innovative VOD-Plattform DAZN hat sich bereits vor einiger Zeit an der Spree angesiedelt.
Video on Demand gewinnt weiter an Bedeutung und damit auch die Produktion von (HighEnd-)Serien für Amazon, Netflix, Sky und Co. Dabei ist Berlin Serien-Hauptstadt und Kulisse für erfolgreiche Formate wie „Babylon Berlin“, "Bad Banks", „Dark“, "Acht Tage", „Counterpart“ oder „Spides“. Weitere Serien-Highlights der letzten Jahre mit Berlin als Hauptrolle sind: „Beat“, „You are wanted“, „Dogs of Berlin“, sowie die Fortsetzungen von „4 Blocks“, „Deutschland 83“ und die internationale Serienproduktion „Berlin Station“.
Nicolas Solar Lozier sieht in der Hauptstadt ein riesiges Potenzial für Filmemacher, die sich von der Berliner Szene inspirieren lassen wollen und hier ihre Themen finden. Die Ideen lägen buchstäblich auf der Straße. Sein Wunsch für die VOD-Szene: „Gebt Menschen mit neuen Gedanken, Wegen und anderen Ideen mehr Support. Lebt Kultur und gebt mit den Kulturschaffenden an. Man kann und muss stolz auf sie sein.“
Und sein Aufruf kommt an! 2021 gehen mit York on Demand und Indiekino Club zwei weitere innovative Kino-On-Demand-Plattformen an den Start. Dank einer Fördersumme des Medienboards Berlin Brandenburg in Höhe von 73.500 Euro, konnten die Projekte realisiert werden, die nun den Filmfans eine große Bandbreite an gut kuratierten Arthouse-Programmen bieten. Das neue digitale Kino vereint damit wichtige Aspekte wie Hendrike Bake, Geschäftsführerin Indiekino Berlin, beschreibt: „Viele Kinogänger*innen vermissen ihr Kiezkino. Der INDIEKINO CLUB bringt Streaming und analoges Kino zusammen und funktioniert langfristig über die Pandemie hinaus: Abonnent*innen gucken ausgewählte Arthousefilme online und können mit ihrer Club Karte auch vergünstigt in alle teilnehmenden Kinos. Wichtig ist uns außerdem, mit dem Club die Kooperation der unabhängigen Berliner Filmtheater weiter auszubauen.“ Der Livegang für York on Demand ist für Juni 2021 geplant.